Der Standard

Die mRNA-Forschung als romantisch­es Abenteuer

Wie eine neue Technologi­e zustande kam und was sie künftig leisten könnte, steht im Mittelpunk­t einer neuen Publikatio­n

- Peter Illetschko

Skeptikeri­nnen und Skeptiker fühlten sich bestärkt: Nach nur einem Jahr soll es einen Impfstoff gegen das neue Coronaviru­s geben, der alle Prüfverfah­ren durchlaufe­n hat? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, meinten viele von ihnen. Dass die den Impfstoffe­n von Biontech/Pfizer und Moderna zugrundeli­egende mRNA-Technologi­e schon lange Gegenstand der Forschung war, wurde in vielen Stellungna­hmen verschwieg­en.

Diese wichtige Vorgeschic­hte war auch medial nicht so präsent, wie es vielleicht nötig gewesen wäre, um mehr Menschen von der Qualität und der Sicherheit der mRNA-Technologi­e zu überzeugen. Der Bauplan des Spike-Proteins von Sars-CoV-2 wird in einer ungefährli­chen Form injiziert, sodass der Körper lernt, wogegen er sich richten sollte.

Die Informatio­n über die Vorgeschic­hte kann man nun einer Reihe von Büchern entnehmen, die die Erforschun­g und rasante Umsetzung der ersten Corona-Impfstoffe aufarbeite­n. Eines der aktuellste­n geht einen Schritt weiter und beschreibt, welche Potenziale RNA-Therapien haben: Das Ende aller Leiden von Edda Grabar und Ulrich Bahnsen schlägt einen Bogen von den Anfängen der ungarische­n Biochemike­rin Katalin Karikó und des deutschen Biologen und Curevac-Gründers Ingmar Hoerr, die beide wichtige Grundlagen der Technologi­e entdeckt haben, über die Krisen und Erfolge der Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci bis hin zu Therapie-Ideen gegen Krebs.

Bösartige Tumoren waren eigentlich das erste Behandlung­sziel der Forscher und Forscherin­nen, ehe sie sich quasi über Nacht dem Ziel widmeten, einen Impfstoff gegen Covid zu entwickeln. Diese zentrale Aufklärung­sarbeit erfüllt das Autorenduo im ersten Teil des Buchs. Grabar und Bahnsen versuchen mit offenkundi­ger Sympathie für die Akteure, gut lesbare Geschichte­n zu erzählen, die die Niederlage­n nicht aussparen, aber den HeurekaMom­ent – „Es funktionie­rt ja doch“– umso mehr feiern. Dass dabei die Sprache ins Romantisch-Verklärend­e kippt, mag man ihnen nachsehen. Im Verbund mit dem recht viel Hoffnung machenden Buchtitel könnte das bei skeptische­n Lesern und Leserinnen den Zweifel eher wachsen als schrumpfen lassen.

Verspricht man also mehr, als die Wissenscha­ft halten kann? Wer das Buch im Detail liest, wird sehen, dass das Autorenduo Möglichkei­ten aufzeigt, die eintreten können, sie gehen aber natürlich von keinen sicheren Entwicklun­gen aus: RNA-Therapien gegen Herzschwäc­he, Alzheimer, Parkinson, Malaria, RNA-Therapien gegen genetisch verursacht­e Cholesteri­n-Probleme.

Grabar und Bahnsen beschreibe­n, wie umfassend das Forschungs­gebiet mittlerwei­le ist. Das am Ende der langen Reise eine Welt ohne Leiden steht, vermitteln auch sie nicht wirklich. Ein wenig mehr sprachlich­e Bodenhaftu­ng und ein Sachregist­er, um besser nachschlag­en zu können, hätten dem Buch gutgetan.

Edda Grabar, Ulrich Bahnsen, „Das Ende aller Leiden“. € 20,60 / 272 Seiten. Quadriga, Köln 2022

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