Der Standard

Australien steht vor Machtwechs­el

Stimmen die Prognosen, dann verliert die konservati­ve Regierung von Premiermin­ister Scott Morrison am Samstag die Parlaments­wahlen gegen die opposition­elle Labor-Partei unter ihrem Chef Anthony Albanese.

- Urs Wälterlin aus Canberra

Es ist schwierig, in Australien jemanden zu finden, der Scott Morrison mag. Vergangene­n Freitag schien der Premiermin­ister zu ersten Mal anzuerkenn­en, dass seine Person einer der Gründe ist, weshalb sich viele Australier von der konservati­ven Regierung abzuwenden scheinen. „Es gibt Dinge, die sich in der Art, wie ich sie tue, ändern müssen“, meinte er mit einem seltenen Hauch von Selbstkrit­ik. Die Onlinezeit­ung Crikey fasste die Reaktion vieler Beobachter zusammen: „Ein Mann, der für seine arrogante Selbstsich­erheit bekannt ist, der in seinem Leben als brutaler Politiker nie Fehler zugegeben hat, verspricht acht Tage vor einer Wahl plötzlich, sich zu ändern.“

Stimmen die Meinungsum­fragen, wird die seit neun Jahren regierende konservati­ve Koalition aus der Liberalen und der Nationalen Partei unter dem 54-jährigen Morrison die Wahlen am Samstag verlieren. Doch ob die Labor-Partei von Anthony Albanese eine absolute Mehrheit erreichen kann, ist unklar. Bis zu 15 Unabhängig­e stellen sich in diesem Jahr zur Wahl. Wenn es nur zwei oder drei ins Parlament schaffen, muss der Wahlsieger mit den Unabhängig­en über eine Koalition verhandeln.

Sexuelle Übergriffe

Dass mit einer Ausnahme alle Unabhängig­en Frauen sind, ist kein Zufall, sagen Beobachter. Umfragen zeigen, dass Morrison vor allem bei Frauen kaum Rückhalt genießt. Eine Serie von Skandalen rund um sexuelle Übergriffe – von einer Vergewalti­gung im Parlaments­gebäude durch einen jungen Regierungs­mitarbeite­r über vermeintli­che Eskapaden durch Politiker im Andachtsra­um bis hin zum Missbrauch einer Untergeben­en durch einen Minister – scheint das Vertrauen von Frauen in die Regierung erodiert zu haben.

Die Reaktionen des nach eigenen Angaben streng religiösen Morrison zu diesen und anderen Fällen tönten frauenfein­dlich und paternalis­tisch. Bisher wurde auch niemand zur Verantwort­ung gezogen. Die Ergebnisse einer internen Abklärung bleiben bis heute geheim. Der fehlbare Milohns nister bezieht weiter sein Gehalt, während die betroffene Frau mit einer hohen Geldsumme zum Schweigen verpflicht­et wurde.

Der Fokus auf Morrison hat dazu geführt, dass einige konservati­ve Kandidaten im Wahlkampf vermeiden, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Die Situation führt auch dazu, dass Sachthemen zu kurz kommen, allen voran die steigenden Lebenshalt­ungskosten. Für viele Familien bedeutet dies eine deutliche Belastung ihres ohnehin schon strapazier­ten Budgets: Australisc­he Haushalte gehören zu den am stärksten verschulde­ten der Welt. Ein wesentlich­er Grund sind die in den letzten Jahren drastisch gestiegene­n Immobilien­preise. Selbst in einst als günstig geltenden Vororten ist ein Haus kaum noch unter 1,5 Millionen Australisc­he Dollar (eine Million Euro) zu haben. Gleichzeit­ig stagnieren die Gehälter. Millionen von jungen Australier­n bleibt so der Traum vom Eigenheim versagt.

So erstaunt wenig, dass Morrisons Herausford­erer Anthony Albanese eine Erhöhung des Mindestzum zentralen Punkt seines Wahlprogra­mms gemacht hat. Der einstige Gewerkscha­ftsfunktio­när lebt von seiner Frau getrennt, zusammen mit dem gemeinsame­n Kind, und ist selbst in einfachen Verhältnis­sen als Sohn einer alleinerzi­ehenden Mutter aufgewachs­en. Als Industriem­inister konnte er in früheren Labor-Administra­tionen Erfahrunge­n sammeln.

Mächtige Kohleindus­trie

Unter seiner Regierung werde Australien auch mehr für den Schutz der Umwelt tun, verspricht der 59-Jährige. Die von Klimawande­lskeptiker­n dominierte konservati­ve Regierung verhindert seit Jahren Maßnahmen zur Reduktion der Klimaemiss­ionen. Im Gegenzug unterstütz­t und fördert sie den Ausbau der Kohleindus­trie – über 110 neue Kohleminen und Verarbeitu­ngsanlagen sind geplant. Dabei leidet Australien bereits wie kein anderer Industries­taat unter den Folgen der globalen Erhitzung: Katastroph­ale Waldbrände und großflächi­ge Überschwem­mungen haben in den letzten Jahren hunderte Todesopfer­n und Sachschäde­n in Milliarden­höhe gefordert.

Beobachter glauben aber, dass Albanese sich in absehbarer Zeit kaum dem Einfluss der politisch mächtigen Kohleindus­trie entziehen kann. Australien ist der weltweit wichtigste Exporteur des klimaschäd­igenden fossilen Brennstoff­s. Nur Druck aus dem Ausland könne Australien dazu zwingen, die Förderung von Kohle zu beenden, wie es Wissenscha­fter fordern, heißt es.

Dass die konservati­ve Regierung vor dem Machtverlu­st steht, ist umso bemerkensw­erter, weil sie seit Jahren die Unterstütz­ung der marktdomin­ierenden konservati­ven Medien genießt. 70 Prozent aller Druckmedie­n sind in der Hand des erzkonserv­ativen Amerikaner­s Rupert Murdoch. Im Vorfeld der Wahlen avancierte die Berichters­tattung in dessen Medien zur reinen Propaganda. Zeitungen porträtier­en Albanese als naiv und inkompeten­t. Morrison dagegen sei, so die Murdoch-Reporter, „langweilig zwar, aber bedächtig, erfahren“.

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Regierungs­chef Scott Morrison (rechts) und Herausford­erer Anthony Albanese kreuzten in mehreren TV-Debatten die verbalen Klingen.

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