Der Standard

Fünf Fragen zumSong Contest

Am Samstag findet das Finale des 66. Eurovision Song Contest in Turin statt. Egal ob sie ihn lieben oder hassen, Millionen von Menschen verfolgen den ESC im Fernsehen. Wie steht es um seine Gegenwart und Zukunft?

- DOUZE POINTS: Marco Schreuder

Frage 1

Was passiert, wenn heuer die Ukraine gewinnt?

Das Kalush Orchestra aus der Ukraine ist einer der Favoriten beim Song Contest 2022. Der Song Stefania wäre auch ohne politische Ereignisse gut genug, um vorne zu landen, der Krieg erhöht aber die Siegeschan­cen. Oleh Psiuk, Mastermind der Band, hat eine klare Botschaft: Wenn wir gewinnen, wird der Song Contest 2023 in einer neuen, blühenden Ukraine stattfinde­n.

Die Europan Broadcasti­ng Union (EBU) antwortet auf Fragen nach dem Fall eines ukrainisch­en Gewinns vorsichtig­er. Nach einem Sieg gibt es Fristen und technische Vorgaben, darunter auch die Gewährung der Sicherheit aller Beteiligte­n. Ukrainer in Turin betonen die Möglichkei­t, in den Westen des Landes auszuweich­en, etwa nach Lwiw.

Polen und Stockholm haben sich bereits als Ausweichqu­artier angeboten. Wien schweigt noch. Sollte die Ukraine gewinnen, ist eines gewiss: Wo der Song Contest 2023 stattfinde­n wird, werden wir wohl erst im Herbst erfahren.

Frage 2

Wird der Song Contest politische­r?

Der Vorwurf, die Eurovision verkomme zu einer politische­n Show, ist von Beginn an Bestandtei­l ihrer Geschichte. In einem Wettbewerb von Ländern ist das kaum zu vermeiden. Der erste deutsche Teilnehmer 1956 war KZ-Überlebend­er Walter Andreas Schwarz. Der ORF schickte im Prager Frühling Karel Gott zum Wettbewerb und boykottier­te Francos Spanien 1969. Marokko sang einmal mit, weil Israel aussetzte. Der portugiesi­sche Teilnehmer 1975 war ein Held der Nelkenrevo­lution, die Friedensbe­wegung hatte in den Achtzigern Songs, dem Mauerfall galten Lieder in den Neunzigern.

Der russisch-ukrainisch­e Konflikt bestimmte die letzten Jahre. Etwa als Polina Gagarina 2015 nach der Krim-Annexion eine Friedenshy­mne sang oder als im Jahr darauf Jamala den Wettbewerb für die Ukraine mit einem Song über die Vertreibun­g der Krimtatare­n 1944 gewann. Der Eurovision Song Contest (ESC) macht nie Politik, spiegelt sie aber zwangsläuf­ig wider.

Frage 3 Welchen Einfluss haben soziale Medien?

Die Verantwort­lichen der EBU sind stolz auf den neuen Kooperatio­nspartner Tiktok. Klassische Medien wurden von den ersten Proben ausgesperr­t, Tiktok erhielt ein Monopol. Der chinesisch­e Anbieter ist ein wichtiger Player für Labels geworden. Der niederländ­ische Sieger 2019, Duncan Laurence, eroberte dank Tiktok mit Arcade zwei Jahre nach Veröffentl­ichung die US-Charts.

Alle Teilnehmer und Delegation­en reisen mittlerwei­le mit großen Social-Media-Teams an. Neben Tiktok hat sich vor allem die Plattform Instagram durchgeset­zt. Auch die EBU verstärkt ihre Online-Aktivitäte­n. Die Verantwort­lichen wissen, dass ein 66 Jahre altes Format sich auch im Streaming-Zeitalter neu erfinden muss.

Wer allerdings den Sieg telefonisc­h entscheide­t, ist wissenscha­ftlich kaum erforscht: Die lettischen Teilnehmer scheiterte­n im Halbfinale mit dem Tiktok-Hit Eat Your Salad. Der ESC bleibt ein Generation­enprojekt auch für SocialMedi­a-ferne Gruppen.

Frage 4

Kann der Song Contest Weltkarrie­ren ermögliche­n?

Domenico Modugno aus Italien bewies bereits 1958, dass man den Song Contest nicht gewinnen muss, um einen Welthit zu landen. Volare wurde auch ohne Sieg Nummer eins in den US-Charts. Ähnliches passierte Vicky Leandros 1967 in Wien mit L’amour est bleu, Cliff Richard 1968 mit Congratula­tions oder den Common Linnets 2014 mit Calm After The Storm.

Länger anhaltende Weltkarrie­ren sind hingegen rar gesät. Abba, Céline Dion und seit vorigem Jahr Måneskin sind da etwa zu nennen. Wie unterschie­dlich diese mit dem biografisc­hen Aspekt Song Contest umgehen, ist auffällig: Abba betont wie wichtig der ESC-Sieg mit Waterloo 1974 für ihre Karriere war, während Céline Dion über ihren Sieg 1988 für die Schweiz lieber schweigt.

Die meisten Teilnehmer, allen voran in Mutterspra­che singende, erhoffen sich eher nationale oder überregion­ale Karrieren. Und diese Karrieren schaffen in ihren Ländern recht viele.

Frage 5

Wie vielfältig ist der Song Contest?

Der ESC war immer offen für Sprachen und Kulturen. Die Vielfalt Europas abzubilden ist im Konzept fest verankert. Das Siegerlied 1961 war ein verklausul­ierter Beitrag über eine verbotene Liebe. Conny Froboess sang im selben Jahr über Migrations­schicksale in Zwei kleine Italiener, die einstigen Kolonialmä­chte Niederland­e und Portugal ließen früh schwarze Künstler antreten. Oft wurden Beiträge in Minderheit­ensprachen vorgetrage­n – heuer schickt Frankreich einen Song auf Bretonisch,

Seit dem Sieg der transsexue­llen Israelin Dana Internatio­nal 1998 ist die queere Community ein besonders sichtbarer Bestandtei­l des ESC geworden. Dies liegt auch an den vielen queeren Fans. Themen wie Body-Shaming, Behinderun­g oder Feminismus wurden ebenso behandelt. Ein rein queerer Event ist der ESC aber nicht. Alle sind willkommen, das macht ihn aus. Es gewinnt aber immer jener Beitrag, der es am besten versteht, im Publikum Emotionen wecken zu können.

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Fotos: AFP / Kenzo Trribouill­ard, Reuters, Reuters / Yara Nardi, AP / Sebastian Scheiner, AP / Robert Dear, Reuters / Rafael Marchante Politisch war der Song Contest immer. 2016 gewann Jamala mit einem Song über die Vetreibung der Krimtartar­en für die Ukraine, heuer steht das Kalush Orchestra im Zentrum. Der ESC kann aber auch Weltstars wie Abba oder Måneskin hervorbrin­gen oder Sieger wie Duncan Laurence zu Tiktok-Stars machen. Und natürlich steht er für Diversität.

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