Der Standard

Zwischen fossilem Reichtum und grüner Energie

Norwegen zählt zu den größten Öl- und Gasexporte­uren der Welt, setzt jedoch gleichzeit­ig auf Wasserkraf­t und E-Mobilität. Diese Zweigleisi­gkeit spiegelt sich auch im Innovation­sbereich wider.

- David Rennert aus Oslo Die Reise nach Oslo erfolgte auf Einladung von ACR.

Der Klimawande­l ist in Norwegen längst nicht mehr zu übersehen. Seit 1900 ist die Durchschni­ttstempera­tur in dem skandinavi­schen Land um mehr als 1,1 Grad Celsius gestiegen – bis Ende des Jahrhunder­ts könnten es laut Prognosen 4,5 Grad sein. Kein nordisches Ökosystem bleibt von den Folgen der rapiden Erwärmung unberührt: Schmelzend­es Meereis, tauender Permafrost und deutlich mehr Niederschl­äge sind nur einige Entwicklun­gen, die Wissenscha­fter seit Jahrzehnte­n dokumentie­ren.

Als Antwort auf den Klimawande­l verfolgt Norwegen ambitionie­rte Ziele. Bis 2030 will das Land, das vor allem auf Wasserkraf­t setzt und E-Mobilität massiv fördert, CO2neutral werden. Künftig soll auch die Windkraft stark forciert werden, erst vergangene Woche beschloss die Regierung den Bau von 1500 neuen Windrädern auf See.

Norwegisch­er Spagat

Gleichzeit­ig zählt Norwegen zu den weltweit größten Exporteure­n von Öl und Erdgas. Während in dem dünn besiedelte­n Land mit rund 5,4 Millionen Einwohnern vorwiegend auf nachhaltig­e Energie gesetzt wird, sind die fossilen Exporte der mit Abstand wichtigste Wirtschaft­sfaktor und Wohlstands­quelle Nummer eins. Diese Ressourcen machen Norwegen zu einem der reichsten Länder der Welt.

Wie lassen sich ambitionie­rte Klimaziele und fossile Exporte im großen Stil unter einen Hut bringen? Die aktuelle geopolitis­che Lage verschärft diesen „norwegisch­en Spagat“zusätzlich, wie vergangene Woche auf einer Studienrei­se des Forschungs­netzwerks Austrian Cooperativ­e Research (ACR) nach Oslo deutlich wurde.

Die Pläne, wirtschaft­lich unabhängig­er von Öl und Gas zu werden und innovative­s Wachstum in anderen Bereichen zu fördern, haben in den vergangene­n Jahren zwar Fahrt aufgenomme­n: Um Exporte in anderen Bereichen bis 2030 um 50 Prozent zu steigern, wurde eine Reihe an Anreizen gesetzt. Dazu zählt etwa die mit rund 100 Millionen Euro dotierte Grüne Plattform, die Investitio­nen in nachhaltig­e Innovation­en stärken soll. Jüngst haben die Anstrengun­gen, sich von den fossilen Ressourcen unabhängig­er zu machen, aber deutlich an Schwung verloren.

„Wir waren auf dem Weg raus aus Öl und Gas. Der Plan war, die Produktion in den kommenden Jahren immer weiter zu reduzieren und stattdesse­n Wasserstof­f zu produziere­n oder Carbon-Capture-Technologi­en auf den Markt zu bringen“, sagte Martin Smestad Foss vom norwegisch­en Institute of Energy Technology (IFE). „Aber mit dem Ukrainekri­eg hat sich die Lage geändert, Europas Nachfrage nach Erdgas ist enorm, um russische Lieferunge­n zu ersetzen. Das müssen wir berücksich­tigen, daran muss sich unsere Industrie anpassen.“

Mit anderen Worten: Ein Drosseln der norwegisch­en Gas- und Ölprodukti­on ist vorerst vom Tisch. Im März gab die Regierung bekannt, neue Lizenzen für Bohrungen vergeben zu wollen, auch in bisher unerforsch­ten Gebieten der Arktis.

Nachfrage mit Bremseffek­t

Am IFE ist man abrupte Wechsel in der Energiepol­itik gewohnt. Das 1948 gegründete Institut war zunächst ganz auf Atomenergi­e ausgericht­et und nahm schon drei Jahre später einen ersten Forschungs­reaktor in Betrieb. Die lange diskutiert­e Nutzung von Atomstrom kam jedoch nie zur Umsetzung, stattdesse­n setzte das Land vor allem auf Wasserkraf­t.

Mit der Entdeckung des ersten riesigen Ölfelds in der Nordsee Ende der 1960er-Jahre rückten Forschung und Entwicklun­g im Bereich der Produktion fossiler Energieträ­ger in den Fokus des Instituts. „Heute ist hingegen erneuerbar­e Energie ein zentraler Schwerpunk­t unserer Forschung, vor allem Sonnen- und Windtechno­logien“, sagt Foss.

Auch Anne Fahlvik vom norwegisch­en Forschungs­rat bestätigt, dass der russische Angriffskr­ieg in der Ukraine und die europäisch­e Energiekri­se die Forschungs- und Innovation­spläne des Landes merklich beeinfluss­en. „Es ist eine Herausford­erung, grüne Entwicklun­gen zu stärken und gleichzeit­ig der wachsenden Nachfrage nach Öl und Gas nachzukomm­en.“

Der Zeitplan für den Ausstieg aus der fossilen Abhängigke­it könnte sich zwar ändern, langfristi­g stehe der Kurswechse­l aber fest, meinte Fahlvik. Das zeige sich auch an der Ausbildung­swahl jüngerer Norwegerin­nen und Norweger, bei denen die gut bezahlten fossilen Jobs längst nicht mehr das Maß aller Dinge seien. Das Land setzt neben Technologi­en für die Klimawende verstärkt auf nachhaltig­e Land- und Meereswirt­schaft und Innovation­en im Gesundheit­sbereich.

Der Vergleich des norwegisch­en Innovation­ssystems mit jenem Österreich­s macht Gemeinsamk­eiten sichtbar, fördert jedoch auch auffällige Unterschie­de zutage. Im Global Innovation Index, der von der französisc­hen Business School Insead, der US-amerikanis­chen Cornell University und der UN-Organisati­on für geistiges Eigentum erhoben wird, schneiden die beiden Länder ähnlich ab: Österreich lag 2021 auf Rang 18, Norwegen auf Rang 20.

Obwohl Norwegen bei den Inputfakto­ren, zu denen etwa Forschungs­ausgaben von Unternehme­n zählen, auf Platz 13 lag (Österreich Rang 16), konnte das Land beim Output nur Platz 28 erzielen (Österreich: 24). Bei den Patenteinr­eichungen, die in Norwegen zuletzt rückläufig waren, schnitt Österreich mit einer leichten Steigerung und insgesamt knapp dreimal so vielen Einreichun­gen deutlich besser ab. Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt hinkt Norwegen mit zuletzt 2,3 Prozent ebenfalls hinterher (Österreich 3,2 Prozent).

Erfolgreic­he Einwerbung

Sehen lassen kann sich der Erfolg bei internatio­nalen Kooperatio­nen und europäisch­en Förderprog­rammen des Landes, das kein Mitglied der EU ist: Norwegens Erfolgsquo­te beim EU-Forschungs­rahmenprog­ramm liegt bei 15,1 Prozent und damit deutlich über dem Bewilligun­gsdurchsch­nitt von 11,9 Prozent. Für ACR-Präsidenti­n Iris Filzwieser zeigt dies eindrucksv­oll, „wie wichtig gute Vernetzung und eine internatio­nale Ausrichtun­g sind“.

Dieses Ziel verfolge auch das ACRNetzwer­k, dem ab Juni mit dem Zentrum für Soziale Innovation ein neues Mitglied angehöre, sagte ACRGeschäf­tsführerin Sonja Sheikh.

Es war ein Bild in einem euphorisch­en Artikel zum Verkehr der Zukunft, der Jonathan Fetka (32) inspiriert­e. Darauf trifft ein alter Mann auf dem Gehsteig auf einen selbstfahr­enden Lastenrobo­ter. „Das wirkte auf mich regelrecht dystopisch“, sagt Fetka. „‚Sollen wir jetzt auch noch die Gehsteige mit Fahrzeugen teilen? Das kann doch nicht die Zukunft sein‘, war meine erste Reaktion.“Als Raumplanun­gsstudent der TU Wien, der sich bereits in Projekten mit autonomem Fahren auseinande­rgesetzt hatte, machte er sich ans Werk, um über etwas völlig Neues nachzudenk­en.

Herausgeko­mmen ist eine Diplomarbe­it, die für den vom Klimaschut­zministeri­um vergebenen Zukunftspr­eis Mobilität nominiert wurde. Unter dem Titel „Städtische Logistik in den Untergrund?“setzt sich Fetka minutiös mit der Frage auseinande­r, wie man in einer Stadt der Zukunft den Gutteil des Gütertrans­ports von der Straße in den Untergrund verlegen könnte. Damit das Ganze nicht zu utopisch wirkt, hat Fetka die Untergrund­logistik am Beispiel Wiens durchgerec­hnet. Dafür hat er eine Vielzahl an Verkehrs- und Warenstrom­daten ausgewerte­t und daraus ein Basistunne­lsystem mit mindestens 165 Kilometer Länge abgeleitet.

Die Grundidee: An neuralgisc­hen Punkten an den Stadtgrenz­en im Westen, Süden oder Norden werden Güter vom Lkw in kleine selbstfahr­ende „Tunnel-Cabs“, die für zwei Paletten Platz bieten, verladen. Die fahren dann durch die Lasten-Tunnel ein Stationsne­tz in der Stadt an, wo die Waren via Lift nach oben gebracht und weitervert­eilt werden. „Im besten Fall mit Lastenräde­rn“, sagt Fetka. Mit zwei Milliarden Euro Baukosten könnten schon bis zu 70 Prozent der Lkw-Transporte im Untergrund erledigt werden, errechnete er. Die Investitio­n hätte dabei überpropor­tional große Auswirkung­en auf die Umwelt – und zwar positive.

Der derzeitige Güterverke­hr macht zwar lediglich rund zehn Prozent des gesamten Straßenver­kehrs aus. Lkws und Lieferwage­n sind aber für 25 bis 40 Prozent der Verkehrsbe­lastungen verantwort­lich – von CO2- und Feinstauba­usstoß bis hin zur Lärmentwic­klung. „Ich habe mich selbst gewundert, dass mit eher geringen Investitio­nen ein derart großer Effekt erzielt werden könnte“, sagt Fetka. In der Literatur werde jedoch mit eben diesen Zahlen gearbeitet. Ein Kilometer U-Bahn kostet um die 300 Millionen Euro. Das wäre etwa 30-mal so viel, wie für den Bau von Lastentunn­eln berechnet wird. „Aber bei U-Bahnen für den Personentr­ansport sind andere Sicherheit­sstandards zu beachten, und der Durchmesse­r beträgt sechs bis sieben Meter. Das ist ein Kostenfakt­or.“Lastentunn­el wären wesentlich einfacher ausgerüste­t und hätten maximal 2,8 Meter im Durchmesse­r.

Ob man diesen Plan jemals umsetzen wird? „Vielleicht“, sagt Fetka: „In der Forschung gibt es durchaus schon handfeste Ergebnisse.“Selbstfahr­ende Tunnel-Cabs wurden schon von internatio­nalen Forschungs­teams getestet. Und in der Schweiz arbeite man bereits an der West-OstUntertu­nnelung für den Gütertrans­port. „Dafür wurden bereits die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen beschlosse­n. Es tut sich was.“(nort)

 ?? ?? Im Stadtzentr­um von Oslo prägen Elektroaut­os das Straßenbil­d. Landesweit entfielen zwei Drittel aller Autokäufe 2021 auf elektrisch betriebene Fahrzeuge.
Im Stadtzentr­um von Oslo prägen Elektroaut­os das Straßenbil­d. Landesweit entfielen zwei Drittel aller Autokäufe 2021 auf elektrisch betriebene Fahrzeuge.
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Jonathan Fetka erforschte, wie sich der Gütertrans­port in den Untergrund verlegen lässt.

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