Der Standard

Atemlos durch die Krise

Ukraine-Krieg, Klima, Demokratie- und Flüchtling­skrise: Das Bregenzer Landesthea­ter will in „Lüg mich an und spiel mit mir“kein Problem auslassen.

- Julia Nehmiz

Da stehen sie und wissen auch nicht weiter. Als wäre alles zu viel. Armselig wirkt es, wie die vier Frauen und zwei Männer nur in Unterwäsch­e gekleidet über die Bühne kreiseln. Hin und her tragen sie ihre Plastikstü­hle, eine verzweifel­te Tanzchoreo­grafie des Suchens. Doch einen Ort, an dem sie bleiben wollen, finden sie nicht.

Wieder und wieder schickt Martin Gruber die vier Spielerinn­en und zwei Spieler seines Aktionsthe­ater Ensembles ratlos suchend über die Bühne. Lüg mich an und spiel mit mir – Pension Europa 02, das am Mittwoch im Vorarlberg­er Landesthea­ter Bregenz uraufgefüh­rt wurde, ist ein Abend über die große Überforder­ung angesichts der rasenden Weltlage. Bereits 2014 bearbeitet­en Gruber und sein Ensemble diese Überforder­ung, Pension Europa griff das Zusammenle­ben in Europa unter verschärft­en Globalisie­rungsbedin­gungen auf.

Jetzt geht es wieder ums Abendland, um das Zusammenle­ben, diesmal aber in Zeiten des Krieges. Große Fragen stellt Gruber, im Stück wie im Programmhe­ft – um gleich hinterherz­uschieben, kein Theaterabe­nd könne sie beantworte­n. Theater könne im Moment überhaupt nichts, lässt Gruber Schauspiel­erin Babett Arens gleich zu Beginn sagen. In eineinvier­tel Stunden arbeiten sich Martin Gruber und sein Ensemble an den großen Krisen ab, Ukraine-Krieg, Klimakrise, Wirtschaft­skrise, Demokratie­krise – und kreisen selbstrefe­renziell nur um sich. Sechs von der Weltlage völlig überforder­te Personen erzählen von ihren Befindlich­keiten, prügeln auch mal aufeinande­r ein.

Theatrale Bewältigun­g?

Atemlos springen sie durch die Themen, von Horrorfilm­en zu gesperrten Pornoseite­n in Russland über den ersten Kuss beim Blockflöte­nlehrer zu Solidaritä­tskundgebu­ngen für die Ukraine. Michaela Bilgeri verhakt sich in Alltagsras­sismus, Tamara Stern beißt einen Kollegen blutig, Luzian Hirzel verteilt Zuckerschl­angen, David Kopp schluckt seine Wut hinunter, Babett Arens berichtet von den vielen Flüchtling­en, Zeynep Alan träumt von einer Menschenke­tte nach Kiew.

Doch die ausgiebig zur Schau gestellte Überforder­ung der Spielerinn­en und Spieler, die die Gesellscha­ft meint, ist banal. Angesichts des realen Horrors in der Ukraine wirkt es plump, mit ausgestell­ter Dummheit und Ironie den Krieg, diesen Krieg, alle Kriege theatral bewältigen zu wollen.

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Martin Grubers Ensemble stemmt sich mit vollem Körpereins­atz gegen die Probleme der Gegenwart.

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