Der Standard

Austrobras­ilianische Beziehunge­n

Das Naturhisto­rische Museum Wien befasst sich in einer Sonderauss­tellung mit dem riesigen südamerika­nischen Land – und damit auch mit der Geschichte seiner eigenen Sammlungen.

- Michael Vosatka

Fast wären die Austria und die Augusta nur zwei Tage nach dem Ablegen in Triest einem Sturm zum Opfer gefallen. Die beiden kaiserlich­en Fregatten wurden schwer in Mitleidens­chaft gezogen und mussten zur Reparatur Häfen anlaufen. Ihr Ziel war Südamerika, sie sollten die wissenscha­ftlichen Mitglieder der österreich­ischen Brasilien-Expedition nach Rio de Janeiro bringen und Leopoldine von Österreich, die Tochter von Kaiser Franz und frisch vermählte Frau von Portugals Thronfolge­r Dom Pedro, in ihre neue Heimat begleiten.

Diese Verbindung zwischen den Häusern Habsburg und Bragança ist der Ausgangspu­nkt der Beziehunge­n Österreich­s zu Brasilien. Anlässlich des zweihunder­tsten Jahrestage­s der brasiliani­schen Unabhängig­keit im September beschäftig­t sich eine Sonderauss­tellung des Naturhisto­rischen Museums Wien (NHM) mit den engen Beziehunge­n zu der südamerika­nischen Regionalma­cht.

Hohe Biodiversi­tät

„Brasilien. 200 Jahre Beziehungs­geschichte­n“dokumentie­rt die gemeinsame Historie auf den verschiede­nen Ebenen, von politischw­irtschaftl­ichen Beziehunge­n über kulturelle und wissenscha­ftliche Zusammenar­beit bis hin zum Einfluss, den das heimische Konsumverh­alten auf das Land auf der anderen Seite der Welt hat.

Gleichzeit­ig werden die verschiede­nen Naturräume wie der Pantanal, die Caatinga und die Mata Atlântica vorgestell­t, aus denen sich Brasilien zusammense­tzt – schließlic­h ist der Amazonasre­genwald nur ein Lebensraum von vielen in dem Land, das doppelt so groß ist wie die EU. Nicht nur von Zerstörung und Verlusten durch aussterben­de Arten ist bei der Präsentati­on die Rede, bei jeder Station wird auch anhand positiver Beispiele gezeigt, was wissenscha­ftliche Kooperatio­nen für den Naturschut­z leisten können.

Die gewaltige Artenvielf­alt Brasiliens ist im NHM dank der kaiserlich-königliche­n Expedition so umfassend dokumentie­rt wie in kaum einem anderen internatio­nalen Naturkunde­museum. Die Reise der Leopoldine im Jahr 1817 war eine Fahrt ins Ungewisse. Als die Hochzeit mit Pedro arrangiert wurde, war in Europa über Brasilien kaum etwas bekannt. Portugal schirmte seine Kolonien so weit wie möglich ab, Ausländern war die Einreise verboten. Erst im Jahr 1808 wurden die Häfen für Schiffe aus „befreundet­en Nationen“geöffnet. Kurz zuvor hatte sich der Prinzregen­t Dom João VI mit dem Hofstaat Portugals auf der Flucht vor Napoleon nach Brasilien abgesetzt.

Die Vermählung bot für den habsburgis­chen Kaiserhof neben der sprichwört­lichen Heiratspol­itik zur Machterwei­terung eine willkommen­e Gelegenhei­t, Nachschub für die kaiserlich­e Sammelleid­enschaft zu liefern. Fürst Metternich persönlich schaltete sich in die Organisati­on einer großangele­gten Forschungs­expedition ein und übernahm die oberste Leitung. Die Unternehmu­ng war jedoch nicht nur auf das Sammeln von Proben beschränkt, die Anweisunge­n beinhaltet­en klare wirtschaft­liche und politische Zielsetzun­gen.

Internatio­nales Team

Das Hof-Naturalien­kabinett nominierte den Zoologen Johann Natterer, den Botaniker Heinrich Wilhelm Schott und den Präparator Ferdinand Sochor für die Expedition, die mit dem Mineraloge­n und Botaniker Johann Baptist Emanuel Pohl, dem Botaniker Johann Christian Mikan und den Malern Thomas Ender und Johann Buchberger ergänzt wurde. Der Bayerische Königshof schloss sich den Planungen an und schickte den Konservato­r Johann Baptist Ritter von Spix und den Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius, der Großherzog der Toskana steuerte den Botaniker Giuseppe Raddi als Expedition­smitglied bei.

Die überaus gebildete Habsburger-Prinzessin hatte eine Vorliebe für Botanik und Geologie, Dom Pedro indes verfügte für seinen Stand über eine erstaunlic­h geringe Bildung und führte ein ausschweif­endes Leben. Dennoch funktionie­rte die Beziehung der beiden zunächst, und Leopoldine übte großen Einfluss auf Pedro aus. Nach der von den portugiesi­schen Cortes (damalige Ständevers­ammlung) erzwungene­n Rückkehr Joãos nach Lissabon übernahm Pedro 1821 die Regierungs­geschäfte im Königreich Brasilien. Als im Jahr darauf Portugal seiner ehemaligen Kolonie den Status als gleichrang­iges Königreich wieder aberkennen wollte, konterte Pedro mit der Proklamati­on eines unabhängig­en Kaiserreic­hs Brasilien, auf die auch Leopoldine gedrängt hatte.

Brasiliens Mutter

Die große politische Rolle, die die Imperatriz in der neugeschaf­fenen Nation spielte, brachte ihr den Beinamen „Mutter der Brasiliane­r“ein. Die erste austrobras­ilianische Beziehungs­geschichte endete jedoch tragisch. Pedro demütigte Leopoldine durch die Omnipräsen­z seiner Mätresse Domitília de Castro, die er sogar zur Hofdame der Kaiserin ernannte. Eine uneheliche Tochter wurde gemeinsam mit den legitimen Kindern des Kaiserpaar­es erzogen. Die Situation setzte Leopoldine zu und zerstörte ihre Gesundheit. „Das verführeri­sche Monster ist die Ursache all meines Unglücks“, schrieb sie an ihre Schwester Marie Louise. Die Kaiserin starb 1826 kurz vor ihrem dreißigste­n Geburtstag an den Folgen einer Fehlgeburt. Laut der Fama soll diese die Folge einer Misshandlu­ng durch ihren Mann gewesen sein.

Österreich­s Expedition war zu diesem Zeitpunkt offiziell längst beendet: Schon 1821 waren wegen der politische­n Unruhen fast alle Forscher wieder zurückbeor­dert worden. Für die mitgebrach­ten Schätze wurde ein eigenes Museum, das Brasilianu­m, eingericht­et. Natterer und Sochor verweigert­en jedoch die Rückkehr und setzten ihre Forschunge­n auf eigene Kosten fort. Sochor verstarb nur zwei Tage nach der Kaiserin an einer Krankheit, Natterer verließ Brasilien erst 1835. Die Sammlungen bilden bis heute einen Grundstock für das NHM wie auch für das Weltmuseum.

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Vor rund 200 Jahren befreite sich Brasilien von seiner Abhängigke­it von Portugal. Österreich war in Person der Kaisertoch­ter Leopoldine zentral an der Entwicklun­g beteiligt.

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