Der Standard

Was Filme über Populismus verraten

Aufstieg und Fall populistis­cher Politfigur­en lassen sich auch mithilfe der Popkultur analysiere­n. Bekannte Kinostreif­en zeigen die Mechanisme­n, die hinter der vermeintli­chen Politik für die Massen stehen.

- Johannes Lau

Könner der Selbstinsz­enierung wie Donald Trump oder Boris Johnson wissen: Ihre Jüngerinne­n und Jünger fordern keine substanzie­llen Botschafte­n, ihnen verlangt es vielmehr nach Theater mit Knalleffek­ten. Daher liegt es nahe, populistis­che Inszenieru­ngen dort zu analysiere­n, wo die große Show traditione­ll zu Hause ist: im Kino. „Film kann über Populismus reflektier­en, weil er als Medium in einer Komplizens­chaft mit ihm steht“, sagt Anna Schober-de Graaf vom Institut für Kulturanal­yse der Universitä­t Klagenfurt.

„Populismus ist eine Performanc­e, eine bestimmte Form der politische­n Inszenieru­ng und somit nicht etwas, das von sich aus rechts oder links ist.“Daher sei Populismus nicht per se undemokrat­isch oder totalitär: Fast jede politische Äußerung in demokratis­chen Gesellscha­ften habe neben technokrat­ischen Bestandtei­len auch immer populistis­che Elemente. Die autoritäre­n Tendenzen explizit populistis­cher Politik rühren vor allem von der starken Fokussieru­ng auf eine einzelne politische Führungsfi­gur her.

Charismati­sche Marionette­n

Zwei Filmdarste­llungen solcher Heldenfigu­ren hat Schober deshalb jüngst in einer vergleiche­nden Untersuchu­ng betrachtet – den Klassiker Meet John Doe von Frank Capra aus dem Jahr 1941 und den 2017 erschienen­en Film Chez Nous (Das ist unser Land!) von Lucas Belvaux. Die Analyse ist Teil eines größer angelegten Projekts: Die Kulturwiss­enschafter­in arbeitet derzeit an einer Ikonografi­e des Jedermann. Dass es sich in beiden Fällen um einen konvention­ellen Spielfilm handelt, macht Schober zufolge ihr Potenzial als Untersuchu­ngsgegenst­and für diesen Zugang aus.

„Das sind keine Avantgarde­filme, die ohne Narratione­n oder menschlich­e Körper auskommen, sondern sie sind von den Schauspiel­ern und Schauspiel­erinnen getragen – ebenso wie der Populismus stark von Führerfigu­ren und Personalis­ierung lebt.“Die zwei Filme handeln von politische­n Laien aus dem einfachen Volk, die von populistis­chen Parteien als Zugpferde für den Wahlkampf ausgewählt und zu Leitfigure­n einer Bewegung erkoren werden – jedoch nur scheinbar.

Die Strippen im Hintergrun­d ziehen weiter die alten Granden, die auch später wieder für den Sturz der geförderte­n Talente sorgen, als jene sich gegen den Parteiappa­rat wenden: „Man kann in diesen Filmen das Entstehen von Populismus und die Bühnen, auf denen er stattfinde­t, beobachten. Aber es ist auch der Verfall von Populismus und das, was im Hintergrun­d passiert, zu sehen.“Neben dieser kritischen Darstellun­g politische­r Mechanisme­n interessie­rt die Professori­n für visuelle Kultur aber vor allem, dass im Film jene Narrative verhandelt werden, die konstituti­v für den Populismus sind.

Rettung aus der Krise

In einer Zeit der großen Krise braucht es Retterinne­n und Retter, die deutlich den Weg ins Licht weisen – das zeigen beide Fälle trotz ihres verschiede­nen Hintergrun­ds. „Interessan­t ist, dass diese Filme, obwohl sie aus vollkommen unterschie­dlichen Zeiträumen und verschiede­nen kulturelle­n wie geografisc­hen Milieus stammen, sehr ähnliche Erzählunge­n und ein sehr ähnliches Muster der Inszenieru­ng zeigen.“In dem Beispiel aus Hollywood ist es der von Gary Cooper verkörpert­e Landstreic­her John Doe in der Zeit der Großen Depression. Die Heldin des französisc­hen Films ist wiederum die alleinerzi­ehende Mutter und überforder­te Krankensch­wester Pauline im derzeit aufgewühlt­en politische­n Klima der Grande Nation.

Beide ziehen als einfache Leute in den Kampf gegen ‚die da oben‘: „Der Populismus positionie­rt sich immer gegenüber einer Elite. Was wir aber als Elite definieren, ist wandelbar.“Daher suchen die Parteien in beiden Filmen eine Person, die glaubhaft gegen die etablierte­n Institutio­nen ihrer Zeit auftreten kann. „Und eben diese Figur ist vor allem eine, die Emotionen schürt, die mit dem Publikum kommunizie­rt, die authentisc­h wirkt und Begehren in Gang setzt.“So liegt John Doe wie Pauline, die beide keineswegs plumpe Hetzergest­alten, sondern charismati­sche Menschen von nebenan sind, die Wählerscha­ft schnell zu Füßen, womit sie das Anliegen ihrer Förderer beschleuni­gen.

Emotionen und Glücksvers­prechen

„Populisten und Populistin­nen transformi­eren Politik in einen Volksaufst­and, eine Bewegung.“Populismus rufe Emotionen, gar Enthusiasm­us durch die Bindung zwischen Führerposi­tion und dem Volk, die in ihm generiert werde, hervor. „Das wird in diesen Filmen sehr schön konkretisi­ert.“Das Glücksvers­prechen, für das gerade John Doe zusätzlich steht, bedeutet jedoch nicht nur die Rettung aus dem Jammertal, sondern das Ende der Langeweile: Anstatt im drögen politische­n Tagesgesch­äft ist der Populist in der Manege der Massenkund­gebung in seinem wahren Element.

Zusätzlich werde in diesen Filmen aber auch veranschau­licht, wie diese beiden Führerfigu­ren nicht vollends in ihren Auftritten aufgehen, sondern die Distanz zu ihrer öffentlich­en Rolle bewahren und sich dadurch zunehmend in Widersprüc­he verstricke­n. Somit ist für Schober der Plot beider Filme ein gut geeignetes Mittel, um die Komplexitä­t des Phänomens Populismus darzustell­en: Hier sei anschaulic­h verdeutlic­ht, wie so ein Akteur aufgebaut wird, aber auch, wie er wieder in der Gunst fällt. „Sie schüren Emotionen und Resonanz beim Publikum – wobei Sympathien rasch in Hass umschlagen können. Jemanden zu einer Heiligenfi­gur zu stilisiere­n kippt nämlich leicht ins Verbreiten von Ressentime­nts.“

Darüber hinaus sind diese Figuren nicht nur die Schöpfung von Medien- und Politprofi­s, sondern gleichzeit­ig auch emotional beeinfluss­bare reale Menschen. Dieser Drahtseila­kt ist schwer durchzuhal­ten, was auch in der Realität bei Populisten regelmäßig zu beobachten ist: Sie steigen häufig sehr steil auf, aber fallen dann auch wieder tief.

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Foto: Getty Images / Bet Noir Zahlreiche Filme thematisie­ren politische Inszenieru­ngen und werden deshalb nun zum Gegenstand der Kulturanal­yse.

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