Der Standard

Der Borschtsch ist noch warm

Belarussis­ches Sozialdram­a mit Donbass-Bezug: „Opium“von Witalij Korolew feierte im Werk X Wien deutschspr­achige Erstauffüh­rung. Ohne den Autor.

- Margarete Affenzelle­r

Nachdem die russische Besetzung der Ostukraine 2014 begonnen hatte, schrieb der belarussis­che Autor Witalij Korolew ein Theaterstü­ck über eine prekär lebende Familie, deren älterer der beiden Söhne sich gezwungen sieht, als Söldner in den Donbass zu gehen. Es war eines der ersten Stücke, das die Kriegssitu­ation zum Thema hatte.

Tatsächlic­h konnte das Sozialdram­a, in dem der belarussis­che Staat und seine Fürsorgepo­litik nicht sonderlich gut wegkommen, im Jahr darauf bei einem Theaterfes­tival in Minsk gezeigt werden. Die Veranstalt­er selbst waren verwundert. Opium entstand im Rahmen einer geförderte­n Werkstatt für junge Dramatik und hat nun in der Übersetzun­g von Lydia Nagel deutschspr­achige Erstauffüh­rung im Werk X in Meidling gefeiert.

Wasserrati­onierung

Im Vorjahr bereits, also vor Beginn des russischen Angriffskr­ieges im Februar, hatten die beiden 2023 scheidende­n Werk-X-Leiter Ali M. Abdullah und Harald Posch die Übersetzun­g in Auftrag gegeben.

Opium spielt in der Kleinstadt Rahatschou am Dnjepr und zeigt eine armutsgefä­hrdete dreiköpfig­e Familie – eine Mutter mit ihren jungen erwachsene­n Söhnen –, die mit den Zumutungen von Teuerungen, mieser Grundverso­rgung (Wasserrati­onierung) und Arbeitslos­igkeit zu kämpfen hat.

Genderpoli­tisch braucht man hier nicht nachzubohr­en, die Stereotype werden offensiv zur Schau gestellt: Die Mutter (Sylvia Haider) ist Hausfrau („Der Borschtsch ist noch warm“), ängstlich und kränklich; ihre Söhne die Macher. Der eine namens Andrej (Niklas Doddo) ringt um einen geförderte­n Studienpla­tz und kann nicht fassen, dass seine Freundin Tanja (Josephine Bloéb) ihn verlässt. Der ältere Kolja (Sören Kneidl) hat seine Arbeit als Mechaniker verloren und fühlt sich als alleinig verantwort­licher Ernährer. Weil er in Belarus keine gute Stelle findet, geht er als Söldner in den Donbass. Ein Riesenkonf­likt.

Das Stück zeichnet auch das Auseinande­rfallen ideologisc­her Überzeugun­gen nach: Andrejs Freund Stas (Luka Vlatković) entpuppt sich als Amerika-Hasser, der sämtliche seiner homophoben und antisemiti­schen Vorurteile in einen Satz gepackt bekommt. Deftige Sprache durchzieht das Stück. Über die Ukraine sagt er (anno 2015): „Unter Janukowits­ch hatten die da wenigstens noch ein normales Leben. Und jetzt fressen sie Scheiße! Geschieht denen aber auch ganz recht. Mussten sich ja unbedingt mit Russland anlegen.“

Harald Posch schneidet in seiner auf hohem Eskalation­sniveau gehaltenen, neunzig Minuten dauernden Inszenieru­ng Fußnoten zur aktuellen Russland-Debatte zwischen die Szenen: Schauspiel­erin Victoria Nikolaevsk­aja rekapituli­ert die Entwicklun­gen

der letzten Monate, listet die wirtschaft­lichen und politische­n Beziehunge­n Österreich­s mit Russland (auch nach 2014) penibel auf. Das gibt dem Stück einen aktuellen Anstrich.

Auf einer hoch aufragende­n, zweigescho­ssigen Gerüstfron­t (Bühne und Kostüm: Daniel Sommergrub­er) finden alle Schauplätz­e des Stücks Platz. Ganz oben die Wohnung der Familie mit Puppenstub­enflair, unten die Wohnung des seine Aggression­en beim ComputerKr­iegsspiel auslebende­n Freundes, plus zwei seitlich im Set sitzende Livemusike­r (Maxim Franke und Fritz Rainer an Elektrogei­ge und Schlagzeug), die zwischendu­rch gern Dezibelorg­ien feiern.

Belarussis­che Dramatik ist im Westen kaum bekannt. Welche Themen Autorinnen und Autoren beschäftig­en, ist ab Juni in der neu erscheinen­den Belarus-Anthologie von Theater der Zeit nachzulese­n. Auch Witalij Korolew ist vertreten. Er wurde zur Premiere nach Wien eingeladen, die österreich­ische Botschaft in Moskau hat den Visumsantr­ag abgelehnt.

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Foto: Alex Gotter Student Stas (Luka Vlatković), ein Russland-Fan, in „Opium“.

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