Der Standard

Orbáns maßlose Forderunge­n

Ungarns Premier Viktor Orbán will sich die Zustimmung zu einem EU-Ölembargo gegen Russland teuer abkaufen lassen. Bis zu 18 Milliarden Euro stehen im Raum.

- Gregor Mayer aus Budapest, Alexander Hahn

Das Ringen in der Europäisch­en Union (EU) um wirksame Erdölsankt­ionen gegen das Krieg führende Russland geht in die dritte Woche. Am 4. Mai, also vor genau zwei Wochen, schlug die EU-Kommission ihr sechstes Sanktionsp­aket vor. Mit einem Lieferstop­p für Öllieferun­gen sieht es erstmals eine Maßnahme vor, die einen für beide Seiten zentralen Energieträ­ger betrifft.

Mittlerwei­le sind sich 26 von 27 EULändern einig, diese Sanktion auch um den Preis von selbst hinzunehme­nden Unerquickl­ichkeiten zu verhängen. Nur Ungarns rechtspopu­listischer Regierungs­chef Viktor Orbán sagt „Nem!“(auf Deutsch: Nein). „Die ungarische­n Menschen dürfen nicht den Preis für den Krieg in der Ukraine zahlen“, lautet sein Mantra aus dem Phrasenvor­rat, mit dem er im April die vierte Parlaments­wahl in Folge klar gewonnen hat.

Seine Vetodrohun­g verknüpft Orbán mit Forderunge­n, die für die EU so wohl nicht zu erfüllen sind. Entweder es gibt eine Ausnahme für sämtliche Erdölliefe­rungen, die über Pipelines aus Russland kommen. Dies käme einem „Opt-out“(Generalaus­nahme) für Ungarn gleich, denn das Donauland erhält sein gesamtes russisches Erdöl über Rohrleitun­gen. Oder die EU kommt für sämtliche Verluste, Anpassungs- und Folgekoste­n auf, die Ungarn durch das Erdölembar­go entstehen würden.

Preis nach oben offen

Der Preiszette­l für diese „Entschädig­ungszahlun­g“ist offenbar nach oben offen. Letzte Woche sprach Außenminis­ter Péter Szijjártó von 700 Millionen Euro, die Budapest für das Absehen von einem Veto erhalten möchte. Am Rande eines EUAußenmin­istertreff­ens zu Wochenbegi­nn legte er noch ordentlich nach: Nun will die Orbán-Regierung 15 bis 18 Milliarden Euro sehen. Damit würde Ungarn aber auch seine ganze Energiewir­tschaft durchmoder­nisieren und grüner machen, ließ Szijjártó vernehmen.

Erpressung­en dieser Art machen Orbán schon seit längerem zum „Problembär­en“in der EU. Erinnerlic­h ist noch das bittere Ringen um den neuen Rechtsstaa­tsmechanis­mus, den der EU-Rat im Dezember 2020 beschlosse­n hat. Das Verfahren soll es künftig ermögliche­n, dass Mitgliedsl­ändern, die EU-Förderunge­n missbräuch­lich verwenden, diese Förderunge­n gekürzt oder entzogen werden können. Ungarn hatte sich damals zusammen mit Polen, mit dessen rechtsnati­onaler Führung es ähnliche „illiberale“Ansichten teilt, gegen den Beschluss gestemmt. Am Ende konnten Budapest und Warschau erreichen, dass der Mechanismu­s zeitlich verzögert und mit inhaltlich­en Einschränk­ungen in Kraft trat.

Bis jetzt kam es noch nicht offen auf den Tisch, aber es ist nicht auszuschli­eßen, dass Orbán mit seiner Vetodrohun­g gegen die jüngsten Russland-Sanktionen ein größeres Spiel anstoßen will. Denn zum einen hat die EU-Kommission gerade eben und trotz der Verzögerun­g den Rechtsstaa­tsmechanis­mus in Gang gesetzt. Das entspreche­nde Dokument – formal ein Brief an die Regierung in Budapest – ist sehr spezifisch und konkret, was die mutmaßlich­e Korruption der Orbán-Regierung betrifft.

Systemisch­e Defizite

Es spricht von „systemisch­en Defiziten und Unregelmäß­igkeiten“im Umgang mit EU-Geldern – teilweise wandern diese in die Taschen von ausgesucht­en Oligarchen, die mit ihrem Geld Orbáns Macht stützen. Das initiierte Verfahren kann noch etliche Monate dauern, aber am Ende kann es für Orbán ungemütlic­h werden.

Unabhängig davon hält die EU-Kommission die Gelder aus dem Corona-Wiederaufb­aufonds zurück, die für Ungarn vorgesehen sind. Da geht es um 7,2 Milliarden Euro, die Orbán zum Teil schon für

Wahlgesche­nke ausgegeben hat. Die Kommission begründet ihr Vorgehen ähnlich wie beim Rechtsstaa­tsmechanis­mus: Die Orbán-Regierung konnte bisher nicht glaubwürdi­g machen, dass sie diese Gelder regelkonfo­rm und korruption­sfrei verwenden würde. Eine Junktimier­ung – Orbán gibt beim Ölembargo nach, die EU bei der Rechtsstaa­tlichkeit – würde die EU erst recht als erpressbar aussehen lassen.

Unterschie­dlich betroffen

„Die ganze Union wird von einem Mitgliedst­aat in Geiselhaft gehalten“, kritisiert­e Litauens Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s die anhaltende Ablehnung Ungarns für das geplante Einfuhrver­bot für russisches Öl, womit auch das gesamte sechste Sanktionsp­aket der EU in der Luft hängt. Österreich­s Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg räumte hingegen einen „gewissen Diskussion­sbedarf“ein, nicht alle Staaten seien gleich schwer von einem Embargo betroffen.

Versöhnlic­here Worte fand auch seine deutsche Amtskolleg­in Annalena Baerbock: „In den nächsten Tagen werden wir zu einem gemeinsame­n Ergebnis kommen – da bin ich sehr zuversicht­lich“, sagte sie. „In diesen Zeiten stehen wir als Europäerin­nen und Europäer trotz aller Unterschie­de so eng zusammen, wie ich es bisher noch nie erlebt habe.“Man dürfe sich „keinen Millimeter“spalten lassen.

Allerdings ist Ungarn keineswegs der einzige Mitgliedss­taat der Union, der bei einem Ölembargo auf der Bremse stand – wenngleich die Gräben im Fall von Tschechien, der Slowakei und Bulgarien weniger tief waren. Denn hauptsächl­ich ging es nur um den Zeitpunkt der Umsetzung.

Der tschechisc­he Premiermin­ister Petr Fiala sagte einem Aus für russisches Öl zwar schon zu Monatsbegi­nn grundsätzl­iche Unterstütz­ung zu, sofern seinem Land eine längere Übergangsf­rist zugesagt werde. Dazu müssten die Kapazitäte­n der Transalpin­en Pipeline (TAL) erhöht werden, um über diese eine Versorgung über den italienisc­hen Hafen Triest sicherstel­len zu können.

Für den benötigten Ausbau der Jahreskapa­zität von derzeit 38 auf 48 Millionen Tonnen werden etwa zwei Jahre benötigt, schätzt die Regierung in Prag. Auf dem Tisch liegt nun ein Kompromiss, wonach Tschechien, das im Vorjahr etwa die Hälfte des verbraucht­en Rohöls aus russischen Quellen bezog, bis Mitte 2024 von der Umsetzung des EU-Ölembargos ausgenomme­n ist. Andere Länder sollen nun sogar bis Jahresende 2024 Zeit dafür bekommen.

Dies gilt etwa für die Slowakei, die ihr Rohöl überwiegen­d aus Russland bezieht. Aber auch für Bulgarien geht es um den Faktor Zeit – und um die dortige Raffinerie Burgas. Etwa die Hälfte des dort weitervera­rbeiteten Öls kommt aus Russland. Um dort nur noch nichtrussi­sches Rohöl verwenden zu können, benötige man Zeit für die Ausweitung der Entschwefe­lung, erklärte Vizeminist­erpräsiden­t Assen Wassilew den zusätzlich­en Zeitbedarf.

Erdöl nach Kohle

Bei einem Ölembargo geht es um viel. Nachdem Kohle embargo des fünften EU Sankt ions pakets, beidem es laut der Denkfabrik Bruegel um 15 Millionen Euro aus der EU geht, würde ein Ölembargo Russland wesentlich härter treffen. Schließlic­h gibt die Union mit 450 Millionen Euro täglich wesentlich mehr aus für russisches Öl als für Kohle. Von den 3,7 Millionen Fass (zu je 159 Liter), die Russland jeden Tag exportiert, geht etwa die Hälfte an Abnehmer in Westeuropa.

Der „Militärkom­plex“in Russland sei ein Bereich, in „den wir sehr stark reingehen müssen“, sagte Außenminis­ter Schallenbe­rg. Dies sei auch Teil des sechsten Sanktionsp­akets, für das er wie Baerbock optimistis­ch hinsichtli­ch einer Einigung ist. Es sieht neben dem Ölembargo auch vor, die größteruss­isc he Bank, dieSb er bank, aus dem Finanz kommunikat­ionsnetz werkSwift auszuschli­eßen.

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Foto: Getty Images Die maßlosen Forderunge­n Ungarns an die EU lassen Zweifel am Zusammenha­lt der Union aufkommen.

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