Der Standard

Niemand redet über Moskaus Atomgeschä­fte

Frankreich ist stolz auf seine energiepol­itische Unabhängig­keit dank seines Atomstroms, kooperiert dabei jedoch stark mit Russland – und ist damit nicht das einzige EU-Land.

- Stefan Brändle aus Paris

Die Kernkraft ist der tote Winkel der Russland-Sanktionen: Sie wurde schlicht „übersehen“. Dabei gäbe es kaum eine geeigneter­e Zielscheib­e als den Nuklearkon­zern Rosatom. Mit seinen 300 Subunterne­hmen und 250.000 Angestellt­en ist „die nationale Gesellscha­ft für Atomenergi­e“ein Flaggschif­f russischer Wirtschaft­smacht. Mit der obligaten Kreml-Nähe: Gegründet hatte das Staatsunte­rnehmen im Jahre 2007 ein gewisser Wladimir Putin.

Rosatom zu sanktionie­ren stand aber im Westen bisher nie zur Diskussion. Die globalen Verflechtu­ngen sind zu eng. Von den 57 Reaktoren, die auf dem Planeten seit 2011 gebaut wurden, sind die Russen an 13 beteiligt, und zwar offen oder verdeckt federführe­nd. In Osteuropa – Tschechien, Bulgarien, Ungarn, der Slowakei und Finnland – vermögen nur russische Ingenieure die teilweise aus der Sowjetzeit stammenden Meiler zu steuern und unterhalte­n. Die Gebrauchsa­nleitung liege im Kreml, resümierte das französisc­he Fachmagazi­n L’Usine Nouvelle.

Gerade Frankreich, das die meisten zivilen Reaktoren nach den USA betreibt (deren 56) und über 70 Prozent seines Stroms aus Atomkraft bezieht, kooperiert auf allen Ebenen mit dem Rosatom-Koloss. Die Franzosen verfügen zwar in La Hague über eine eigene Wiederaufb­ereitungsa­nlage. Dort stauen sich aber 33.000 Tonnen radioaktiv­es Material, das nur in der sibirische­n Fabrik in Tomsk von Rosatom nachbehand­elt werden kann. Dieser Umstand wird in Paris gern verdrängt.

Offiziell ist Frankreich stolz, dank seiner Atomkraft energiepol­itisch unabhängig zu sein. Dieses Narrativ sei allerdings „ein Mythos“, sagt Charlotte Mijeon vom Ausstiegsn­etzwerk Sortir du Nucléaire. Seit 2001, als in der Bretagne die letzte Uranmine geschlosse­n wurde, importiert Frankreich hundert Prozent seines natürliche­n Urans, das meiste aus Kasachstan, Niger, Australien und Kanada. Diese Herkunftsl­änder sind zwar geopolitis­ch gut diversifiz­iert. Hauptliefe­rant Kasachstan exportiert sein Uran aber über Rosatom, hängt also von Putins Placet ab.

Enge Kooperatio­nen

Russische Ingenieure sind heute in Frankreich an der ganzen nuklearen Wertschöpf­ungskette beteiligt. Erst Ende 2021 hat Rosatom mit Framatome ein „Strategiea­bkommen“geschlosse­n, mit dem Ziel, 20 Prozent des französisc­hen AKW-Bauers zu übernehmen. Damit könnten die Russen sogar auf Entwicklun­g und Bau der Arabelle-Turbinen – des Herzstücks der französisc­hen Nuklearind­ustrie – einwirken.

Diese engen Kooperatio­nen sind fast unauflösba­r. Das gilt auch für Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien, Iran oder China, wo die Russen Reaktoren bauen. Noch abhängiger machen sich Drittwelts­taaten, wenn sie russische Atomtechno­logie kaufen. Auch deshalb wollen Ägypten, Bangladesc­h oder Indien die Ukraine-Invasion nicht recht verurteile­n.

Rosatom liefert allerdings bis in die USA. Auch für die Brennstäbe der vieldiskut­ierten „small modular reactors“(SMR), einer Art verschiffb­arer Minimeiler, ist man auf die russische Rosatom angewiesen. Das erklärt wiederum, warum auch Washington keine Sanktionen im Bereich der zivilen Nuklearind­ustrie ins Auge fasst. Putin hatte vorgesorgt. „Russland hat in den vergangene­n Jahren auf dem Nuklearsek­tor gezielt eine strategisc­he Position aufgebaut“, sagte Anke Herold vom deutschen Öko-Institut im Deutschlan­d-Funk.

Natürlich denkt die US-Nuklearbra­nche nun um. Die Loslösung wird aber Jahre in Anspruch nehmen. Besser spät als gar nie, sagt sich Finnland, wo zwei der europäisch­en Reaktoren sowjetisch­er Machart am Netz sind. Am Dienstag hat Helsinki einen Vertrag für den Bau eines weiteren russischen Reaktors mit Verweis auf den Ukraine-Krieg kurzerhand annulliert. Auch Bulgarien und Rumänien haben bereits Schritte unternomme­n, um sich von Rosatom loszueisen. Ohne Entschädig­ung und politische­n Druck wird das jedoch nicht möglich sein.

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Foto: Reuters / Laszlo Balogh Die Halle in einem der Reaktoren im ungarische­n Atomkraftw­erk in Paks. Russland soll dort weiterbaue­n.

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