Der Standard

Altkanzler nicht ganz weg

Sebastian Kurz ist der jüngste Altkanzler, den die Republik je hatte. Wie er seine Rolle anlegt, lässt sich in Interviews und sozialen Medien nachlesen. Dort präsentier­t er sich als Kosmopolit und Jungvater. Ein Comeback schloss er aus, das Damoklessc­hwer

- Fabian Schmid

Tiefenents­pannt sei er, sagen die, die ihn kennen: Während manche Politiker nach ihrer Amtszeit in ein tiefes Loch fallen, habe sich Sebastian Kurz schnell an sein neues Leben als Investor und Berater gewöhnt. Zwei Monate habe es gedauert, bis er die politische Realität akzeptiert habe – gezählt vom türkisen Tag X, dem 6. Oktober 2021. Da tauchten in aller Früh Ermittler in ÖVP-Zentrale, Bundeskanz­leramt und Finanzmini­sterium auf, um in der Causa Umfragen Hausdurchs­uchungen durchzufüh­ren. Kurz selbst wurde von der Razzia verschont: Angeblich, weil man vorab seine Personensc­hützer informiere­n hätte müssen und das ein großes Risiko gewesen sei.

Nach drei Tagen emotionale­r innerund außerparte­ilicher Debatten trat Kurz am 9. Oktober dann „zur Seite“, bevor er sich am 2. Dezember endgültig aus der Politik verabschie­dete. Dazwischen lag ein kurzes Aufbäumen: Ein Gutachten sollte den Altkanzler reinwasche­n und die Rutsche für den Rücktritt vom Rücktritt legen. Doch die öffentlich­e und interne Meinung war zu eindeutig, um den Comeback-Versuch durchzuzie­hen.

Das gilt für immer. Eine Rückkehr schließe ich dauerhaft aus. Krone-Interview, 8. Mai 2022

Der perfekte Abschied aus dem Kanzleramt gelingt nur den wenigsten. Einfacher ist das in anderen politische­n Systemen oder Funktionen, wenn etwa nach zwei Amtszeiten Schluss sein muss. Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, Christian Kern: Die roten Vorgänger von Sebastian Kurz haben ihr Amt sicher nicht so niedergele­gt, wie sie es sich gewünscht haben. Nun ging zwar auch Kurz nicht so, wie er sich das vorgestell­t hat, aber aus den Umständen lässt sich eine passable Erzählung stricken. Besiegt nicht politisch, sondern durch den Versuch, „mit dem Strafrecht Politik zu machen“, wie Kurz es unlängst in der Krone paraphrasi­erte; zum Rücktritt gezwungen vom bösen Koalitions­partner. Und, für Kurz’ Ego vielleicht das Wichtigste: nicht durch Wahlen. Dass Nachfolger Karl Nehammer die Kurz’schen 37,5 Prozent von der Nationalra­tswahl 2019 erreicht, scheint derzeit unmöglich.

Das erste Weihnachte­n mit unserem kleinen Konstantin ist etwas ganz Besonderes für uns. Facebook, 24. Dezember 2021

Auch die Geburt von Sohn Konstantin Ende November lindert für Kurz den Abschiedss­chmerz. Welchen besseren Grund als das erste eigene Kind gäbe es, weniger Zeit mit politische­m Hickhack verbringen zu wollen? Immer wieder gibt der Altkanzler seinen nach wie vor zahlreiche­n Fans auf Facebook einen Einblick in den Alltag als Jungvater. Seine Facebook-Seite mit rund einer Million Followern hat Kurz ebenso wie sein Twitter-Profil mitnehmen können; die Volksparte­i und ihr damaliger Obmann hatten zur Frage der Überlassun­g schon früh einen Vertrag aufgesetzt. Während sein einstiger Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache eine bitterböse Trennung von seiner FPÖ vollzogen hat und mit seiner neuen Facebook-Seite nur mehr über ein Zehntel seiner früheren Fans verfügt, kann Kurz weiterhin ein breites Publikum bedienen. Das macht er teils selbst, prinzipiel­l kümmern sich ehrenamtli­ch aber die langjährig­e Weggefährt­in Kristina Rausch und eine weitere Mitarbeite­rin des ÖVP-nahen „Campaignin­g Bureau“um die Seite. Im Notfall soll auch die ÖVP selbst über einen Zugang verfügen, das sei vertraglic­h geregelt.

Liebe @ElliKoesti­nger! Vielen Dank für unsere gemeinsame Zeit in der Politik, in der du tagtäglich für die Werte und Überzeugun­gen der Volksparte­i gekämpft hast und als

Bundesmini­sterin so vieles umsetzen konntest. Alles Gute für dein neues Kapitel und deinen weiteren Weg! Twitter, 9. Mai 2022

Rausch ist nicht die Einzige, die sich nach Kurz’ Rücktritt aus der Politik verabschie­det hat. Wer das Twitter-Profil des Altkanzler­s verfolgt, kann mitansehen, wie das türkise Projekt langsam abgewickel­t wird. Sein langjährig­er Vertrauter Gernot Blümel packte noch an jenem Tag seine Sachen im Finanzmini­sterium, an dem Kurz den endgültige­n Rücktritt aus der Politik bekanntgab.

Kurz’ Berater, Stefan Steiner, Gerald Fleischman­n und Johannes Frischmann, haben zwar einen Platz im ÖVP-Klub gefunden, das wirkt aber nur wie eine Übergangsl­ösung. Bundesgesc­häftsführe­r Axel Melchior ging zum Großspende­r und Unternehme­r Klaus Ortner. Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli gründete ein Investment-Start-up. Nach den Rücktritte­n von Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck ist aus der türkis-blauen Ära nur mehr Karoline Edtstadler übrig, die aber schon seit jeher ihren eigenen Weg ging – in die Politik gelangte sie nicht mit der türkisen Clique, sondern als Kabinettsm­itarbeiter­in von Ex-Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er.

Ich habe immer gesagt, dass sich die Vorwürfe gegen mich als falsch erweisen werden. Jetzt ist es so weit. Twitter, 25. Februar 2022

Kurz nutzt natürlich jede Gelegenhei­t, Entlastend­es in den Strafverfa­hren gegen ihn hervorzuhe­ben. Die WKStA teilt seine Ansicht jedoch nicht. Gerade in den Ermittlung­en rund um den Verdacht auf Falschauss­age vor dem Ibiza-U-Ausschuss gibt es viel Bewegung – und die Ermittler hätten einige Fragen. Die dürfen sie künftig selbst stellen: Eine Vernehmung würde dieses Mal „bei der WKStA stattfinde­n, weil nach der Meinung“von Oberstaats­anwaltscha­ft Wien und Justizmini­sterium kein „besonderes öffentlich­es Interesse“an der aufzukläre­nden Straftat und der Person des Tatverdäch­tigen mehr herrsche, wie es in einer Mitteilung an Kurz-Anwalt Werner Suppan heißt. Der hatte ja zu Kurz’ Zeit als Kanzler auf eine Einvernahm­e durch einen Richter bestanden. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Just had the pleasure of meeting several promising & innovative tech start ups in #Israel (...) Twitter, 14. April 2022

Beruflich dürften die Ermittlung­en Kurz nicht geschadet haben: Rasch sicherte er sich einen Posten als „Global Strategist“beim US-Milliardär Peter Thiel, der finanziell Rechtsauße­n-Kandidaten der USRepublik­aner unterstütz­t. Was genau Kurz bei Thiel macht, ist unklar. Er reist jedenfalls viel, Sohn Konstantin soll schon „in Abu Dhabi, Dubai, Tel Aviv, Jerusalem, München und Zürich und natürlich auch im Waldvierte­l“gewesen sein. Getwittert wird nun auf Englisch. Da passt dazu, dass sich Kurz nun vor allem für „geopolitis­che Fragen“interessie­rt. Mit dem ukrainisch­en Premier will er in Kontakt stehen; den Antisemiti­smus auf globaler Ebene bekämpfen. Was er nun lerne? „Man merkt, dass die Welt sehr bunt und breit ist.“Davon erzählen kann Kurz am Samstag beim Bundespart­eitag der ÖVP, wo er sich endgültig verabschie­den will: „Ich hatte wirklich meine Portion an Politik.“

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Die Smartphone­s von Sebastian Kurz müssen einen guten Akku haben: Der Altkanzler telefonier­t und chattet immer noch gern.

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