Austrobrasilianische Beziehungen
Das Naturhistorische Museum Wien befasst sich in einer Sonderausstellung mit dem riesigen südamerikanischen Land – und damit auch mit der Geschichte seiner eigenen Sammlungen.
Fast wären die Austria und die Augusta nur zwei Tage nach dem Ablegen in Triest einem Sturm zum Opfer gefallen. Die beiden kaiserlichen Fregatten wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen und mussten zur Reparatur Häfen anlaufen. Ihr Ziel war Südamerika, sie sollten die wissenschaftlichen Mitglieder der österreichischen Brasilien-Expedition nach Rio de Janeiro bringen und Leopoldine von Österreich, die Tochter von Kaiser Franz und frisch vermählte Frau von Portugals Thronfolger Dom Pedro, in ihre neue Heimat begleiten.
Diese Verbindung zwischen den Häusern Habsburg und Bragança ist der Ausgangspunkt der Beziehungen Österreichs zu Brasilien. Anlässlich des zweihundertsten Jahrestages der brasilianischen Unabhängigkeit im September beschäftigt sich eine Sonderausstellung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) mit den engen Beziehungen zu der südamerikanischen Regionalmacht.
Hohe Biodiversität
„Brasilien. 200 Jahre Beziehungsgeschichten“dokumentiert die gemeinsame Historie auf den verschiedenen Ebenen, von politischwirtschaftlichen Beziehungen über kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit bis hin zum Einfluss, den das heimische Konsumverhalten auf das Land auf der anderen Seite der Welt hat.
Gleichzeitig werden die verschiedenen Naturräume wie der Pantanal, die Caatinga und die Mata Atlântica vorgestellt, aus denen sich Brasilien zusammensetzt – schließlich ist der Amazonasregenwald nur ein Lebensraum von vielen in dem Land, das doppelt so groß ist wie die EU. Nicht nur von Zerstörung und Verlusten durch aussterbende Arten ist bei der Präsentation die Rede, bei jeder Station wird auch anhand positiver Beispiele gezeigt, was wissenschaftliche Kooperationen für den Naturschutz leisten können.
Die gewaltige Artenvielfalt Brasiliens ist im NHM dank der kaiserlich-königlichen Expedition so umfassend dokumentiert wie in kaum einem anderen internationalen Naturkundemuseum. Die Reise der Leopoldine im Jahr 1817 war eine Fahrt ins Ungewisse. Als die Hochzeit mit Pedro arrangiert wurde, war in Europa über Brasilien kaum etwas bekannt. Portugal schirmte seine Kolonien so weit wie möglich ab, Ausländern war die Einreise verboten. Erst im Jahr 1808 wurden die Häfen für Schiffe aus „befreundeten Nationen“geöffnet. Kurz zuvor hatte sich der Prinzregent Dom João VI mit dem Hofstaat Portugals auf der Flucht vor Napoleon nach Brasilien abgesetzt.
Die Vermählung bot für den habsburgischen Kaiserhof neben der sprichwörtlichen Heiratspolitik zur Machterweiterung eine willkommene Gelegenheit, Nachschub für die kaiserliche Sammelleidenschaft zu liefern. Fürst Metternich persönlich schaltete sich in die Organisation einer großangelegten Forschungsexpedition ein und übernahm die oberste Leitung. Die Unternehmung war jedoch nicht nur auf das Sammeln von Proben beschränkt, die Anweisungen beinhalteten klare wirtschaftliche und politische Zielsetzungen.
Internationales Team
Das Hof-Naturalienkabinett nominierte den Zoologen Johann Natterer, den Botaniker Heinrich Wilhelm Schott und den Präparator Ferdinand Sochor für die Expedition, die mit dem Mineralogen und Botaniker Johann Baptist Emanuel Pohl, dem Botaniker Johann Christian Mikan und den Malern Thomas Ender und Johann Buchberger ergänzt wurde. Der Bayerische Königshof schloss sich den Planungen an und schickte den Konservator Johann Baptist Ritter von Spix und den Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius, der Großherzog der Toskana steuerte den Botaniker Giuseppe Raddi als Expeditionsmitglied bei.
Die überaus gebildete Habsburger-Prinzessin hatte eine Vorliebe für Botanik und Geologie, Dom Pedro indes verfügte für seinen Stand über eine erstaunlich geringe Bildung und führte ein ausschweifendes Leben. Dennoch funktionierte die Beziehung der beiden zunächst, und Leopoldine übte großen Einfluss auf Pedro aus. Nach der von den portugiesischen Cortes (damalige Ständeversammlung) erzwungenen Rückkehr Joãos nach Lissabon übernahm Pedro 1821 die Regierungsgeschäfte im Königreich Brasilien. Als im Jahr darauf Portugal seiner ehemaligen Kolonie den Status als gleichrangiges Königreich wieder aberkennen wollte, konterte Pedro mit der Proklamation eines unabhängigen Kaiserreichs Brasilien, auf die auch Leopoldine gedrängt hatte.
Brasiliens Mutter
Die große politische Rolle, die die Imperatriz in der neugeschaffenen Nation spielte, brachte ihr den Beinamen „Mutter der Brasilianer“ein. Die erste austrobrasilianische Beziehungsgeschichte endete jedoch tragisch. Pedro demütigte Leopoldine durch die Omnipräsenz seiner Mätresse Domitília de Castro, die er sogar zur Hofdame der Kaiserin ernannte. Eine uneheliche Tochter wurde gemeinsam mit den legitimen Kindern des Kaiserpaares erzogen. Die Situation setzte Leopoldine zu und zerstörte ihre Gesundheit. „Das verführerische Monster ist die Ursache all meines Unglücks“, schrieb sie an ihre Schwester Marie Louise. Die Kaiserin starb 1826 kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag an den Folgen einer Fehlgeburt. Laut der Fama soll diese die Folge einer Misshandlung durch ihren Mann gewesen sein.
Österreichs Expedition war zu diesem Zeitpunkt offiziell längst beendet: Schon 1821 waren wegen der politischen Unruhen fast alle Forscher wieder zurückbeordert worden. Für die mitgebrachten Schätze wurde ein eigenes Museum, das Brasilianum, eingerichtet. Natterer und Sochor verweigerten jedoch die Rückkehr und setzten ihre Forschungen auf eigene Kosten fort. Sochor verstarb nur zwei Tage nach der Kaiserin an einer Krankheit, Natterer verließ Brasilien erst 1835. Die Sammlungen bilden bis heute einen Grundstock für das NHM wie auch für das Weltmuseum.