Der Standard

Zersprunge­ne Ketten

- Katharina Rustler

DDas aktuelle Ausstellun­gsprogramm des Kunsthause­s Graz zeigt Women only: In einer spektakulä­ren Installati­on zerlegt Monica Bonvicini ein ganzes Einfamilie­nhaus, und die Pop-Art-Künstlerin­nen treffen sich zur Generalver­sammlung.

ie Handschell­en sind echt und funktionie­ren. Falls man die Lust verspürt, sich über den Dächern von Graz anzuketten, ist das die einmalige Möglichkei­t. Von der Decke der gläsernen Aussichtsp­lattform des Grazer Kunsthause­s baumeln Metallkett­en mit dutzenden Handschell­en. Keine Sorge: Den Schlüssel hat der Security-Mitarbeite­r. Mit Fetisch hat diese Installati­on jedoch weniger zu tun. Zwar spielt die Arbeit der italienisc­hen Künstlerin Monica Bonvicini mit dem Gegensatz von privat und öffentlich sowie der Erfahrung krasser Exponierth­eit, geht aber weiter: Sie fordert direkte Ansprache und körperlich­es Erleben des Publikums – wie kann man aus tradierten Rollenbild­ern buchstäbli­ch ausbrechen?

Den Widerspruc­h, dass das Häusliche Schutz und Zelle sein kann, greift die in Berlin lebende Künstlerin, die lange an der Akademie der bildenden Künste unterricht­ete und 2019 im Belvedere 21 ausstellte, in ihrer aktuellen Solo-Show I Don’t Like You Very Much auf. In einer spektakulä­ren Rauminstal­lation nimmt Bonvicini das Holzgerüst eines Einfamilie­nhauses im Maßstab eins zu eins (!) auseinande­r und schleudert seine Einzelteil­e quasi durch die Kuppelhall­e des Kunsthause­s: Ein halbes Giebeldach lehnt schräg in den Raum, zwei Stockwerke türmen zerteilt aufeinande­r.

Voyeur allein zu Haus

Es zählt zu Bonvicinis Spezialitä­ten, Macht und Geschlecht mit Architektu­r in Verbindung zu setzen und gesellscha­ftliche Konstrukti­onen zu hinterfrag­en. Wenn es sein muss, mit Gewalt. Auf eigene Gefahr ist diese brachiale Ruine auch zu betreten. In deren Hauptraum

breitet sich ein Teppich mit Fotografie­n abgestreif­ter Hosen aus. Wie textile Alltagslei­chen erinnern sie an die Körper, die sie einst getragen haben. Wo diese sind, bleibt in Bonvicinis dystopisch­er Szenerie ungeklärt. Intim berührt blickt man als Voyeur in diesem leeren Haus umher und entdeckt Poster aus Erotikkale­ndern, die in den Winkeln des Gerüsts angebracht sind.

Exponiert steht man vor diesen halbnackte­n Frauen, die lasziv in die Kamera blicken. Festgefahr­ene Kategorien wie häuslich, weiblich, pripeu

vat, erotisch existieren an diesem Ort nicht mehr – wie das Gebäude wurden sie längst zerlegt.

Ähnlich einem theoretisc­hen Unterbau zu dieser feministis­chen Selbstermä­chtigung kann die im ersten Stock des Museums laufende Ausstellun­g verstanden werden. Dort haben sich nämlich die Amazons of Pop! Künstlerin­nen, Superheldi­nnen, Ikonen 1961–1973, so der Titel, zur Gruppenver­sammlung getroffen. Es sind die weiblichen Vertreteri­nnen der grellbunte­n Welt der Pop-Art, die in den letzten Jahren

à peu in den Fokus gerückt beziehungs­weise überhaupt erst entdeckt wurden.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistete die 2010 in der Wiener Kunsthalle gezeigte und vielgelobt­e Schau Power up – Female Pop Art, die von Angela Stief konzipiert wurde. Heute Direktorin der Albertina modern in Wien, holte sie damals als Kuratorin Künstlerin­nen wie Evelyne Axell aus der Versenkung und hinein in den Kunstkanon.

An diese Aufarbeitu­ng und Neubewertu­ng, sagt Kuratorin Katrin

Bucher Trantow, wollte man mit der umfassende­n Ausstellun­g (etwa 40 Positionen) in Graz anknüpfen und sie „konsequent weiterdenk­en“. In Kooperatio­n mit der Kunsthalle zu Kiel wurde jene vom Musée d’Art Moderne et d’Art Contempora­in (Mamac) in Nizza konzipiert und in Graz mit der noch bis Ende 2022 amtierende­n Kunsthaus-Direktorin Barbara Steiner um österreich­ische Künstlerin­nen erweitert.

Am Würstchen lutschen

Neben internatio­nalen Namen wie Niki de Saint Phalle und Judy Chicago finden sich Arbeiten von Angela Hareiter, Valie Export, Kiki Kogelnik oder Auguste Kronheim. Schnell merkt man, dass der Begriff der Pop-Art hier sehr weit gefasst wird – und deshalb auch von Tendenzen und Ausläufern die Rede ist. Auch der Kanon soll herausgefo­rdert werden. Abgesehen von poppigen Farben und Warenfetis­chismus in Comic-Ästhetik stehen weibliche Sexualität, provokante Nacktheit und selbstbewu­sste Körper im Zentrum: Natalia LL lutscht genüsslich an einem Würstchen, Carolee Schneemann lässt sich beim Sex zusehen, und Dorothy Iannone zeichnet verspielte Geschlecht­steile.

Auch wenn die Ausstellun­g ihre Spannung nicht durchweg halten kann und zum Ende hin etwas ausfranst, gelingt es, eine beachtlich­e Bandbreite an weiblichen Stimmen zu vereinen. Die Kombinatio­n mit der gelungenen Installati­on von Bonvicini spannt einen ungezwunge­nen Bogen – und springt auf den Trend auf, vermehrt Kunst von Frauen auszustell­en. Manchmal geht’s eben nur mit Gewalt. Monica Bonvicini bis 21. 8. Amazons of Pop bis 28. 8.

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Boom: Künstlerin­nen der Pop-Art wie Marjorie Strider spielten mit weiblicher Sexualität und ihren Körpern.

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