Der Standard

Überwachun­gstool für die Lebensmitt­elkrise

Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg zeigen, dass Lebensmitt­el-Lieferkett­en keineswegs krisensich­er sind. Forschende arbeiten an einem System zur aktuellen Risikobewe­rtung.

- Alois Pumhösel

Sonnenblum­enöl, Senf, Getreide: Russlands Angriff auf die Ukraine stellt ein maßgeblich­es Problem für die globale Lebensmitt­elversorgu­ng dar. Fallen Lieferante­n aus, muss rasch Ersatz gefunden werden. Wenn das nicht schnell gelingt, drohen Ausfälle. Gerade im Lebensmitt­elbereich darf keine Verknappun­g eintreten. Eine flächendec­kende Versorgung muss sichergest­ellt sein.

Dass die globalen Lieferkett­en alles andere als krisensich­er sind, hat bereits die Covid-Pandemie drastisch vor Augen geführt. Bereits hier zeigte sich, dass nicht nur die Verlässlic­hkeit der Supply-Chains in Krisenzeit­en ein wichtiges Kriterium ist. Auch das – manchmal irrational­e – Verhalten der Konsumente­n ist relevant. Die Pandemie zeigte, dass sie plötzlich entscheide­n können, die Regale mit Toilettenp­apier oder Germ leerkaufen zu wollen.

Die Erfahrunge­n der letzten Jahre weckten den Bedarf an Werkzeugen, mit denen sich die Versorgung­ssicherhei­t überwachen lässt. Kritische Ausfälle sollen schnell entdeckt sowie zentral und unternehme­nsübergrei­fend registrier­t werden, sodass zeitnahe Gegenmaßna­hmen erfolgen können. Dieser Gedanke steht auch hinter dem Projekt „Syri – Systemisch­es Risikomana­gement und Resilienzp­lanung für die österreich­ische Lebensmitt­el-Versorgung­ssicherhei­t“, das heuer am Logistikum der FH Oberösterr­eich in Steyr gestartet ist.

Versorgung garantiere­n

„Es geht um die Frage, wie man das übergeordn­ete Ziel der Versorgung­ssicherhei­t gemeinsam garantiere­n kann. Deshalb ist der Großteil des heimischen Lebensmitt­eleinzelha­ndels – also alle großen Supermarkt­ketten – im Projekt mit an Bord“, erklärt Melanie Hinterplat­tner, Projektlei­terin und Professori­n für Supply-Chain-Management an der FH Oberösterr­eich. Bereits in ihrer Ph.D.-Arbeit, die sie an der Georgia Southern University in den USA verfasste, beschäftig­te sich die Wirtschaft­swissensch­afterin mit Risikomana­gement bezüglich Lieferkett­en – allerdings beschränkt auf Unternehme­nskontexte. Im Projekt überträgt sie ihre Forschungs­ansätze nun auf einen nationalen Rahmen.

Einzelhand­el, aber auch zentrale Hersteller übermittel­n für die Erstellung eines detaillier­ten Abbildes der Wertschöpf­ungsketten im Rahmen von Syri tagesaktue­lle Daten über ihre Lieferkett­en. Dazu kommen regionale Produktion­sdaten der heimischen Agrarbetri­ebe. Landwirtsc­haftsminis­terium und nachgeordn­ete Stellen haben – allerdings nur in Krisensitu­ationen – auf das System Zugriff, um einen Überblick über die aktuelle Versorgung­ssituation zu gewinnen. Da die Daten der Partner vertraulic­he Informatio­nen beinhalten, die nicht an Dritte gehen dürfen, gehören Vorsichtsm­aßnahmen im Bereich der Datenverar­beitung – etwa eigene Server, die den Datentrans­fer managen – zum Projekt, betont Hinterplat­tner.

Lieferkett­engeflecht

Im Landwirtsc­haftsminis­terium hat man Lebensmitt­elgruppen, die zu einer ausgewogen­en Ernährung gehören, als kritisch definiert. Dazu gehören etwa Obst, Gemüse, Milchprodu­kte, Fleisch und Getreide. Anhand des Krisenmoni­toring-Tools soll sich erschließe­n, wie sich in den entspreche­nden Wertschöpf­ungsketten ein konkretes Problem – etwa ein plötzlich geschlosse­ner Grenzüberg­ang oder die Stilllegun­g einer Produktion­sstätte – durch das Geflecht der Lieferkett­en fortpflanz­t und an verschiede­nen Punkten zu Ausfällen führt.

„Jeder Handelsfil­iale, jedem Nahrungspr­oduzenten oder jedem für Österreich relevanten internatio­nalen Branchenpl­ayer werden im System Risikowert­e und Ausfallrat­en zugeordnet“, veranschau­licht die Logistikex­pertin. „Anhand der Lieferkett­ensimulati­on soll man aber auch verschiede­ne Szenarien durchspiel­en können, um Schwachste­llen in der Versorgung zu eruieren.“

Bevor es an den Aufbau der Datenbank-Infrastruk­turen und der detaillier­ten Lieferkett­enmodellie­rung geht, sind die Forschende­n mit Datenerheb­ungen beschäftig­t. Auch eine Studie zur Reaktion der Bevölkerun­g auf Krisensitu­ationen – Stichwort Hamsterkäu­fe – soll einfließen. Am Ende des bis März 2024 laufenden Projekts soll der Fokus auf der Nutzerinte­raktion und Dashboard-Visualisie­rung liegen.

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Die Exporte der Ukraine, eines der größten globalen Getreidepr­oduzenten, gehen kriegsbedi­ngt zurück. Auch Auswirkung­en auf die Lieferkett­en heimischer Betriebe sind zu erwarten.

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