Gemma schaun ...!
Gemma schaun, gemma schaun!“, hallt es seit jeher durch Wiener Gassen, wenn irgendwo irgendein Bahöö, a Remassuri oder sonst ein Spektakel zu versäumen wäre. Das Schauen an sich, das Beobachten, das Zur-Schau-Stellen zählt zu den liebsten Vergnügungen des nur sprichwörtlich goldenen Wiener Herzens. Im Mittelalter waren Bäckerschupfen oder der Pranger so beliebt wie Schlittenfahrten am Markt oder Schiffsduelle im Burghof. Watschenmann und Calafati im Prater sind durch das Internetz abgelöst – in dieser Kloake frönt der g’lernte Wiener „ois wia da Rest von dera Wöd“dem anonymen Anpöbeln. So a Hetz – ganz ohne die VHS-Kurse „Aufpudeln Teil 1 bis 3“absolviert zu haben. Die degoutanten Abgründe der sadistisch-voyeuristischen Mentalität echter Weana Batzi rufen Straßenwaschaktionen des Jahres 1938 mit Grauen in Erinnerung. „Gemma schaun“wortwörtlich genommen kann man aber naturgemäß auch in Bezug auf gepflegte Kulturgenüsse verwenden – Theater, Kino etc. Mit Geschichte und Status quo der „letzten“Wiener Kinos hat sich Juliane Batthyány seit Jahren beschäftigt. Als sie zufällig beim Abbruch des Imperial-Kinos den Charme der alten Gemäuer und ihrer aus der Zeit gefallenen Interieurs entdeckte, beschloss sie, die vom Aussterben bedrohte Spezies fotografisch für die Nachwelt festzuhalten. Ihre Dokumentation reicht vom legendären Bellaria-Kino und seinem Kasperlhimmel über das plüschige Metro bis zum Resopal-Brutal etwa eines Schikaneder oder Votiv-Kino. Von Charme désolé kann nicht immer die Rede sein. Melancholie strahlen alle Fotos der 1974 Geborenen aus. Gerüchten zufolge hieß Wiens ältestes Pornokino „Auge Gottes“.Genial, wunderbar, lebendig! Gregor Auenhammer
Juliane Batthyány, „Wiener Kinos“. € 29,– / 232 Seiten. Phoibos-Verlag 2022, Wien 2022. Tipp: Ausstellung im Treffpunkt Lerchenfeld, Wien 7, Lerchenfelder Straße 141, bis 8. Juli ’22