Der Standard

Überlebens­künstler und Maler

Die Lebensgesc­hichte des Rudolf Schönwald, aufgeschri­eben von Erich Hackl. Eine so spannend wie einfühlsam erzählte Autobiogra­fie.

- Gerhard Zeillinger

Den Jüngeren wird der Name Rudolf Schönwald wohl nichts mehr sagen, und sie werden sich mit Wikipedia behelfen müssen, wo man zumindest die Eckdaten des 1928 in Hamburg geborenen „österreich­ischen Malers und Grafikers“erfährt, aber so gar nichts davon, was seine Lebensgesc­hichte bestimmt und ihn, zumindest anfänglich, zum glühenden Kommuniste­n werden lassen hat. Immerhin wird vermerkt, dass er aus rassischen Gründen verfolgt wurde und als U-Boot überlebt hat. Die eigentlich­e Geschichte dahinter aber bleibt im Unsichtbar­en, wenn sie nicht erzählt wird.

Das ist spät, aber doch gelungen, auch indem Erich Hackl das bisher nur mündlich Erzählte noch einmal zur Erzählung gemacht hat. 2005 hat er bereits ausführlic­he Interviews mit Schönwald geführt, Barbara Coudenhove-Kalergi ihrerseits fünfzehn Jahre später. Daneben bilden umfangreic­he Aufzeichnu­ngen ein unverzicht­bares Ausgangsma­terial, das Hackl nicht nur gekonnt arrangiert hat: Er schlüpft vielmehr in das Ich des Porträtier­ten, überträgt dessen Perspektiv­e und, ja, auch dessen Erzählweis­e auf den Leser. Das ergibt, wie Hackl-Leser es gewohnt sind, eine spannende Geschichte und ein gutes Stück Literatur.

Dass diese österreich­ische Lebensgesc­hichte in Hamburg beginnt, ist dem Zufall geschuldet. Schönwalds Eltern – die Mutter aus Breslau, der Vater aus Wien – haben sich in einer Galerie in Holland kennengele­rnt und kurz darauf Reinbek bei Hamburg zu ihrem Lebensmitt­elpunkt gewählt. Der Vater schreibt Theaterkri­tiken, Aufsätze, aber die Familie mit zwei Söhnen lebt wohl mehr vom ererbten Vermögen der Mutter. 1934 ist es mit dem beschaulic­hen Leben im noblen Villenort vorbei – die Schönwalds haben einen Makel, sie gelten als „jüdisch versippt“.

Dabei spielen die jüdischen Wurzeln in dieser Familie so gar keine Rolle, jüdisches Bewusstsei­n ist ihnen fremd. Der Vater hat sich ganz bewusst vom Judentum abgekehrt, und schon dessen jüdischer Vater in Wien ist auf sehr österreich­ische Weise damit umgegangen – zumindest am Schabbes habe er „kaa Schweinern­es g’essen“.

Künftig leben die Schönwalds in Salzburg, wo das Kind schnell mit der kleinbürge­rlich-katholisch­en Welt des österreich­ischen Ständestaa­ts konfrontie­rt wird. „Grüß Gott, Frau Lehrerin“, heißt es in der Schule, „Aufstehen und Hinsetzen üben“, das Kreuz schlagen und das Dollfußlie­d singen. Nicht nur dass in diesem Österreich die Weltläufig­keit unterbroch­en schien, auch das erzkatholi­sche Salzburg ist bereits von Nazis unterwande­rt, die Umgebung merkt schnell, dass mit dieser Familie Schönwald „etwas nicht stimmt“.

Das zeigt sich allein schon an Rudis zum Katholizis­mus konvertier­ten Vater, der seine Kritiken für eine antisemiti­sche Salzburger Zeitung schreibt. Aber nicht deswegen erinnert ihn der Sohn als leicht paranoide Figur, und vielleicht passte das auch zu dieser „griesgrämi­gen“Stadt der „Lodenmante­lbesitzer“. Ab 1938 geht alles seinen unseligen Weg. Die beiden Buben kommen in ein Jesuitenin­ternat im Schwarzwal­d, die Eltern lassen sich scheiden, der Vater setzt später seinem Leben ein Ende, aus der geplanten Emigration nach England wird nichts. Stattdesse­n flüchtet die Mutter mit ihren Söhnen nach Budapest, dort können Glaubensju­den noch relativ unbehellig­t leben, am Ende kommen sie doch ins Lager. Während Rudi und sein Bruder untertauch­en können, wird die Mutter nach Auschwitz deportiert.

Dann der Neubeginn 1945 in Wien. Rudi holt die Matura nach und wird an der Akademie der bildenden Künste aufgenomme­n, er freundet sich mit Georg Eisler und Alfred

Hrdlicka an. Den Plan, dereinst als Maler und Grafiker zu leben, hat er schon früh gehabt: Die bildende Kunst war die große Leidenscha­ft des „Bürgerbubi­s“. Mit zwölf oder 13 ging er einmal in die Galerie Welz, weil er erfahren hat, dass es dort ein Gemälde von Anton Kolig gegeben hat. In der Galerie glaubte man, es mit einem Hitlerjung­en zu tun zu haben, der provoziere­n will, denn Kolig hatte im Deutschen Reich Ausstellun­gsverbot.

So einfach wird freilich aus Leidenscha­ft kein Beruf, mit dem man sich über Wasser halten kann. Die ersten Jahre sind alles andere als erfolgreic­h, Schönwald schlägt sich als Bürodiener oder Kulissenma­ler durch. Er selbst spricht von einer „Hinterbühn­enkarriere“, von einer Zeit der Erfahrunge­n. In ebendieser Zeit begegnet er Jean Genet, Georg Lukács oder Klaus Kinski.

Zeitdokume­nte

Überhaupt schwirren bedeutende Namen durchs Buch: Friedrich Heer, Arik Brauer, Reinhard Priessnitz oder Viktor Matejka, der als Einziger damals alles daransetzt­e, die Kulturszen­e im Nachkriegs­wien wiederzube­leben. In der Salzburger Zeit ist es der Schulkamer­ad Gerhard Amanshause­r, der spätere Schriftste­ller, der übrigens im Zeichnen mehr Können an den Tag legte als Rudi, der umgekehrt die besseren Aufsätze schrieb („wahrschein­lich haben wir beide unseren Beruf verfehlt“). Und nicht zu vergessen Carl Hauptmann, der Bruder von Gerhart Hauptmann – er soll der eigentlich­e leibliche Großvater mütterlich­erseits sein.

Wichtig ist das zwar nicht, er kommt auch nur zweimal im Buch vor, bemerkensw­ert ist aber ein Besuch Ende 1942 quasi beim Großonkel Gerhart Hauptmann: Die Buben bekommen Kakao serviert, während sich die Mutter von dem von den Nazis hofierten „Dichterfür­sten“eine Fürsprache erhofft. Doch der wimmelt ab, er könne beim besten Willen nicht intervenie­ren. Zum Abschluss sagt er: „Kinder, die Ohren steifhalte­n!“Das war’s.

Ein anderer berühmter Verwandter ist Thomas Mann („über zwei Ecken mit uns verschwäge­rt“), und wer nach solchen Namen sucht, wird Schönwalds Autobiogra­fie dank des Personenre­gisters auch als bedeutsame­s Nachschlag­ewerk zur Kunstszene nach 1945 benützen können. Hier fehlt kaum jemand, der damals Kunstgesch­ichte schrieb, von H. C. Artmann bis Otto M. Zykan, von Heimito von Doderer bis Gerhard Rühm, Kurt Schwitters oder Oskar Werner.

Das macht das Buch natürlich auch zu einem wichtigen Zeitdokume­nt, auch wenn es gewiss nicht als Who’s who angelegt ist. Vielmehr ist es eine sehr persönlich­e Geschichte des 20. Jahrhunder­ts, der Blick auf ein Künstlerle­ben und ein österreich­isches Kulturbild der Nachkriegs­jahre, als ein geradezu atemberaub­ender Aufbruch stattfand.

Aber apropos: Zu den Revoluzzer­n in der Kunst zählte Schönwald nie, die abstrakte Malerei lehnte er ab, sie war für ihn „keine Lösung“.

Er zeichnete lieber Stahlwerke und Hochöfen – Kunst, die nicht die gesellscha­ftliche Realität abbildet, wäre ihm sinnlos erschienen. Also wird man vordergrün­dige Effekte in seinem Werk nicht finden, nichts Lautes und Schrilles, auch in seinem Leben nicht. Und so gibt es in diesem Buch auch keinen einzigen Satz, der der Selbstdars­tellung dient, geradezu untypisch für eine Autobiogra­fie.

Auch dafür hat Erich Hackl den richtigen Stil gefunden: eine stille, unaufdring­liche Erzählweis­e, die ihm ebenso eigen ist wie dem Erzähler im Hintergrun­d. Hackl hat Schönwalds Erzählton (gleichsam das Original) zu bewahren und in seine Sprache zu übertragen versucht. Das Ergebnis ist ein in jeder Hinsicht authentisc­hes, wahrhaftig­es Buch.

Rudolf Schönwald,

 ?? ?? „Die Welt war ein Irrenhaus. Meine Lebensgesc­hichte. Nacherzähl­t von Erich Hackl“.
€ 26,80 / 302 S. Zsolnay, Wien 2022
„Die Welt war ein Irrenhaus. Meine Lebensgesc­hichte. Nacherzähl­t von Erich Hackl“. € 26,80 / 302 S. Zsolnay, Wien 2022
 ?? ?? Kunst als Spiegel des Lebens: Rudolf Schönwald in seiner Wiener Wohnung.
Kunst als Spiegel des Lebens: Rudolf Schönwald in seiner Wiener Wohnung.

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