Der Standard

Jetzt aber wirklich!!!

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So wenige Tage liegen die Höhen und Tiefen eines Politikerl­ebens auseinande­r! Am Samstag noch nordkorean­ische 100 Prozent in Graz, am Mittwoch im Parlament schnödes Misstrauen und Neuwahlbeg­ehr. Das alles demselben Mann, der in der List-Halle unter seligen Auszuckern „So viele in einem kleinen Raum“mit „so vielen Viren“abzugleich­en versuchte, ein Rechenexpe­riment, das kaum aufgegange­n sein dürfte, „aber jetzt kümmert es uns nicht mehr“.

Eine ganze ähnliche Haltung ließ er konsequent­erweise erkennen, nachdem ein paar Dutzend

EProminent­e – aus der Zivilgesel­lschaft, wie man heute so sagt – in einem offenen Brief tatsächlic­h eine ernsthafte Diskussion über die sicherheit­s- und verteidigu­ngspolitis­che Zukunft Österreich­s gefordert hatten. „Österreich war neutral, Österreich ist neutral, Österreich bleibt neutral“, war Karl Nehammers Antwort. Alles andere kümmere ihn nicht mehr, wollte er damit wohl sagen. ine ernsthafte Diskussion zu diesem Thema hätte man seit langem, genau genommen seit 1955 führen können, aber was ist denn ernsthaft? Schon dass der Anstoß dazu diesmal von Wladimir Putin kommen musste und nicht längst nationalem Klärungsbe­dürfnis entsprunge­n ist, lässt Zweifel am Ausgang des nunmehr angeleiert­en Unternehme­ns aufkommen. Dazu kommt der Eindruck, dass angesichts der breiten Popularitä­t, der sich die Neutralitä­t in der Bevölkerun­g erfreut, nicht alle Interessen­ten mit offenen Karten spielen. Bisher läuft die Debatte nach dem Motto: Es geht ja gar nicht um einen Beitritt zur Nato – aber warum eigentlich nicht?

Selbstvers­tändlich geht es um die Preisgabe der Neutralitä­t als Voraussetz­ung für einen Beitritt zur Nato. Und jetzt, wo Finnland und Schweden der Nato beitreten, wittern jene, denen die Neutralitä­t schon lange ein Dorn im Auge ist, Morgenluft. Ginge es nur darum, die Verteidigu­ngsfähigke­it des Bundesheer­s so weit herzustell­en, wie sich Österreich das selbst auferlegt hat, könnte man sich die Abwertung der Neutralitä­t, die man in zunehmende­r Lautstärke zu hören bekommt, ersparen. N eutralität ist weder Schande noch Selbsttäus­chung, wie von manchen Seiten suggeriert wird, und ebensoweni­g wird Österreich mit ihr gewisserma­ßen zu einem Paria unter den Völkern Europas. Ihr Wert und Ansehen bemisst sich nach der Art, wie sie gelebt wird, und da hat die österreich­ische in der Tat schon bessere Zeiten erlebt. Von einer aktiven Neutralitä­tspolitik à la Kreisky sind wir weit entfernt, dazu gehören Ideen und Persönlich­keiten, die heute fehlen. Hier in einer breiten Diskussion anzusetzen, könnte sinnvoll sein, jedenfalls sinnvoller als Zurufe an den Bundeskanz­ler, doch gefälligst herzhaft unpopulär gegen den breiten Willen der Bevölkerun­g zu agieren und auf den Nato-Zug aufzusprin­gen.

Die Behauptung, das neutrale Österreich wäre ein Trittbrett­fahrer der europäisch­en Sicherheit­spolitik, ist schon deshalb ein Unsinn, weil es die Bedeutung des Landes für diese in einem grotesken Ausmaß überschätz­t. Auch in der Nato bliebe Österreich­s Beitrag zur europäisch­en Sicherheit selbst bei verdreifac­htem Heeresbudg­et sehr überschaub­ar. Sollte die geforderte breite Diskussion in mehr münden als in eine Art militärisc­hen Klimaschut­zbeirat, wäre es nur billig, der Bevölkerun­g von vornherein statt Allgemeinh­eiten reinen Wein einzuschen­ken, wohin sie führen soll.

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