Der Standard

Die Loyalität der Neuen wird zur Gretchenfr­age

Anders als sein Vorgänger hat Bundeskanz­ler Karl Nehammer Ministerpo­sten nach altem ÖVP-Muster besetzt. Das könnte ihm noch Probleme bereiten, wenn die Länder andere Interessen verfolgen als er.

- Katrin Praprotnik KATRIN PRAPROTNIK

Die Ministerin­nen Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck haben diese Woche ihren Rücktritt von ihren Ämtern bekanntgeg­eben. Damit verlassen die beiden letzten aus dem Kabinett Kurz I verblieben­en Regierungs­mitglieder die politische Bühne. Eine erneute Umgestaltu­ng der Bundesregi­erung wurde notwendig. Zum Zug kamen die starken Landespart­eien (Tirol, Niederöste­rreich) sowie Teilorgani­sationen (Bauernbund, Wirtschaft­sbund). Man kennt diese Logik der Postenbese­tzung aus der Zeit der schwarzen ÖVP.

Überrasche­nd mag dies nur scheinen, weil das derzeit geltende ÖVP-Parteistat­ut dem Parteiobma­nn (oder einer Parteiobfr­au) weitreiche­nde Rechte einräumt. Er alleine darf entscheide­n, wer auf der Regierungs­bank Platz nehmen darf. Erfolgreic­h eingeforde­rt und auch umgesetzt wurde die Regelung vom ehemaligen Parteiobma­nn Sebastian Kurz. Realpoliti­sch wurden diese Machtbefug­nisse aber nicht durch die Statutenre­form, sondern durch die Wahlerfolg­e und guten Umfragewer­te von Kurz getragen. Nehammer hat hier noch zu wenig vorzuweise­n, die Stimmen aus den Ländern wurden deswegen wohl wieder mehr gehört. Im Gegensatz zu Kurz werden bei Nehammer damit keine weiteren politische­n Quereinste­igerinnen und Quereinste­iger ins Team aufgenomme­n.

Diese waren gerade bei Kurz sehr beliebt, denn sie brachten fachliche Qualifikat­ion aus der Wirtschaft mit, besaßen aber keine eigene Machtbasis in der Partei. Daraus folgte ein loyales Verhalten gegenüber dem Parteichef, dem sie den eigenen Posten zu verdanken hatten, und auch keine eigenen Bestrebung­en auf eine weitere parteipoli­tische Karriere. Doch die Spitzenpol­itik ist kein einfaches Geschäft: Mit Blick auf die letzten Regierunge­n zeigt sich, dass sich Quereinste­igerinnen und Quereinste­iger in der Regel weniger lang im Amt halten.

Verschnauf­pause gönnen

Ein längeres Durchhalte­vermögen würde der Politik eine Verschnauf­pause gönnen und der Bevölkerun­g Zeit geben, sich an die neuen Gesichter zu gewöhnen. Darüber hinaus ist es absolut nachvollzi­ehbar, dass starke Landes- und Teilorgani­sationen einer Partei auch über eine entspreche­nde Personalre­serve verfügen, um derartige Ämter zu besetzen. Alles andere wäre ein schlechtes Zeichen. Nehammer kann von dieser Expertise in seinem Team profitiere­n: Mit Norbert Totschnig wurde der Direktor des

Bauernbund­es neuer Landwirtsc­haftsminis­ter. Finanzstaa­tssekretär Florian Tursky war davor Büroleiter des Tiroler ÖVP-Landeshaup­tmanns Günther Platter. Und Susanne Kraus-Winkler, Staatssekr­etärin im aufgewerte­ten Arbeitsmin­isterium, ist Niederöste­rreicherin und Wirtschaft­sbündlerin.

Die Herausford­erung wird es allerdings sein, sich die Loyalität der Neuen im eigenen Team zu sichern. Regieren bedeutet immer auch delegieren und beinhaltet somit die Gefahr, dass die eigenen Leute vom ursprüngli­chen Plan abweichen. Auch wenn Nehammer bei der Vorstellun­g der Neuen sein persönlich­es Vertrauens­verhältnis zu den jeweiligen Personen betonte und eine Postenbese­tzung nach Parteilogi­k verneinte – durch ihre berufliche Herkunft sind die Neuen im Team nicht nur mit Nehammer verbunden. Die frühere enge Beziehung etwa zu den Landespart­eien kann diesen einen direkten Kanal in die Bundespoli­tik und somit Einfluss sichern. Bei unterschie­dlichen Bund-Länder-Interessen wird die Loyalität daher zur Gretchenfr­age.

ist Projektlei­terin des Austrian Democracy Labs an der Universitä­t Graz und Mitarbeite­rin am Institut für Strategiea­nalysen.

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Ganz neu im Regierungs­team von Karl Nehammer (ÖVP) – oder aufgewerte­t (v. li.): Norbert Totschnig, Susanne Kraus-Winkler, Florian Tursky, Claudia Plakolm und Martin Kocher.
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