Der Wiener Pionier der Molekularbiologie
Eine neu übersetzte Biografie und eine Ausstellung zeichnen das Leben und Werk des aus Österreich stammenden Biochemikers Max F. Perutz nach, der in Cambridge wissenschaftliche Weltkarriere machte.
Kennen Sie Fifi Gessner? Vermutlich schon – allerdings unter einem anderen Namen: nämlich als Joy Adamson, die unter andere damit weltberühmt wurde, dass sie in Kenia eine Löwin namens Elsa aufzog. In Wien hatte Gessner, die 1937 wegen des drohenden Nationalsozialismus Wien verließ, bloß einen Dackel besessen. Ähnlich dramatisch sei seine eigene Verwandlung gewesen, nachdem er Wien kurz vor Gessner verlassen hatte, schrieb Max Perutz im Rückblick über sein Leben.
Was für Fifi Gessner Kenia war, war für den Biochemiker eine englische Universität: „Cambridge hat mich zu dem gemacht, was ich bin, nicht Wien.“Während seines Chemiestudiums in Wien habe er nämlich keine Ahnung gehabt, dass es Wissenschafter vom Format eines J. D. Bernal, W. L. Bragg oder einer Dorothy Hodgkin geben könnte. „Wie konnte ich also auch nur versuchen, ihnen nachzueifern?“
Für Max F. Perutz, der 1914 in eine wohlhabende Wiener Textilindustriellenfamilie jüdischer Herkunft geboren wurde, war die Übersiedlung an die Uni Cambridge im Jahr 1936 rückblickend die beste Entscheidung seines Lebens. Was nicht schwer nachzuvollziehen ist: In diesem immens inspirierenden Umfeld gelangen ihm jene Forschungen, die 1962 mit dem Nobelpreis gekrönt werden sollten. Und hier wurde er als Leiter des Laboratory for Molecular Biology (LMB), das er von dessen Anfängen im Jahr 1947 an begleitet hatte, zum wichtigen Wegbereiter des Siegeszugs der Molekularbiologie.
Schwierige Anfänge
Die Anfänge in England waren für Perutz aber alles andere als einfach, wie in der gerade erschienenen deutschen Übersetzung der PerutzBiografie von Georgina Ferry nachzulesen ist, die Max Perutz kurz vor seinem Tod selbst noch zu einer solchen überredete: Zwar hatte der Biochemiker schon sehr bald nach seiner Übersiedlung das Thema für seine Doktorarbeit und sein weiteres Forscherleben gefunden, nämlich die Analyse von Hämoglobin, des roten Blutfarbstoffs, das etwa 90 Prozent unserer roten Blutkörperchen ausmacht. Doch zunächst kam der Krieg dazwischen: Perutz wurde, da aus Österreich eingewandert, als Feind betrachtet, interniert und entsprechend miserabel behandelt. Da der junge Chemiker aber auch erfahrener Alpinist und NebenbeiGlaziologe war, durfte er in Kanada am Projekt Habbakuk mitarbeiten. Dabei sollte im Nordatlantik eine Art schwimmender Flugzeugträger aus Eis und Sägespänen gebaut werden.
Aus dem obskuren Unterfangen wurde zwar nichts, doch Perutz brachte es die britische Staatsbürgerschaft und die Möglichkeit, seine Karriere in England fortzusetzen. Und die sollte – selbst für Cambridge-Verhältnisse – eine der besonders erfolgreichen werden: 1959 erstellte er das erste dreidimensionale Hämoglobin-Modell, wofür er 1962 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Im gleichen Jahr erhielten James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins – allesamt Cambridge-Forschende – den Medizin-Nobelpreis.
1962 wurde auch das neue LMBGebäude eröffnet – mit Max F. Perutz als Direktor, der das Institut bis zu seiner Emeritierung 1979 leiten sollte. In dieser Zeit war das LMB das erfolgreichste Forschungsinstitut der Welt, zumindest gemessen an der Zahl der Nobelpreisträger. Die Gründe dieses einzigartigen Erfolgs – und Perutz’ Rolle dabei – zu rekonstruieren ist eine der zahlreichen Verdienste von Ferrys rundum gelungener Biografie, die en passant auch anschaulich macht, was Spitzenforschung auszeichnet.
Bergsteigen als Metapher
Eine Kürzestfassung davon gibt es auch in Form einer Perutz-Ausstellung im Arkadenhof der Uni Wien unter dem Titel Breathing at High Altitude. Die kleine Schau, die von Georgina Ferry und Albin Köhler, dem Direktor der Max-PerutzLabs in Wien konzipiert wurde, verwendet dabei gekonnt die Metapher einer Bergbesteigung, um die Karriere von Perutz, sein Lieblingshobby und die Rolle von Hämoglobin als Sauerstofftransportvehikel zusammenzubringen.
Ferrys Biografie, deren kürzlich erschienene deutsche Übersetzung an sprachlicher Eleganz und Akkuratesse leider nicht mit dem englischen Original mithalten kann, schildert aber auch die zahlreichen Facetten der komplexen und mitunter widersprüchlichen Persönlichkeit des Biochemikers, der nach seiner Emeritierung nebenbei noch eine zweite Karriere begann.
Perutz schrieb als Essayist für renommierte Zeitschriften über wissenschaftliche Themen. 1997 erhielt er dafür den Lewis Thomas Prize, was ihm eine späte Genugtuung war: In seiner Jugend in Wien hatte er sich auch literarisch versucht. Doch der Schriftsteller Leo Perutz, ein Cousin des Vaters, hatte ihm ausdrücklich kein literarisches Talent bestätigt, nachdem er Texte von Max gelesen hatte.
Die Ausstellung „Breathing at High Altitudes“ist von Montag bis Freitag von 9.00 bis 18.00 im Arkadenhof des Hauptgebäudes der Universität Wien zu sehen (bis 15. Juni).
Die Buchpräsentation „Max Perutz und das Geheimnis des Lebens“mit Autorin Georgina Ferry und Cornelius Obonya, der aus der deutschen Übersetzung lesen wird, findet am 13. Juni, 18.30, im Theatersaal der ÖAW, Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien statt.