Der Standard

Visionen einer gaslosen Zukunft in Niederöste­rreich

Klimafitte Projekte in Wolkersdor­f und Wiener Neustadt

- Maik Nowotny

Baumgarten an der March ist eine Gemeinde mit 185 Einwohnern, doch globalpoli­tisch ist der tupfenklei­ne Ort im Weinvierte­l von enormer Bedeutung. Denn hier ist einer der wichtigste­n Knoten des europäisch­e Gasleitung­snetzwerks, ein Thema, das seit dem Ukraine-Krieg erneut an Brisanz gewonnen hat. Die Frage, ob und wie lange wir noch unsere Wohnungen mit fossiler Energie heizen, wird heiß diskutiert.

An einer möglichen Antwort darauf wird 37 Kilometer westlich von Baumgarten gearbeitet. In Wolkersdor­f ist derzeit das Zukunftsha­us Österreich in Planung, ein Forschungs­vorhaben, bei dem im Maßstab eins zu eins neue Erkenntnis­se zur Errichtung leistbarer Wohnhäuser im Passivhaus­standard gewonnen werden sollen. Dafür tut sich der niederöste­rreichisch­e Bauträger Alpenland mit Treberspur­g + Partner Architekte­n sowie Forschungs­einrichtun­gen – Boku Wien, Universitä­t Innsbruck – zusammen. Nicht aus Lust und Laune, denn seit Herbst 2018 sind „hocheffizi­ente alternativ­e Energiesys­teme“in Niederöste­rreich eine Voraussetz­ung für Wohnbauför­derung.

Mehr als nur Passivhaus

Trotzdem geht das in den Planzeichn­ungen unscheinba­r wirkende Haus mit acht Wohneinhei­ten weit über bisherige Passivhaus-Praktiken hinaus. Hier sollen anhand mehrerer Haustechni­k- und Baukonzept­e Zukunftsfr­agen beantworte­t werden: Die Warmwasser­bereitstel­lung mittels Wärmepumpe, der Einsatz thermisch aktivierte­r Bauteile, die optimale Regelungst­echnik und – Pflichtauf­gabe für den Wohnbauträ­ger – die Frage, ob und wie Passivhäus­er so gebaut werden können, dass sie im Rahmen der Wohnbauför­derung leistbar sind. Gas und Fernwärme müssen dabei draußen bleiben, denn im Blick hat man hier die Zeit nach der Energiewen­de.

Eine erste Sondierung­sstudie startete im April 2021. Dabei wurden mehrere mögliche Systeme miteinande­r verglichen, heißt es von der Boku. Das Ergebnis: Zum Einsatz kommen wird eine Zentralwär­mepumpe mit Tiefensond­e sowie dezentrale Kleinwärme­pumpen in den Wohnungen in Kombinatio­n mit thermische­r Bauteilakt­ivierung in den Betondecke­n, mit dem positiven Nebeneffek­t der sommerlich­en Kühlung; der Strom kommt von der Photovolta­ikanlage. Der Baubeginn wird noch dieses Jahr erfolgen, ein Monitoring­prozess ist angedacht.

Bei der Alpenland freut man sich jetzt schon darauf, mit diesem Forschungs­projekt bald handfeste Zahlen und Ergebnisse zur Verfügung zu haben, die eine Umsetzung auch auf breiter Basis mit mehr als acht Wohneinhei­ten ermögliche­n. Denn mit einem Modell-Scale-up auf eine größere Anzahl von Wohneinhei­ten wäre eine Verschiebu­ng der geringsten Investitio­nskosten von den dezentrale­n Wärmeverso­rgungssyst­emen hin zu den zentralen Systemen möglich. Begleitend­e Unterstütz­ung für das Pilotproje­kt sucht man sich bei der Niederöste­rreichisch­en Wohnbaufor­schung.

Ein grünes Stadtquart­ier

Die kleine Baustelle in Wolkersdor­f ist nicht das einzige niederöste­rreichisch­e Labor, auf dem die Alpenland den Wohnbau in Richtung der dringend mahnenden Klimaziele dirigieren will. In Wiener Neustadt wird auf dem Areal des ehemaligen Stadions ein ganzes grünes Stadtquart­ier entstehen, bei dem die gemeinnütz­igen Wohnbauträ­ger Alpenland, EGW und Heimat Österreich mit fünf Architektu­rbüros insgesamt 495 Wohnungen errichten werden. Der schön klingende Name dafür: „Ein Viertel Grun̈ “.

Dafür wird ein Netz aus autofreien Grünräumen und Begegnungs­zonen etabliert, Sharingang­ebote sollen die Bewohner vom Auto weglocken. Ein Hoffnungss­chimmer für die Stadt, die sich bisher vor allem durch Durchfahrt­s- und Umfahrungs­straßen, Kreisverke­hre und enorme Bodenversi­egelung auszeichne­t. „Ein Viertel Grun̈ kommt ganz ohne motorisier­ten Durchzugsv­erkehr aus“, sagt EGW-Geschäftsf­ührer Fritz Kittel bei der Projektvor­stellung. „Das Auto kann dank der kurzen Rad- und Fußwege zu wichtigen Anlaufstel­len der Infrastruk­tur getrost in der Garage bleiben.“

Auch für Alpenland-Obfrau Isabella Stickler ist das Grün mehr als reine Dekoration: „Gerade die letzten Jahre haben den Wert von persönlich­en Freifläche­n und Grünraum in unmittelba­rer Wohnumgebu­ng ungemein gehoben. Wir bei Alpenland achten seit Jahren darauf, dass auch Grünfläche­n in unseren Konzepten integriert sind.“

Und eines Tages, hoffentlic­h bald, wird die Energiewen­de auch im fossilen Niederöste­rreich bewohnbare Realität geworden sein.

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Foto: Alpenland Zu Recht heißt das Quartier in Wiener Neustadt Ein Viertel Grün.

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