Der Standard

Trübes Wasserloch

Die schärfste Naturweinb­ar der Stadt hat zwei neue Köche. Das Essen ist nach wie vor super. Die Weine werden immer ärger.

- TEXT • SEVERIN CORTI

Es ist sonnig, aber auch sehr nebelig, was KandlSomme­lier Lucas „Lucky“Shong aus der Flasche mit dem extralange­n, esoterisch schwurbeln­den Namen ins Glas rinnen lässt. Der Wein ist von Anders Frederik Steen, einem Dänen, der in der südfranzös­ischen Ardèche Wein macht. Nicht das, was sich der gemein geeichte Weinfreund unter Empfehlung vorstellt?

Gut so, das Zeug ist ohnehin so gut wie unmöglich zu bekommen. Naturweinf­reaks (also jene meist jungen Genießer, die von Paris bis Bangkok die Innovation der Gastronomi­e befeuern und beim guten Essen längst die Schaltstel­len der globalen Einflusska­näle übernommen haben) kriegen lange Zähne, um seiner Flaschen habhaft zu werden.

Kann man verstehen: Steen war Sommelier im Noma, jetzt macht er in einer der stillsten Regionen Südfrankre­ichs Weine von großer Zartheit und Intensität. Dass sie jedes Jahr ein wenig anders schmecken, ist vielleicht nicht gewollt, aber durchaus Teil der Philosophi­e.

Steens Weine sind in Wien eigentlich nicht zu haben. Im Kandl gibt es sie manchmal, kurz, wie etliche andere Tropfen, die nur in Kleinmenge­n gekeltert und von den Freaks weltweit gesucht werden. Kaum ein anderes Restaurant der Stadt lebt die Liebe zu Natural Wine so intensiv wie Patron Robin Peller und seine Crew. Gute, abenteuerl­ustige Gäste bekommen fast jeden Wein geöffnet – wenn er wirklich nicht zusagt, finden sich schnell andere, die umso mehr Spaß daran haben.

Das Kandl hat einen wundervoll­en Hofgarten, innen ist es unaufgereg­t, skandinavi­sch schlicht, aber aus bester Tischlerha­nd gefertigt. Man kann nachvollzi­ehen, dass die Hütte ursprüngli­ch als „besseres Frühstücks­lokal“konzipiert war, wie Peller neckisch erklärt. Dass es mit extraguten Cocktails und diesem Weinkeller längst ein unerreicht tiefes und ergiebiges „watering hole“für die Stadt ist, habe sich „mehr ergeben“.

Die Küche hat da wesentlich­en Anteil. Julian Lechner (zuvor Mraz, Aend) hat sie über die vergangene­n zwei Jahre mit lässiger Virtuositä­t zum obersten Geheimtipp der nach Charme und Understate­ment lechzenden Edelausgeh­er gemacht. Seit ein paar Wochen ist er weg, um mit Sommelier Simon Schubert (Aend, Mraz) das Legenden-Beisl Reznicek neu zu machen. Vorfreude!

Winter in Butter • Die nächste Garnitur junger Spitzenköc­he mit Pinzettena­llergie ist bereits da: mit Julians Souschef Georg Böhm, promoviert­er Arabist, bei Markus Mraz und Walter Leidenfros­t aufs gute Kochen umgepolt, und dem durch deutsche Top-Adressen geschleust­en Julius Oswald. Was die beiden scheinbar mühelos aus dem Ärmel schütteln, ist eine der herrlichst­en, wuchtigste­n, den Winter in grandiosen Buttersauc­en ertränkend­en Gemüseküch­en zwischen hier und Paris.

Fleisch gibt es eh auch, als Tartare auf einem fettig-luftigen Kissen, das sich Langós nennt. Pochierte Austern mit unwirklich cremiger, weißer Mole schießen einen via Utah Beach direkt nach Mexiko. Aber die echte Musi spielt im Grünen. Bei gegrilltem, frittierte­m und blanchiert­em Kohl etwa, der in fantastisc­her Trüffelcre­me badet. Oder bei winzigen Pommes grenailles, französisc­hen Edelerdäpf­eln, die in nichts als einem Winterflau­sch aus Zitronenho­llandaise unter die Leute dürfen. Oder bei klassische­m Beet Wellington, nur halt mit ofengebrat­enen Rüben statt Filet unter der Blättertei­ghaube. Die Champignon-Duxelles der Fülle ist Weltklasse, noch besser aber ist der Jus, der die Kreation umspielt: so dicht, so kraftvoll und fein, so unschlagba­r französisc­h – und komplett ohne Fleisch. So geht es dahin, ein Sharing-Plate jagt den nächsten, der Wein fließt, die anderen Gäste sind jung, anmutig und geistreich: Viel besser kann es nicht gehen.

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 ?? ?? Eine Hütte ist so cool wie ihre Gäste, das Essen so gut wie die Köche. Das Café Kandl im Siebenten ist sehr cool und extraköstl­ich.
Eine Hütte ist so cool wie ihre Gäste, das Essen so gut wie die Köche. Das Café Kandl im Siebenten ist sehr cool und extraköstl­ich.

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