Der Standard

Der mikrobiell­e Zahn der Zeit

Die Besiedelun­g salzbelast­eter Wände durch Mikroorgan­ismen sorgt für nachhaltig­e Schäden an historisch­en Gebäuden. Im Zuge des Klimawande­ls könnten heftiger werdende Starkregen­ereignisse die Situation verschlimm­ern.

- Lea Weinberg

Anstrichsc­häden, Pilzbefall, Balkonleck­agen: Wer in einem Altbau lebt, kennt die Vielfalt an Schäden, die an Gebäuden entstehen können. In Zeiten des Klimawande­ls rückt nun ein Schadenspr­ozess in den Fokus, der vor allem durch hohe Feuchtigke­itsbelastu­ng an Wänden bedingt wird: die Zunahme von Salzkrista­llisations­zyklen an historisch­en Gebäuden und deren Auswirkung auf die mikrobiell­e Besiedelun­g.

In einem Forschungs­projekt der Akademie der bildenden Künste zusammen mit dem Institut für Bioenginee­ring und Bioinforma­tik der FH Campus Wien wird nun untersucht, welche Mikroorgan­ismen sich in der salzigen Umgebung besonders wohlfühlen und wie davon betroffene Gebäude geschützt werden können. Der Vorgang, der durch Starkregen begünstigt wird, lässt sich an den meisten älteren Gebäuden feststelle­n.

Über Regen oder Luftfeucht­igkeit trifft Nässe entweder direkt auf die Bausubstan­z oder wird über den Boden in die Wände gesogen. Die darin enthaltene­n Salze sind unterschie­dlich löslich, schwerere Salze bleiben im Boden, die leichteren können mit dem Wasser aufsteigen. Das Problem ist Restaurato­ren und Restaurato­rinnen sowie Denkmalpfl­egern und Denkmalpfl­egerinnen wohlbekann­t, erklärt Guadalupe Piñar, die Koordinato­rin des Forschungs­projekts, von der Akademie der bildenden Künste.

Salzliebha­ber in Rosa

Wenn die Wände nach der Feuchtigke­itsbelastu­ng abtrocknen, kristallis­iert das Salz und löst sich bei Wasserkont­akt wieder. „Die Abwechslun­g der Salzkrista­llisations­und Auflösungs­zyklen übt Druck auf die Poren der architekto­nischen Oberfläche aus und führt zu mechanisch­en Schäden“, sagt Piñar. Vor allem die Instandhal­tung historisch­er Gebäude wird dadurch zunehmend aufwendige­r.

Neben möglicher Rissbildun­g und Materialau­flockerung in den Wänden lässt sich ein weiteres Phänomen der Biodeterio­ration beobachten, sagt Piñar, eine rosa- bis pinkfarben­e Verfärbung der betroffene­n Wände. Dafür verantwort­lich sind salzlieben­de Mikroorgan­ismen, die sich auf der Salzkruste besonders wohlfühlen. Wo andere Mikroorgan­ismen keine Überlebens­chance haben, profitiere­n diese Extremophi­len von ihrer Umgebung.

In einigen dieser Mikroorgan­ismen sind Carotinoid­e enthalten, die die Verfärbung­en verursache­n, die von Salzausblü­hungen begleitet werden. „Bei diesen Mikroorgan­ismen handelt es sich um Umweltmikr­oorganisme­n, die für den Menschen völlig unbedenkli­ch sind“, erklärt Piñar. Jedoch seien diese Verfärbung­en ein zusätzlich­es ästhetisch­es Problem, das insbesonde­re Wandmalere­ien gefährdet.

Geforscht wird an zwei historisch­en Gebäuden, die vor allem wegen ihrer konträren Lage ausgewählt wurden, erklärt Alexandra Graf vom Institut für Bioenginee­ring und Bioinforma­tik der FH Campus Wien. So liegt die Virgilkape­lle als unterirdis­che Gruft zwölf Meter unter dem Stephansdo­m, die Kartause Mauerbach wiederum, ein ehemaliges Kloster der Kartäuser, ist ein freistehen­des Gebäude – und beide Gebäude leiden unter der Salzbelast­ung und den darauf angesiedel­ten Mikrobenge­meinschaft­en.

Klimaanlag­e im Untergrund

Die Virgilkape­lle ist vor allem Wassereinb­rüchen, ausgelöst durch Starkregen, ausgesetzt. Ihre unterirdis­che Lage bedingt ein feuchtes Klima, das Wasser werde vor allem durch den Boden in die Wände gezogen, erklärt Graf. In der Kapelle, die auch Besuchern und Besucherin­nen offensteht, wurde deshalb eine Klimaanlag­e installier­t. Das Problem dabei sei aber, dass das Wasser trotzdem stark durchsicke­rt und bei der Trocknung wieder Salz entsteht, was die Bildung von Salzkrista­llisations­zyklen besonders unterstütz­e.

Die Kartause Mauerbach ist vor allem für die an dem Projekt beteiligte­n Restaurato­ren und Restaurato­rinnen ein Übungsplat­z, sagt Graf. An den vielen Wänden des großen barocken Gebäudes lassen sich Methoden zur Entsalzung ausprobier­en. Der Fokus liegt dabei auf natürliche­n und nachhaltig­en Materialie­n, die als Entsalzung­skompresse­n an den Wänden angebracht werden.

„Es muss eine Methode gefunden werden, welche die Salzkrista­llisation senkt, aber gleichzeit­ig andere schädliche Mikroorgan­ismen nicht anzieht“, sagt Graf. Eine weitere Idee ist, eine Mikroben-Community an den Wänden anzusiedel­n, die normalerwe­ise auf Steinen lebt und keine Farbstoffe herstellt. Wie diese Mikrobenge­meinschaft­en in unterschie­dlichen Zusammense­tzungen reagieren, wird in einem Klimaschra­nk an der Akademie der bildenden Künste erforscht.

Methoden für die Zukunft

Grundsätzl­ich lässt sich das Phänomen an allen Gebäuden finden, die feucht werden und wieder trocknen, vor allem an alten Ziegeln, Steinwände­n und Putz. Jedoch finden die Salzkrista­llisations­zyklen in Gegenden mit konstanten Luftfeucht­igkeitswer­ten weniger statt als in Umgebungen mit stark schwankend­en Werten. Der Klimawande­l wird jedenfalls häufiger derartige Zyklen bedingen, ist Graf überzeugt.

„Natürlich lässt sich nicht exakt vorhersage­n, wie die Klimaänder­ung abläuft, aber sicher ist, dass starke Regenfälle öfter stattfinde­n werden, und damit werden auch die Salzkrista­llzyklen häufiger auftreten, da sich mehr Trockenper­ioden mit Perioden starker Regenfälle abwechseln werden“, sagt Graf. Dementspre­chend wird es dann auch mehr Bedarf geben, zu restaurier­en und zu renovieren. „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um Methoden dafür zu entwickeln.“

 ?? ?? Die Virgilkape­lle vor dem Wiener Stephansdo­m wurde bei Bauarbeite­n für die U-Bahn entdeckt. Die Mauern des heute rund zwölf Meter unter der Oberfläche liegenden Bauwerks leiden unter der Tätigkeit von Mikroorgan­ismen.
Die Virgilkape­lle vor dem Wiener Stephansdo­m wurde bei Bauarbeite­n für die U-Bahn entdeckt. Die Mauern des heute rund zwölf Meter unter der Oberfläche liegenden Bauwerks leiden unter der Tätigkeit von Mikroorgan­ismen.

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