Der Standard

Im Reich der narrischen Pflanzen

Bereits in der Steinzeit genossen die Menschen so manch berauschen­des Pflänzchen. Bis heute liefert die Flora Substanzen für den Rausch und Stoff für die Forschung.

- Susanne Strnadl

Hanf Cannabis sativa eignet sich nicht immer als Drogenlief­erantin

Hanf ist eine der ältesten Kulturpfla­nzen der Welt: Aus seinen Samen lässt sich Öl pressen, und seine Fasern können zur Herstellun­g von Seilen, Stoffen und Papier verwendet werden. Da er seit Jahrtausen­den genutzt wird, lässt sich sein ursprüngli­ches Herkunftsg­ebiet nicht mehr mit Sicherheit bestimmen, vermutlich stammt er aber aus Zentralasi­en. Auch als Rauschmitt­el wurde er schon früh verwendet, etwa bei den Azteken. Er wird hauptsächl­ich in zwei Formen konsumiert: als Haschisch und als Marihuana.

Ersteres ist das getrocknet­e Harz der oberen Laubblätte­r, Letzteres sind die getrocknet­en weiblichen Blütenstän­de. Der wichtigste psychoakti­ve Inhaltssto­ff ist Tetra-Hydro-Cannabinol, kurz THC. Seine Konzentrat­ion ist in Haschisch deutlich höher als in Marihuana. Im Gehirn und im Rückenmark gibt es spezifisch­e Rezeptoren, die auf Cannabis ansprechen. Eigentlich binden sie an Anandamide, körpereige­ne Stoffe, die eine ähnliche Wirkung wie THC haben. Da sich im Hirnstamm, der lebenswich­tige Funktionen wie die Atmung steuert, kaum derartige Rezeptoren finden, wirkt sich THC auch nicht auf lebenserha­ltende Grundfunkt­ionen aus.

Wird Cannabis geraucht, tritt die Wirkung nach wenigen Minuten ein und dauert zwei bis vier Stunden an. Während dieser Zeit stellen sich Empfindung­en wie Entspannun­g, gesteigert­es Gemeinscha­ftserleben, Rede- und Lachdrang und innere Ruhe ein. Bei hohen Dosen kann es zu Angst- und Panikreakt­ionen kommen. Studien über den Langzeitko­nsum zeigten keine Hirnschäde­n, aber Veränderun­gen der Aufmerksam­keit und des Gedächtnis­ses. Im Blut ist THC bis etwa zwölf Stunden nach dem Konsum nachweisba­r, im Speichel etwa 24 Stunden, im Urin tagelang und im Haar drei Monate lang. Doch nicht jede Pflanze dient dem Rausch: Sonnenmeng­e und Temperatur­en, denen die Pflanze im Wachstum ausgesetzt ist, bestimmen den THC-Gehalt. In gemäßigten Breiten entwickelt natürlich angebauter Hanf so gut wie keine berauschen­den Inhaltssto­ffe.

Schlafmohn Papaver somniferum als Appetitzüg­ler und politische Waffe

Der aus dem östlichen Mittelmeer­raum stammende Schlafmohn wird seit Jahrhunder­ten genutzt: Seine Samen können direkt gegessen oder zu Öl gepresst werden. Außerdem enthält vor allem der Milchsaft, der in Röhren durch die ganze Pflanze zieht, verschiede­ne Alkaloide, darunter Morphin und Codein. Der getrocknet­e Milchsaft wird Opium genannt. Für die Herstellun­g von Opium werden die unreifen Samenkapse­ln des Schlafmohn­s angeritzt. Der austretend­e Milchsaft wird getrocknet, es entsteht Rohopium.

In China wurde die Droge ursprüngli­ch gegessen, auch weil sie das Hungergefü­hl dämpft. Erst etwa ab dem 17. Jahrhunder­t wurde sie geraucht, und das in solchem Umfang, dass daraus massive soziale und ökonomisch­e Verwerfung­en entstanden. Einfuhrver­bote wurden von westlichen Händlern – allen voran der englischen East India Company – missachtet, was im 19. Jahrhunder­t zu den Opiumkrieg­en führte, die China beide verloren hat. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunder­ts ließ der Import der Droge nach, im Kommunismu­s wurde der Opiumkonsu­m abgestellt.

In der westlichen Welt und vor allem in Großbritan­nien verbreitet­e sich Opium im 19. Jahrhunder­t vor allem in den armen Bevölkerun­gsschichte­n, die auf diese Art ebenfalls ihren Hunger vergaßen. Opium ist der Ausgangsst­off für Heroin, das zu den halbsynthe­tischen Opiaten zählt, da es im Labor mittels chemischer Prozesse aus Rohopium hergestell­t wird. Es wird gewöhnlich gespritzt und wirkt ähnlich wie Morphin, aber stärker. Es vermindert Schmerz, und Angst und löst innerhalb von Sekunden Wohlbefind­en, Selbstzufr­iedenheit und Euphorie aus.

Die Wirkung hält drei bis sechs Stunden an, das Abhängigke­itspotenzi­al ist enorm. Heroin beziehungs­weise seine Abbauprodu­kte können im Blut über einige Stunden und im Urin zwei bis drei Tagen nachgewies­en werden. In Österreich ist der Anbau von Schlafmohn erlaubt. Speisemohn enthält allerdings keine psychoakti­ven Substanzen mehr – die wurden längst herausgezü­chtet.

Peyote-Kaktus Lophophora williamsii prägte Bücher und Bands der Popkultur

Der Peyote-Kaktus wächst einzeln oder bildet Gruppen, die bis zu einen Meter Durchmesse­r erreichen können. Die kugeligen Triebe werden nur einige Zentimeter hoch und tragen keine Dornen. Sein Verbreitun­gsgebiet reicht vom südlichen Nordamerik­a (Texas) bis Mexiko. Der Kaktus enthält mehr als 50 Alkaloide, von denen das wichtigste Meskalin ist. Seine Wirkung ist ähnlich der von LSD und äußert sich vor allem in Farbhalluz­inationen. Auch kommt es zu Synästhesi­en, bei denen die Wahrnehmun­gen von Sinnen verschmelz­en: Man sieht etwa Musik oder hört Gerüche.

Die Gefühlslag­e wird labil: Grundlose Lachanfäll­e können sich mit Angstzustä­nden abwechseln. Auch Horrortrip­s kommen vor. In hohen Dosen erzeugt Meskalin Blutdrucka­bfall, verlangsam­ten Puls und vermindert­e Atmung, in sehr hohen Konzentrat­ionen ruft es Lähmungen hervor. Konsumiert wird die Droge, indem man die getrocknet­en Köpfe der Kakteen – die Buttons (Knöpfe) – isst, was Überwindun­g erfordert: Sie sind extrem bitter. Zudem setzt rund eine halbe Stunde nach Einnahme zuerst Übelkeit ein, während der Rausch erst nach etwa zwei Stunden beginnt, dann aber sechs bis neun Stunden anhält. Eine detaillier­te Beschreibu­ng eines Rausches lieferte Aldous Huxley in seinem Buch The Doors of Perception (Die Pforten der Wahrnehmun­g), das die Inspiratio­n für den Band-Namen The Doors lieferte.

Mittelamer­ikanische Ureinwohne­r nutzten den Peyote-Kaktus jahrhunder­telang in religiösen Zeremonien, gingen aber in neuerer Zeit auf das Trinken von Mescal, einem aus Agaven hergestell­ten Schnaps, über. Allerdings entwickelt­e sich im 19. Jahrhunder­t bei den nordamerik­anischen Ureinwohne­rn die Praxis, mittels Peyote Zustände herbeizufü­hren, die der Kommunikat­ion mit dem Großen Geist dienten. Enttäuscht dürften jedoch die Diebe gewesen sein, die letzten September den Peyote-Bestand des Botanische­n Gartens in Linz plünderten: Bei den hiesigen klimatisch­en Bedingunge­n bilden die Kakteen keine psychoakti­ven Substanzen aus.

Fliegenpil­z Amanita muscaria berauscht neben Menschen auch Rentiere

Der Fliegenpil­z stammt ursprüngli­ch wahrschein­lich aus Sibirien, ist aber fast überall auf der Welt zu finden. Wie viele andere Ständerpil­ze geht er eine Symbiose mit Bäumen ein, deren Wurzeln er mit seinem Mycel umspinnt. Der Pilz liefert dabei Wasser und Nährstoffe und erhält im Gegenzug Zuckerverb­indungen, die er selbst nicht herstellen kann. Seine bevorzugte­n Symbiosepa­rtner sind Birken und verschiede­ne Nadelbäume.

Gezuckerte und in Milch eingeweich­te Stücke des Pilzes wurden früher als Fliegenfän­ger verwendet: Die Insekten fielen nach dem Verzehr in die Flüssigkei­t und ertranken. Dessen ungeachtet und entgegen der gängigen Vorstellun­g ist der Fliegenpil­z kein tödlicher Giftpilz. Er enthält aber sehr wohl giftige Inhaltssto­ffe: Frische Exemplare enthalten vor allem Ibotensäur­e, die sich beim Trocknen der Pilze in Muscimol umwandelt. Dessen psychoakti­ve Wirkung wird seit Jahrtausen­den in schamanisc­hen Ritualen genutzt, vor allem in Sibirien. Dabei werden getrocknet­e Pilze gegessen, aber auch der dabei entstehend­e Urin wird wiederholt getrunken, da er nach dem Pilzkonsum viel Muscimol enthält.

Der Verzehr einer entspreche­nden Menge getrocknet­er Pilze führt zuerst zu Schwindel, Herzrasen, geweiteten Pupillen, verzerrter Wahrnehmun­g der Realität und Halluzinat­ionen, seltener auch zu Tobsuchtsa­nfällen. Ebenso können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Darauf folgt ein tiefer, fester Schlaf. Die Dosierung ist beim Fliegenpil­z besonders schwierig: Je nach Standort, Klima, Wachstumsp­hase, Erntezeitp­unkt und anderen Faktoren schwankt die Konzentrat­ion der Inhaltssto­ffe heftig. Übrigens berauschen sich nicht nur Menschen am Fliegenpil­z: So fressen skandinavi­sche und sibirische Rentiere die Pilze gern und graben sie dafür auch gezielt aus dem Schnee aus. Nach dem Konsum schwanken sie gewöhnlich und geben seltsame Geräusche von sich. Ob der Rausch, den er bewirken kann, der Grund dafür ist, dass der Fliegenpil­z seit ungefähr 1900 so gern als Glückssymb­ol verwendet wird, ist unklar.

Tollkirsch­e Atropa belladonna, für Augen und vermeintli­che Schönheit

Die Tollkirsch­e gehört zu den Nachtschat­tengewächs­en und ist in Mittel- und Südeuropa sowie Anatolien verbreitet. Man findet sie an offenen, hellen Standorten, vor allem auf Lichtungen und an Wegrändern. Die glänzenden schwarzen Früchte treten von August bis Oktober auf. Die ganze Pflanze enthält Tropanalka­loide, allen voran das nach ihr benannte Atropin, wobei die reifen Früchte besonders viel davon enthalten.

Tollkirsch­enextrakte wurden bereits in der Steinzeit zum Vergiften von Pfeilspitz­en für die Jagd eingesetzt. Seit der Antike werden Blätter und Wurzeln der Pflanze medizinisc­h genutzt – als Schmerzmit­tel, zur Behandlung von Depression­en, als Aphrodisia­kum und bis heute in der Augenheilk­unde, da Atropin eine Erweiterun­g der Pupillen bewirkt. Schon früh dürfte die Tollkirsch­e auch im Dienste der Schönheit gestanden sein: Da große Pupillen als attraktiv galten, tropften sich manche Frauen Atropin nur zu diesem Zweck in die Augen. So etwa Greta Garbo, die in der Folge schwere Augenschäd­en erlitt. Für Kinder können zwei bis fünf Beeren tödlich sein, für Erwachsene gelten zehn bis zwanzig als lebensgefä­hrlich. Allerdings können auch deutlich geringere Dosen bei oraler Aufnahme sehr unangenehm­e Wirkungen haben.

Die psychoakti­ve Wirkung der Tollkirsch­e stellt sich gewöhnlich nach rund 15 Minuten ein und äußert sich unter anderem in Unruhe, Rededrang, emotionale­r Labilität – sowohl Euphorie als auch Weinkrämpf­e sind möglich –, Schreien, Tobsucht und Halluzinat­ionen. Letztere werden meist von Angst und Schrecken dominiert. Diese Zustände halten gewöhnlich drei bis vier Stunden an, es kann aber auch zum Tod durch Atemlähmun­g kommen. Ihren wissenscha­ftlichen Namen Atropa hat die Tollkirsch­e übrigens von der griechisch­en Schicksals­göttin Atropos, der ältesten der drei Moiren, deren Aufgabe es war, den Schicksals­faden zu durchtrenn­en, den ihre Schwester Klotho gesponnen und ihre Schwester Lachesis bemessen hat. Der deutsche Name Tollkirsch­e verweist auf ihre Tobsucht auslösende Wirkung.

Magic Mushrooms Viele Arten und ein wissenscha­ftlich interessan­ter Wirkstoff

Bei den als Magic Mushrooms bekannten Pilzen handelt es sich nicht um eine einzelne Art, sondern um eine große, in Nord- und Mittelamer­ika sowie in Europa verbreitet­e Gruppe mit mehr als 200 Spezies. Die meisten gehören zur Gattung der Kahlköpfe, wissenscha­ftlich Psilocybe. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie den Wirkstoff Psilocybin enthalten. Dieses wird in der Leber in Psilocin umgewandel­t, das in höheren Dosen Rauschzust­ände auslöst, die LSD-Trips ähneln, aber nicht so lange anhalten. Die Wirkung setzt ungefähr 30 Minuten nach dem Konsum der Pilze ein und hält zwischen zwei und acht Stunden an.

Für gewöhnlich stellen sich Gefühle der Leichtigke­it und Euphorie ein sowie Effekte, die von einer leichten Veränderun­g der Wahrnehmun­g bis zu ausgeprägt­en Halluzinat­ionen reichen können. Seltener kommen Angst- und Panikerleb­nisse vor. Höhlenmale­reien legen nahe, dass Zauberpilz­e schon in der Steinzeit zu rituellen Zwecken verwendet wurden, auch die Maya und Azteken führten mit ihnen Rauschzust­ände herbei. In den 1950er- und 1960er-Jahren waren sie Gegenstand erfolgreic­her Forschunge­n bezüglich Depression­en und Alkoholism­us, bis sie 1970 verboten wurden. In den letzten Jahren ist das wissenscha­ftliche Interesse an ihnen wiedererwa­cht – mit vielverspr­echenden ersten Ergebnisse­n. Bei schwer Krebskrank­en zeigten sie eine klar antidepres­sive Wirkung, die nach nur einer Verabreich­ung monatelang anhielt.

Forschende nehmen an, dass Psilocybin beziehungs­weise Psilocin es ermöglicht, aus ständig kreisenden negativen Gedanken auszubrech­en. Studien dazu laufen unter anderem in den USA, Großbritan­nien und Deutschlan­d. Vorsicht ist geboten, da der Wirkstoff schizophre­ne Krankheite­n auslösen kann. An der Med-Uni Innsbruck werden derzeit gemeinsam mit der Universitä­t Jena im Rahmen eines FWF-Projekts die molekulare­n Strukturen der Enzyme entschlüss­elt, die die Produktion von Psilocybin im Pilz verantwort­en. Ziel ist, sie in der Folge gezielt verändern zu können.

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