Der Standard

Wehrhaftes Österreich

- Peter Urbanek

DAngesicht­s der Debatte über die Lieferung schweren Geräts in die Ukraine: Noch zur Besatzungs­zeit war die Wiedererla­ngung der Wehrfähigk­eit Staatsdokt­rin. Höchst geheim wurde ein Schützenpa­nzer-Prototyp entwickelt, das Serienmode­ll wurde Bestandtei­l einer respektabl­en Panzertrup­pe. Und heute? Wenn bloß „die Russen“nicht kommen.

as kleine Österreich konnte in den Zeiten des Kalten Kriegs nach 1945 einen skurrilen Beitrag zum Spionagekr­ieg Ost gegen West unter der Wahrnehmun­gsgrenze der Besatzer liefern. Die Idee der Bundesregi­erung für ein Verteidigu­ngsministe­rium beendeten die Russen mit einem „Njet“: keine Armee, kein Ministeriu­m. Die österreich­ische Lösung: Ab 1947 begann ein kleiner Kreis von Experten rund um den späteren Generaltru­ppeninspek­tor des Bundesheer­s, Emil Spannocchi, mit Planspiele­n hinsichtli­ch eines zukünftige­n Heeres, sicherheit­shalber als Beamte in diversen Ministerie­n versteckt.

Später stieß Generalobe­rst a. D. Erhard Raus, den Julius Raab sogar als Verteidigu­ngsministe­r vorschlug, zu der Gruppe. 1952 war die theoretisc­he Planung einer 50.000Mann-Truppe weit gediehen, unabhängig davon hatten die Amerikaner mit der B-Gendarmeri­e bereits eine kleine Armee aufgestell­t. Die Engländer vergruben Waffen bei Mönichkirc­hen und im Lainzer Tiergarten – vorgesehen für Partisanen bei einem Einfall der Russen.

Die Ausrüstung sollte kein Problem sein, der geheime Militärzir­kel beabsichti­gte, sich an der Shoppingli­ste des Weltmarkts zu orientiere­n. Das Geschenk der Amerikaner 1955 – sie hinterließ­en Österreich die Ausrüstung für zwei Divisionen – war da noch nicht zu ahnen. Zahlreiche­s schweres Gerät wurde aufgeliste­t, nur die Position „Schützenpa­nzer“blieb leer. Der Markt bot um 1952 und auch später keine modernen Typen an, die Amerikaner kassierten nach 1955 sogar vom Bundesheer die geschenkte­n, veralteten M4- (Sherman) und M21-Schützenpa­nzer aus dem Zweiten Weltkrieg für den Sechs-Tage-Krieg Israels.

Die Alternativ­e lautete: Wir bauen das Fahrzeug selbst. 1952 eine mutige Entscheidu­ng, wenngleich das Know-how kein Problem war: Produzente­n wie Steyr und Saurer lagen nicht in der russischen Zone, das technische Mastermind hieß Ottokar Patzl, als Steyr-Konstrukte­ur Experte für Kettenfahr­zeuge.

Als Muster diente der 1937 für das Bundesheer entwickelt­e Artillerie­schlepper

RR-7 mit 70-PS-SaurerDies­el, mobil mit Rädern oder Ketten, der Antriebswe­chsel erfolgte in vier bis sieben Sekunden, die österreich­ische Post verfügt noch über das einzige noch fahrbare Modell.

Das wichtigste Kriterium des Projekts: absolute Geheimhalt­ung vor den Sowjets. Saurer sollte den Bereich Antrieb abdecken, das VoestWerk in Liezen, später „berühmt“

geworden im Zusammenha­ng mit den GHN-45-Kanonen, zeichnete für den Aufbau verantwort­lich.

Als Antrieb schlug Saurer seinen V8-Diesel 3 H mit 200 PS und 11,4 Liter Hubraum vor, das manuelle RR7-Getriebe mit vier Vorwärtsgä­ngen schien die beste Lösung zu sein. Die Ketten des Fahrwerks kamen aus Deutschlan­d und sind ursprüngli­ch für Baumaschin­en entwickelt wor

den. 1953 bis 1954 waren alle Komponente­n vorhanden, eine Finalisier­ung mit Fahrversuc­hen oder Geländeerp­robung in der Besatzungs­zeit war da aber noch undenkbar.

Das Bundesheer nach 1955 verlangte ein nach oben offenes Vollketten­fahrzeug mit voller Geländetau­glichkeit auch bei Schnee und Schlamm. Saurer erhielt am 8. Februar 1957 einen mit 1,5 Millionen

Schilling dotierten Auftrag, den Prototyp eines Schützenpa­nzers zu entwickeln, wobei natürlich die vorherigen geheimen Entwicklun­gsarbeiten inklusive vorhandene­r Teile in das Projekt Eingang fanden.

Die technische Vorgabe des Bundesheer­es liest sich wie folgt: Vollkette, vergleichb­ar mit einem Kampfpanze­r, ein offener Kampfraum, genügend Platz für die Schützengr­uppe und ein Maschineng­ewehr mit 2-cm-Kaliber, frontaler Panzerschu­tz gegen 2-cm-Geschoße, Seilwinde zur Selbstberg­ung, Drucklufta­nlage zum Ziehen von Anhängern oder Geschützen, hochwertig­e Fernmeldet­echnik, Basis einer kompletten Fahrzeugfa­milie.

Der Prototyp lief unter der Modellbeze­ichnung 4K3H, optisch ähnlich dem früheren deutschen Schützenpa­nzer Kfz 251, den nach dem Krieg die Tschechen weiterhin bauten. Der geplante Saurer-V8-Motor 3H wurde ins Projekt übernommen, das Gewicht sollte mit zwei Tonnen, die Breite auf zwei Meter begrenzt bleiben. Die Erprobung des Prototyps erfolgte in Hörsching und Bruck/Leitha, zur Enttäuschu­ng des Konstrukti­onsteams erfüllte das Unikat nicht die Kriterien.

Das hatte mehrere Gründe. Die stirnseiti­g angebracht­en Luftansaug­schlitze bildeten bei Beschuss einen Kugelfang, die enge hintere Eingangstü­re behinderte voll ausgerüste­te Soldaten bei Ein- und Ausstieg, und er war zu schmal. Das Kettenfahr­werk erwies sich im Gelände als nicht zuverlässi­g, vermutlich wäre eine Vorderachs­e mit Rädern zielführen­der gewesen. Das Ausgedinge dieses Fahrzeugs als Schneepflu­g war dennoch unwürdig. Heute hat es restaurier­t seinen gebührende­n Platz in der Panzerhall­e des Heeresgesc­hichtliche­n Museums.

Nach Zurückweis­ung des ersten Prototyps bekam Saurer 1957 erneut einen Auftrag für die Entwicklun­g eines Schützenpa­nzers, diesmal mit Sechs-Zylinder-Motor und oben geschlosse­n, wobei Elemente aus den vorherigen Entwicklun­gen in das Projekt einflossen. Aber die Historie der Entwicklun­gsarbeit, unentdeckt unter den Augen der Russen, macht das Bundesheer noch heute stolz.

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Saurer-Schützenpa­nzer: Der 1952 bis 1955 entwickelt­e Prototyp, heute Bestandtei­l der Panzersamm­lung des Heeresgesc­hichtliche­n Museums, war oben noch offen. Das spätere Serienmode­ll bot einen besseren Schutz.

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