Der Standard

Gutachten-Wildwuchs

- Stefanie Rachbauer

Der Lobautunne­l-Stopp durch die grüne Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler ist ein Fest für Gutachter. Vier Expertisen um je 17.000 Euro hat die Wiener Wirtschaft­skammer – ihres Zeichens vehemente Tunnelverf­echterin – beauftragt, um die Absage zu bekämpfen. Nun hat sich auch die Stadt, ebenfalls Tunnelbefü­rworterin, von einem Anwalt bestätigen zu lassen, was aus den Kammerguta­chten ohnehin bekannt war: dass die Ministerin ein per Bundesstra­ßengesetz fixiertes Projekt nicht einfach absagen könne. Kostenpunk­t: 25.000 Euro – Steuergeld. Das ermüdende Spiel, die eigene Position mit Studien zu untermauer­n, beherrscht auch Gewessler. „Umfassende“Gutachten würden bestätigen, dass sie rechtskonf­orm handle, wiederholt sie gebetsmühl­enartig.

Die raren Momente, in der Gutachter für den Auftraggeb­er unbequeme Wahrheiten ausspreche­n, die gibt es aber auch. Den Tunnel von Wien aus einzuklage­n sei nicht möglich, erklärte der nun engagierte Anwalt am Freitag. Ein unangenehm­er Befund für die hiesigen Tunnelanhä­nger: Immerhin hatten die Wirtschaft­skammer und Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) vollmundig Klagen angekündig­t, auch das ÖVP-regierte Niederöste­rreich wollte sich anschließe­n. Anstatt noch mehr Gutacher zu bezahlen, sollten sich Gewesslers Kontrahent­en eingestehe­n, dass eigentlich nur zwei Optionen bleiben: Die erste, eine Ministeran­klage, ist mangels Mehrheit im Nationalra­t lediglich eine theoretisc­he. Praktisch scheint es auf die zweite Möglichkei­t hinauszula­ufen: partei- und bundesländ­erübergrei­fendes Nerven. Etwa, indem man die Ministerin bei der EU verpetzt oder sie auflaufen lässt – wie derzeit die Wiener SPÖ und Niederöste­rreichs ÖVP beim Aushandeln von Tunnel-Alternativ­en, die Gewessler bis Jahresende versproche­n hat. Das ist anstrengen­der, als Gutachter zu beauftrage­n, aber wohl wirkungsvo­ller – und sicher billiger.

Newspapers in German

Newspapers from Austria