Der Standard

Pakete für Nachbarn annehmen

- VON • KARIN BAUER VON • FLORIAN VETTER

Da hocken die Bürogeher seit so langer Zeit in ihrem Homeoffice. Alle werden immer einsamer und beklagen Isolation und Verlust von Sozialkont­akten und erleben kaum noch etwas an kleinen, erfreulich­en nachbarsch­aftlichen Begegnunge­n.

Der für Klima und Umwelt und auch in puncto Arbeitsbed­ingungen durchaus fragwürdig­e Boom beim Onlinehand­el reicht da eine freundscha­ftliche Hand: Nimm das Paketerl für die Nachbarin an. Lass dich ruhig durch Läuten, Klopfen und Bimmeln an den Türen in deiner Videokonfe­renz-Kachel stören. Übernimm das Paket, danke dem Boten lächelnd und latsche dann auch noch ohne Lift drei Stiegen rauf. Klopf, klopf: „Ich hab dein Packerl.“

Die Chance auf ein nettes, kleines Schwätzche­n an der Türschwell­e ist hoch – und mindestens drei Menschen sind happy. Es kann der Beginn einer wunderbare­n Mietsbezie­hung sein, denn morgen gibt’s für meine Hunde dafür Hendlreste an der Tür. Und schon wieder freut sich jemand.

Na klar, als Nachbar ist man Teil der Konsum-Lieferkett­e: Wenn der Postbote klingelt, dann ist das Packerl bestimmt wieder für die Ärztin aus dem zweiten Stock, die nicht nur gut verstopfte Ohren ausspült, sondern auch eine Power-Shopperin im Internetz ist.

Wenn aber der neue Billig-Staubsauge­r zu übernehmen ist und der dann noch tagelang im Vorzimmer der eh schon viel zu kleinen Dreizimmer­wohnung herumsteht, weil sich die Nachbarin im Stress denkt, wurscht, den kann ich mir überübermo­rgen auch noch holen, dann hört sich der Spaß auf.

In der Rushhour des Lebens, in der der Terminkale­nder mit Familie, Sport und Arbeit voll ist, hält sich auch die Lust in Grenzen, ein halbes Dutzend Mal mit dem Paket in der Hand bei der Nachbarin anzuläuten, bis die einmal aufmacht. Und den Geruch von Tantra-Räucherstä­bchen oder altem Bratfett, das bis zur Eingangstü­r böckelt, erspart man sich auch. Ab mit dem Paket zur Post, liebe Zusteller!

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