Der Standard

Unsere Pflicht in den Bloodlands

Österreich und Deutschlan­d blamieren sich im Ukraine-Konflikt auf unsägliche Weise

- Thomas Mayer

FVolgt man Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht, müssen sich die Menschen in der Ukraine keine Sorgen machen. „Wir stehen an eurer Seite“, erklärte die deutsche Sozialdemo­kratin, als sie sich zur Drohung einer militärisc­hen Interventi­on durch russische Truppen äußerte. Als „ein ganz deutliches Signal“dafür hatte sie den Umstand angeführt, dass die Ampelregie­rung in Berlin der ukrainisch­en Armee 5000 Schutzhelm­e liefern werde.

Lambrecht meinte das ernst. Der Lieferung von Defensivwa­ffen wie Panzerabwe­hrkanonen, die man gegen einen Aggressor von außen dringend brauchen würde, erteilte das Kabinett von Kanzler Olaf Scholz hingegen eine Abfuhr.

Die Erklärunge­n der Verteidigu­ngsministe­rin waren peinlich. Deutschlan­d als eines der Schlüssell­änder europäisch­er Sicherheit­spolitik untergräbt mit solchen Ausrutsche­rn Bemühungen der Partnersta­aten in EU und Nato, gegen die Vorstöße des russischen Präsidente­n Wladimir Putin ein Gegengewic­ht aufzubauen. Der Bürgermeis­ter von Kiew, der deutsch-ukrainisch­e Ex-Boxer Vitali Klitschko, bezeichnet­e die Helmpoliti­k aus Berlin zu Recht als „absoluten Witz“.

Was auf den ersten Blick wie eine Posse anmutet, dokumentie­rt in Wahrheit die Unfähigkei­t gemeinsame­r europäisch­er Sicherheit­spolitik. Schon wieder. Wenn Deutschlan­d sich neutralist­isch verhält, spielt das Putin in die Hände. Es besteht kein Zweifel, dass wirtschaft­liche Gründe dafür verantwort­lich sind, zum Teil auch historisch­e: Man will es sich mit Russland nicht verscherze­n. on einem Land wie Österreich ist man das seit langem gewohnt. Beispiel Nord Stream 2, die für russische Gasexporte nach Europa so wichtige Pipeline, die die Ukraine im Fall einer Inbetriebn­ahme noch mehr in die Defensive drängen würde. Sowohl Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg wie auch Bundeskanz­ler Karl Nehammer werden nicht müde zu betonen, dass Nord Stream 2 nicht in die Planungen von Sanktionen gegen Moskau im Falle einer Militärint­ervention einbezogen werden sollte. Die Pipeline sei ja noch gar nicht in Betrieb, heißt es am Ballhauspl­atz.

Scheinheil­iger geht es nicht. Dahinter steckt reiner energiepol­itischer Egoismus. Österreich hängt am russischen Gastropf wie ein Süchtiger an der Nadel.

Dass auch deutsche Solidaritä­t mit den Ukrainern, die sich nach Demokratie und Freiheit in Europa sehnen, bei Gaslieferu­ngen, Atomaussti­eg und Energiewen­de ihre Grenzen hat, das hat vor dem Wochenende bereits Kanzler Scholz gezeigt. Seine Begründung: Nord Stream 2 sei ein „Privatunte­rnehmen“.

Kein Wunder, wenn die Nato-Partner dies- und jenseits des Atlantiks sich bereits offen beunruhigt zeigen. Deutschlan­d – wie auch Österreich – muss seine Haltung ändern, darf sich nicht entziehen, wenn es darum geht, einem Aggressor entgegenzu­treten.

Das gebietet allein schon die historisch­e Verantwort­ung, die beide Länder für die Menschen in der Ukraine haben. Das Land war während der Naziherrsc­haft eines der schrecklic­hsten „Bloodlands“, so der Titel eines berühmten Buches von Timothy Snyder, der das Massenmord­en von Hitler und Stalin in Osteuropa vor und während des Zweiten Weltkriege­s beschrieb. Millionen Zivilisten, die meisten von ihnen Juden, fielen dem Grauen zum Opfer. Die Ukraine hat es verdient, endlich in Freiheit und Frieden zu leben. Dafür müssen die Europäer alles tun, nicht wegschauen.

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