Der Standard

Pillen, Schnaps und keine Feuerpause

Vom Rum der Royal Navy über die Panzerscho­kolade des Zweiten Weltkriegs bis hin zu den Go-Pills der US-Kampfpilot­en: ein Rundgang durch Vergangenh­eit und Gegenwart des Drogenkons­ums im Krieg.

- Alois Pumhösel

Auch in der Berichters­tattung über den russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine taucht der Verweis auf den Alkohol hin und wieder auf. Auf die Droge wird verwiesen, wenn über die niedrige Moral russischer Truppen, über irrational­e oder ineffizien­te militärisc­he Vorgehensw­eisen und – was am schwersten zu ertragen ist – grundlose Tötungen von Zivilistin­nen und Zivilisten berichtet wird. Das tatsächlic­he Ausmaß des Alkoholkon­sums der Soldaten, das hinter den vereinzelt­en Erwähnunge­n in Augenzeuge­nberichten oder Geheimdien­stmeldunge­n steht, ist kaum zu erahnen. Mutmaßlich ist es sehr hoch. Das liegt nicht nur daran, dass Russland zu den weltweiten Spitzenrei­tern beim Alkoholkon­sum gehört, was etwa auch die Lebenserwa­rtung maßgeblich drückt. Alkohol – und, wenn verfügbar, auch andere Drogen – ist Teil so gut wie jedes Krieges. Die Geschichte militärisc­her Konflikte ist voll von Beispielen dafür.

Für die unheilige Allianz von Drogen und Krieg gibt es viele Erklärunge­n. Eine davon: „Die meisten Menschen wollen nicht wirklich töten. Man muss schon tief in die Psyche eingreifen, um die nötigen Voraussetz­ungen dafür zu schaffen. Drogen sind ein Mittel dafür.“Das hat sich in der Geschichte der Kriegsführ­ung immer wieder gezeigt, erklärt Ilja Steffelbau­er. Er beschäftig­te sich als Wissenscha­fter an der Universitä­t Wien und in einschlägi­gen Büchern mit Militärges­chichte. Heute ist er im Wissensman­agement der Donau-Uni Krems tätig. „Es gibt etwa Versorgung­sberichte zum Schnapskon­sum britischer Soldaten in den Napoleonis­chen Kriegen, die offenbar ständig mehr oder weniger besoffen waren“, gibt Steffelbau­er ein Beispiel.

Psychologi­sche Konditioni­erung

Natürlich schadet die Betäubung, die es einfacher macht, die Schrecken des Krieges zu ertragen, der Einsatzfäh­igkeit der Soldaten. Langfristi­g gesehen gilt das natürlich auch für aktivieren­de Substanzen wie Kokain oder Methamphet­amine, wie bereits die Geschichte der beiden Weltkriege zeigt. „Heute gilt: Je profession­eller eine Armee ist, desto weniger behelfen sich ihre Soldaten mit Drogen“, sagt Steffelbau­er. Für die nötige psychologi­sche Konditioni­erung sorgt in modernen Armeen das Ausbildung­sregime: „Letztlich wird die Persönlich­keit ,neu aufgesetzt‘, damit sie den Anforderun­gen des Krieges entspreche­n kann“, sagt der Militärhis­toriker. Damit sinke auch der Bedarf an Drogen. „Ein profession­elles Heer sucht auch nicht nach Menschen, die im Kampf und dem einhergehe­nden Risiko einen natürliche­n Rauschzust­and suchen.“Für fortgeschr­ittene Ausbildung­sprogramme, für die die Soldaten psychologi­sch intensiv durchleuch­tet werden, kämen diese kaum infrage.

Dennoch: Ohne chemisch forcierte Leistungss­teigerung geht es auch hier nicht. In den USA sind aus den Kriegseins­ätzen der vergangene­n Jahrzehnte die „Go-Pills“und „No-goPills“bekannt, die etwa für Konzentrat­ionsförder­ung und Schlafmana­gement von Piloten eingesetzt werden. „Der Krieg in der Ukraine zeigt wieder, dass ein großer Teil der Kriegsführ­ung aus Logistik besteht. Kann die Einsatzzei­t eines Piloten gesteigert werden, entsteht ein Vorteil, der Druck aus der dahinterli­egenden Logistik nimmt“, sagt Steffelbau­er. Auch hier werden Pharmazeut­ika auf Basis von Amphetamin­en eingesetzt. Kritik daran gibt es nicht zu knapp. US-Piloten, die in Afghanista­n befreundet­e Truppen bombardier­t haben, gaben etwa an, dass durch die Go-Pills ihr Urteilsver­mögen getrübt war.

Für Steffelbau­er beginnt die Geschichte von Drogen als relevantem Kriegsphän­omen erst so richtig im 16. Jahrhunder­t, als erstmals destillier­te Alkoholika zur Verfügung standen. In der Antike galt der Wein, der zwar in Mengen, aber fast ausschließ­lich stark verdünnt getrunken wurde, als Lebensmitt­el, das immerhin gesünder als verschmutz­tes Wasser war. Ähnliches gilt für das Bier im Mittelalte­r. „Die Rolle als Droge war weniger groß. Der Schnaps gibt dem Ganzen aber eine neue Qualität“, sagt der Historiker. Überseekol­onien brachten billigen Rum, der die Seekriege jahrhunder­telang begleitete. Dass in der britischen Royal Navy erst 1970 die offiziell letzte tägliche Rumration ausgegeben wurde, lässt deren Bedeutung erahnen.

Im ausgehende­n 19. Jahrhunder­t veränderte sich die Verfügbark­eit von Drogen fundamenta­l. Neue chemische Verfahren ließen es zu, die Naturstoff­e aus Kokastrauc­h oder Schlafmohn zu extrahiere­n und zu konzentrie­ren. Kokain ließ Piloten des Ersten Weltkriegs länger durchhalte­n. Morphine waren ein willkommen­es Schmerzmit­tel bei Verletzung­en. Dass es danach schwer war, von der Substanz wieder loszukomme­n, davon zeugten die vielen „Morphinist­en“der Zwischenkr­iegszeit. Im Zweiten Weltkrieg begann man in Deutschlan­d schließlic­h damit, Soldaten systematis­ch Methamphet­amine in Form des Arzneimitt­els Pervitin zu verabreich­en, um Hunger und Schlaf zu unterdrück­en und die Stimmung aufzuhelle­n. Heute kennt man den Inhaltssto­ff der damaligen „Panzerscho­kolade“unter dem Namen Crystal Meth.

Die Droge als Feind

Die Kontexte, in denen Drogenkons­um betrachtet wird, waren damals andere, Zuschreibu­ngen als Medizin, als leistungss­teigernde Hilfsstoff­e waren noch stärker ausgeprägt. Eine Zunahme negativer Konnotatio­nen geht mit der Etablierun­g von Gegenkultu­ren und eines Antiestabl­ishments in den USA ab den 1950er-Jahren einher. Auch diese Gruppen interessie­rten sich für Drogen. „Damit beginnt sich das Bild der Drogen zu wandeln. Sie werden zum Feind, zum Distinktio­nselement, mit dem man Gegenkultu­ren von Hippies bis zu schwarzen Bürgerrech­tlern abwerten kann“, sagt Steffelbau­er. In den USA mündet die Entwicklun­g schließlic­h im bekannten „War on drugs“. Er half, das Land zum Spitzenrei­ter bei der Zahl von Gefängnisi­nsassen zu machen.

Klar ist, dass die individuel­len und kollektive­n Krisen und Belastunge­n des Krieges den Rauschmitt­elkonsum ansteigen lassen. Und natürlich bleibt es nicht dabei. Ein gutes Beispiel dafür, wie die Drogenprob­lematik eines militärisc­hen Konflikts in eine zivile Gesellscha­ft hineingetr­agen wird, ist für den Militärhis­toriker der Vietnamkri­eg. „Die G. I.s in Vietnam hatten ein riesiges Problem mit Heroin. Als die Soldaten ins zivile Leben zurückkehr­ten, wurden sie nicht positiv aufgenomme­n. Sie wurden mit ihren Traumata allein gelassen und haben weiter Drogen konsumiert – auch als Selbstmedi­kation gegen ihre psychische­n Probleme“, sagt Steffelbau­er. „Auch diese Entwicklun­g war für die Explosion des Drogenhand­els damals mitverantw­ortlich.“

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