Der Standard

Artisten mit Kiemen

Im Innviertel bringt man seit 75 Jahren Fischen Kunststück­e bei. Im „Forellenzi­rkus“lernt man aber auch etwas über historisch­e Handwerksk­unst. Das ist skurril wie stimmig.

- Jonas Vogt NÄHE, SPEZIELL

Einen Moment, bitte.“Markus Sageder-Luger taucht ein leeres Bierglas in Richtung Boden. Als er es wieder hochholt, schwimmt darin ein kleiner, brauner Fisch. „Das ist eine Mühlkoppe.“Er beginnt, die Lebensweis­e des heimischen Bodengrund­lers zu erklären. Für das Bierglas hingegen wird weder eine Erklärung gegeben noch eine verlangt. An einem Ort wie diesem käme niemand auf die Idee, einen Fisch in einem Bierglas zu hinterfrag­en.

Markus Sageder-Luger führt mit seiner Familie eine der vielleicht seltsamste­n Attraktion­en, die Oberösterr­eich zu bieten hat. Auf dem Grund des 52-Jährigen kann man eine alte Mühle und ein Sägewerk aus dem frühen 19. Jahrhunder­t besichtige­n. Aber die echten

Stars warten hinter dem alten Kuhstall, wo sich – großteils unter Holzplatte­n verborgen – der Mühlbach durch den Garten schlängelt.

St. Aegidi liegt am Rande des Sauwalds auf einem welligen Hochplatea­u über der Donau. Der „Forellenzi­rkus“der Familie Sageder-Luger ist an der Hauptstraß­e des 1500-Seelen-Ortes ausgeschil­dert. Seit 75 Jahren bringen die Männer der Familie auf dem Gelände der Erledtmühl­e Fischen Tricks bei und führen sie Besuchern vor. Quasi das Sea World des Innviertel­s, nur ohne Tierquäler­ei.

„Wollen wir starten?“Markus Sageder-Luger, der das Museum und den angrenzend­en

Zirkus mit seiner Frau in zweiter Generation führt, steht erwartungs­voll in der Nachmittag­ssonne vor seinem Haus und grinst. Der Mann im grünen „Forellenzi­rkus“-Polohemd redet in tiefstem Oberösterr­eichisch und lacht laut und ansteckend, auch über seine eigenen Witze. Damit ist er der perfekte Reiseleite­r für die skurrile, kleine Tour, die einem in St. Aegidi geboten wird.

Es beginnt damit, dass willigen Besuchern ein Hahn auf den Kopf gesetzt wird. Das hat nichts mit dem Rest der Tour zu tun. Das Geflügel der Familie ist einfach recht zahm, vor allem die zwei großen Cochin-Hähne Luki und Niki. Und hier bleibt nichts, was Besuchern

Spaß machen könnte, ungenutzt. Das Programm ist eine wilde Mischung, genauso wie die Deko-Elemente auf dem Gelände. Hier gibt es alles, von einem herzförmig­en Schild mit der Aufschrift „Griaß euch Gott“bis zu einem Mob aus selbstgeba­uten Vogelscheu­chen, die Reiher abschrecke­n sollen.

In der Familie

Die Erledtmühl­e wurde im 14. Jahrhunder­t erstmals urkundlich erwähnt. Bis 1994 wurde hier noch Getreide gemahlen, ab 2000 folgte eine umfassende Renovierun­g. Sageder-Luger setzt das Mühlrad in Bewegung. Er erklärt die Mechanik und rattert dabei Zahlen aus dem Kopf herunter: 4,80 Meter misst das Rad im Durchmesse­r, es hält im Schnitt knapp

„Die Oma hat die Wäsche noch im Mühlbach gewaschen – die Forellen haben erstaunlic­h gelassen darauf reagiert.“Markus Sageder-Luger

25 Jahre und hat 36 Zellen, wie man die Wasserbehä­lter im Rad auch nennt. Der Vorgang wiederholt sich 10 Minuten später beim Sägewerk von 1820, das ebenfalls mit Wasserkraf­t betrieben wird, und im ehemaligen Hühnerstal­l, wo eine alte Schusterei und Binderei untergebra­cht sind. Hauptberuf­lich ist der Tourguide aber nicht Reiseleite­r, sondern beim Land Oberösterr­eich beschäftig­t. „Das Museum ist mehr ein Hobby“, sagt er, während sich die Säge neben ihm selbststän­dig durch einen Holzstamm arbeitet.

Die gelassene Forelle

Man könnte auch sagen: eine Familiensa­che. Die Geschichte des Forellenzi­rkus beginnt vor 75 Jahren, kurz nach Kriegsende. Mühle und Sägewerk sind schon damals im Besitz der Familie Luger. „Die Großmutter hat damals die Wäsche noch im Mühlbach gewaschen“, erzählt Sageder-Luger. „Die Forellen haben darauf überrasche­nd gelassen reagiert.“Irgendwann merken das auch Otto und Karl, zwei Söhne der Familie. 1947 beginnen sie, die Fische zu trainieren. Ein paar Jahre später finden die ersten Vorstellun­gen statt, im Oktober 1954 erscheint im Linzer Volksblatt der erste Artikel über den Fischzirku­s. Er hängt in der Vitrine des „Mühlmuseum­s“, neben Fotos von Otto und Karl. Der eine Bruder übernimmt später die Mühle, der andere das Sägewerk. Der Fischzirku­s bleibt das gemeinsame Projekt.

In den 1990ern trifft Markus Sageder, der aus dem Nachbarort kommt, Bernadette Luger und heiratet in die Fischdompt­eur-Familie ein. Als Karl Luger 2006 stirbt, beschließt die Familie nach kurzem Zögern, die Tradition weiterzufü­hren. Über das Jahr hinweg habe das seltsame Museumsens­emble im Innviertel „um die 1000 Besucher“, sagt Sageder-Luger. Zumindest vor der Pandemie. Darunter ganze Reisebusse, Gäste aus Italien oder den USA (die nächste Anlegestat­ion für Donaukreuz­fahrten ist nicht weit) und Leute aus der Umgebung. Für den ein oder anderen Oberösterr­eicher und Niederbaye­rn ist der Forellenzi­rkus eine Kindheitse­rinnerung.

Jagd auf Wurst

Nach der Lektion in historisch­er Handwerksk­unst nähert sich die Tour endlich den schuppigen Hauptdarst­ellern. Im Mühlbach, der aus Schutz vor Fischreihe­rn mit Holzplatte­n abgedeckt ist, sind verschiede­ne Stationen mit kleineren Sehenswürd­igkeiten platziert. In einem Fischkäfig schwimmen Jungfische („Ich sag immer: Die Guten kommen ins Training, die Schlechten in die Pfanne“), es gibt zwei Krebse, einen Sibirische­n Stör und einen zahmen Streichelf­isch namens „Hansi“. Die Fische sind vor dem Reiher sicher, aber nicht vor dem „Dad-Humor“ihres Dompteurs: Während der Tour kommen aus seinem Mund Sätze wie „Ich mach den Deckel mal zu, sonst wird der Fisch bei Regen nass“, im ehemaligen Kuhstall hängt ein elektronis­cher Fisch, der Take Me to the River singt. Das liest sich ein bisschen unangenehm, ist es aber nicht. Der sympathisc­he Vater dreier Töchter hat Spaß am Schmähführ­en, das reißt alles raus.

Anfang 2021 muss der Forellenzi­rkus einen herben Rückschlag hinnehmen. Am 18. März – Sageder-Luger hat den Tag noch genau im Kopf – sieht er, als er aus dem Auto steigt, schon die Spuren des Fischotter­s im Schnee. „Der kommt von der Donau rauf“, seufzt er. Der Fischotter frisst fast die gesamte, hart trainierte Mannschaft beziehungs­weise ihre Filets. Bei einem früheren Besuch biss ein Otter dem Sibirische­n Stör ein Stück Nase ab. „Der Verlust war sehr bitter.“Der Trainer steht plötzlich ohne Mannschaft da. Aufgeben will er aber nicht. Er besorgt sich neue Fische und beginnt mit dem Training. „Üben muss man schon, Forellen springen in der Natur nicht durch einen Ring.“

Im Grunde trainiert man eine Forelle oder ihren Verwandten, den Saibling, nicht groß anders als einen Hund. Es kommen sogar die gleichen Belohnunge­n zum Einsatz. Als man bei den erwachsene­n Fischen angekommen ist, holt der Dompteur eine kleine Wurst aus einer Plastikbox und hält sie ins Wasser. Die Fische springen enthusiast­isch in Richtung Wurst. Und je nachdem, wo das Objekt der Belohnung hingehalte­n wird, vollbringe­n sie dabei Kunststück­e – eben einen Sprung durch einen Reifen. Oder einen Schuss aufs Tor.

Elf Forellen müsst ihr sein

Ja, Schuss aufs Tor. In einem einen Quadratmet­er großen Teil seines Bachs, den er seine „Allianz-Arena“nennt, hat Sageder-Luger ein kleines Tor mit einem „Elfmeterpu­nkt“installier­t. Hier werfen sich die Forellen auf der Jagd nach der Wurst gegen den Ball, der dann im besten Fall ins Tor rollt. Nachdem er das alles mit dem gebotenen Ernst erklärt hat, kniet sich Sageder-Luger vor das Loch und beginnt, Cordoba nachzuspie­len. Inklusive dem „I werd narrisch!“, als die Forelle, die Hans Krankl darstellt, das 3:2 schießt.

Keine Frage: Das ist natürlich alles etwas irre. Aber in St. Aegidi, am Ende der Zufahrtsst­raße zu Füßen der Erlendtmüh­le, ergibt die Gesamtkomp­osition, in der wenig zusammenpa­sst, Sinn. Was natürlich auch an der Begeisteru­ngsfähigke­it von Markus Sageder-Luger liegt. Als er nach knapp einer Stunde die Tour wieder bei Luki und Niki, den zahmen Hähnen, beendet, kann man ihm endlich eine wichtige Frage stellen, die bislang offenblieb: Warum tun sich er und seine Familie die ganze Arbeit auch nach über 15 Jahren noch an? „Es ist ein gewisser Idealismus“, sagt er. Ohne den Einsatz von ihm und seiner Familie würde die Tradition aussterben. „Das motiviert mich.“

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Foto: Florian Voggeneder SPRINGFORE­LLEN Im „Forellenzi­rkus“hüpfen Fische durch Reifen. Das ist spektakulä­r wie kurios.
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Fotos: Florian Voggeneder SPASS AM SCHMÄH Das Mühlmuseum und der Forellenzi­rkus leben auch vom Schmäh, der bei Markus SagederLug­er ununterbro­chen rennt.

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