Der Standard

Sequenzen des Ausrastens

Das Dramatiker:innenfesti­val in Graz startet heute – als Höhepunkt gastiert das Deutsche Theater Berlin mit „Karpatenfl­ecken“.

- Margarete Affenzelle­r

Das Theater hat marketingt­echnisch dazugelern­t und bezirzt das Publikum heutzutage mit vielverspr­echenden Titeln. Beim heute in Graz startenden Dramatiker:innenfesti­val anzutreffe­n sind beispielsw­eise Emotionen normaler Menschen, ein TheaterMoc­kumentary der Gruppe schöner scheitern über die Identitäts­krisen der Geschlecht­er.

Oder Zitronen Zitronen Zitronen, ein Stück von Sam Steiner über die Auswirkung­en reglementi­erten Sprachgebr­auchs. Auch signifikan­te Einworttit­el stehen hoch im Kurs, etwa Mopedmonol­og von Paulus Hochgatter­er, Nachtschat­tengewächs­e von Johannes Hoffmann oder

Hirschfell von Anna Carlier. Thomas Köcks dramatisch­es Requiem für Fauna und Flora wiederum gesteht die Wirkmacht des eigenen Titels in diesem selber ein: Und alle Tiere rufen: Dieser Titel rettet die Welt auch nicht mehr (Monkey gone to heaven).

Auch A Sekretär of one’s own klingt verlockend, ist aber kein Theater, sondern ein Austauscho­rt sowie ein Archiv für alle schreibend­en und lesenden Frauen, denen beim diesjährig­en sechsten internatio­nalen Dramatiker:innenfesti­val besondere Aufmerksam­keit zuteilwird.

Etwa gleich am Beginn mit einer Diskussion­sveranstal­tung über die Sichtbarke­it älterer Frauen am Theater, Der Besuch der alten Damen, oder in der Interventi­on In her* words, die das Wiedererst­arken patriarcha­ler Strukturen infolge eines nahen Krieges thematisie­rt. Die weiteren Themen des Spielplans behandeln Klima- und Migrations­fragen.

Formal außergewöh­nlich

Das Dramatiker:innenfesti­val kooperiert mit diversen Partnern, vor allem dem Schauspiel­haus Graz, wo viele der Stücke zu sehen sein werden. Etwa auch Eleos. Eine Empörung in 36 Miniaturen von Caren Jeß.

Darin behandelt die vielgeprie­sene Autorin in kurzen Sequenzen das Ausrasten „hochzivili­sierter Individuen“. Einer der Höhepunkte ist das

Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin mit Karpatenfl­ecken von Thomas Perle. Das durch die Pandemie vielfach verschoben­e Gewinnerst­ück des Retzhofer Dramapreis­es 2019 feiert hier in der Regie von András Dömötör seine Österreich­premiere. Darin erzählen Frauen dreier Generation­en vielsprach­ig von ihren deutsch-österreich­ischungari­sch-rumänische­n Biografien – mit Judith Hofmann, Isabel Schosnig und Julia Windischba­uer.

Formal außergewöh­nlich ist wiederum das audiovisue­lle Gedicht Finstergew­ächs der Gruppe Spitzweger­ich, in dem surreale Bildwelten zu Noise und Musik ineinander­greifen. 8. bis 12. 6.

 ?? ?? Gute Titel sind wie Köder. Das gilt auch für das Theater. Vom Einworttit­el bis zur Wortwurst. Heute, Mittwoch, startet in Graz das Dramatiker:innenFesti­val. Es dauert bis Sonntag.
Gute Titel sind wie Köder. Das gilt auch für das Theater. Vom Einworttit­el bis zur Wortwurst. Heute, Mittwoch, startet in Graz das Dramatiker:innenFesti­val. Es dauert bis Sonntag.

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