Rechnungshofprüfung der ÖVP-Finanzen bringt Nehammer unter Druck
Kontrolle durch Wirtschaftsprüfer Weitere umstrittene Corona-Hilfen
Wien – Der Rechnungshof wird erstmals einen externen Wirtschaftsprüfer einsetzen, um die Finanzen einer Partei zu durchleuchten. Anlass ist der Rechenschaftsbericht der ÖVP für das Jahr 2019, an dessen Richtigkeit der Rechnungshof vielfältige Zweifel hegt. Dabei geht es um nicht deklarierte Spenden, die Struktur der Volkspartei und deren Umgang mit Steuergeld. Das oberste Kontrollorgan hält die Angaben der ÖVP, der Nationalratswahlkampf 2019 habe sie weniger gekostet als der EUWahlkampf im selben Jahr, für lebensfremd.
Dazu kommen zahlreiche Skandale, die sich im Rechenschaftsbericht (nicht) abbilden – etwa die Causa Beinschab rund um durch Steuergeld finanzierte Umfragen mit parteipolitischen Zwecken. Auch die Vorarlberger Wirtschaftsbundaffäre taucht auf: Die Inserate im Magazin der ÖVP-Teilorganisation seien deutlich über Marktwert verkauft worden und daher als Spende zu deklarieren, heißt es.
Widersprüche gibt es auch rund um den Social-Media-Account des damaligen Bundeskanzlers und ÖVP-Chefs Sebastian Kurz. In einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage gab das Kanzleramt an, den Kanal zu betreuen; dem Rechnungshof aber sagte die Volkspartei, sie sei zuständig. Hier soll eine gesonderte Prüfung erfolgen.
Gelassenheit und Neuwahlrufe
Die ÖVP gab sich in einer Aussendung „gelassen“, sie nehme „zur Kenntnis“, dass sich der Rechnungshof „mit einem dritten Wirtschaftsprüfer absichern“wolle. Ganz anders reagierten Opposition und Koalitionspartner. Für die Grünen ist der Bericht „verheerend“, für die FPÖ ein „Schummel- und Blendwerk“. Die Neos sahen das „Korruptionsproblem der ÖVP“bestätigt, die SPÖ forderte baldige Neuwahlen. (red)
Mehr als eineinhalb Jahre verspätet veröffentlichte der Rechnungshof die Prüfung der ÖVP-Parteifinanzen aus dem Jahr 2019 – und die hat es in sich. Das Kontrollorgan hat eine Reihe von Verstößen gegen das Parteiengesetz angezeigt. Erstmals soll ein externer Wirtschaftsprüfer die Finanzen der ÖVP untersuchen.
Grundsätzlich muss sich der Rechnungshof auf Angaben der Parteien verlassen, ein Einblick in ihre Buchhaltung ist ihm nicht möglich. Er verfügt nach eigenen Angaben allerdings über Unterlagen von anonymen, aber „glaubwürdigen Dritten“, die die Angaben der ÖVP zweifelhaft erscheinen lassen. Ein Überblick der Vorwürfe des Rechnungshofs gegen die ÖVP.
Wahlkampfkosten
Die ÖVP hat behauptet, die Obergrenze für Wahlkampfausgaben bei der Nationalratswahl 2019 eingehalten zu haben. Der Rechnungshof bezweifelt das. Unter anderem sei es „mit der politischen Lebenswirklichkeit schwer in Einklang zu bringen“, dass für die Nationalratswahl deutlich weniger ausgegeben worden sein soll als für die EU-Wahl kurz davor. Fragen dazu seien von der Partei teils nicht beantwortet worden, kritisiert das Kontrollorgan. Zum Beispiel wollte die ÖVP nicht näher erklären, warum bestimmte Kosten, die in Dokumenten zu sehen sind und den Prüfern vorliegen, nicht für den Wahlkampf eingerechnet wurden. Nun soll erstmals ein Wirtschaftsprüfer die Finanzen der ÖVP untersuchen.
Teure Studien
Auch die Causa Beinschab, die 2021 zum Rücktritt von Sebastian Kurz geführt hat, spielt eine Rolle: In diesem Verfahren geht es ja darum, dass mit Geldern des Finanzministeriums Umfragen in Auftrag gegeben worden sein sollen, die der ÖVP parteipolitisch nützlich waren. Der Rechnungshof führt hier zwei Studien an, die das Finanzministerium 2019, unmittelbar vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai, durchführen ließ. Sie seien „ohne ersichtlichen Grund“deutlich teurer als andere Studien gewesen. Das Prüforgan vermutet, dass es zu Spenden in Höhe von rund 26.000 Euro gekommen sein könnte.
Rolle des Seniorenbunds
Bedenken gibt es zudem gegenüber dem Seniorenbund. Dieser ist – anders als zuvor von der ÖVP behauptet – aus Sicht des Rechnungshofs sehr wohl eine Teilorganisation der Partei. Seine Einnahmen und Ausgaben müssten demnach in der Parteibilanz aufscheinen, was aber nicht geschehen sei.
Entgegen den Berichten der ÖVP sollte die Partei aus „Mitgliedsbeiträgen“des Seniorenbunds nach Berechnungen des Rechnungshofes maximal 342.000 Euro erhalten haben. Tatsächlich gibt die ÖVP aber an, rund 900.000 Euro auf diese Weise lukriert zu haben. Das lasse sich aber mit den Berichten darüber, wie sich die Gelder aufschlüsseln, nicht vereinbaren. Daher gebe es Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben nicht richtig seien.
Auch inseratenähnliche Einschaltungen in Medien des Seniorenbunds stehen in der Kritik. Der Rechnungshof qualifiziert sie als Wahlwerbung, die in der Spendenliste aufscheinen müsste. Die jüngst bekannt gewordenen Corona-Hilfen in Millionenhöhe an den Seniorenbund seien noch nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen. Sie werden im Kontrollverfahren gegen die ÖVP 2020 und 2021 eine Rolle spielen, heißt es.
Wirtschaftsbund-Affäre
Auch den Vorgängen rund um das Magazin des Vorarlberger Wirtschaftsbundes, die im Ländle eine Inseratenaffäre auslösten, traut der Rechnungshof so nicht. Das Blatt ist 2019 neunmal erschienen und enthielt zwischen 47 bis 82 Prozent Inserate. Auch sei „zweifelhaft“, wie sich der Anzeigenpreis in Höhe von mehr als 1.600.000 Euro zusammensetzt, wären doch vergleichbare Inserate in Zeitungen wie dem Gemeindeblatt günstiger. Die Differenz, rund 1,3 Millionen Euro, seien als Parteispende zu werten.
Die ÖVP hat dem Rechnungshof zudem berichtet, dass der Vorarlberger Wirtschaftsbund rund 500.000 Euro aufgrund parteiinterner Verpflichtungen an die Volkspartei gezahlt habe. Jedoch seien, unter anderem durch eine Finanzprüfung, „Umstände bekannt geworden“, die nahelegen, dass es weitere Zahlungen gegeben habe, die nicht ausgewiesen würden.
Parteiwerbung in Zeitung
Ebenso in der Kritik steht mutmaßliche Parteiwerbung im Mai 2019. Und zwar kurz vor der EU-Wahl, in der Niederösterreich Zeitung. Herausgeber der Publikation war die ÖVP Niederösterreich. Der Rechnungshof sieht darin auf mehreren Seiten „eindeutige Wahlwerbung für zwei ÖVP-Kandidaten und für die Partei“. Das sei als Spende im Sinne des Parteiengesetzes zu sehen, die nicht gemeldet worden sei. Die ÖVP beruft sich in diesem Punkt auf die freie Meinungsäußerung.
Gelder von Großspenderin
Genauer ansehen will sich der Rechnungshof auch die Zuwendungen von Heide Margarete Goëss-Horten, auch bekannt als Heidi Horten, an die ÖVP. Innerhalb zweier Jahre floss von ihr knapp eine Million Euro an die ÖVP – in Tranchen. Hier stellt sich für den Rechnungshof die Frage des Zeitpunkts der Spenden und einer allfälligen unverzüglichen Meldepflicht.
Weitere Zuwendungen
Das mutmaßliche Sündenregister der ÖVP lang: Der Rechnungshof führt beispielsweise eine möglicherweise unzulässige Spende in Bezug auf den Steirischen Bauernbundball an. Es geht um eine Werbung für den Ball „aus öffentlichen Mitteln des Landwirtschaftsministeriums“in Höhe von 43.200 Euro.
Auch Inserate in der Publikation NÖ Gemeinde – Fachjournal für Gemeindepolitik wertet der Rechnungshof als möglicherweise nicht ausgewiesene Spenden. Diese hätten als ÖVP-Wahlwerbung gedient.
Schulungsgelder
Nicht angezeigt worden, aber für den Rechnungshof verdächtig ist eine Schulung des Niederösterreichischen Gemeindebunds, einer der ÖVP nahestehenden Organisation. Dabei soll eine Schulung für niederösterreichische ÖVP-Gemeinderäte rund zwei Millionen Euro gekostet haben, die aus Gemeindemitteln bezahlt wurden. In diesem Zusammenhang will der Rechnungshof eine eigene Prüfung durchführen.
Kurz’ Twitter-Account
Auch die Betreuung des persönlichen Twitter-Accounts von Altkanzler Sebastian Kurz wirft Fragen auf. In der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage gab das Bundeskanzleramt an, dafür zuständig zu sein. Die Partei soll der Behörde allerdings 2019 mitgeteilt haben, selbst Medieninhaberin des Accounts gewesen zu sein. Der Account sei ausschließlich von ihr betreut worden. Der Rechnungshof will nun Social-Media-Konten von Regierungsmitgliedern prüfen.
Und was sagt die ÖVP dazu?
„Wir sehen der Prüfung gelassen entgegen“, erklärt sie in einer Stellungnahme. Die vom Rechnungshof „bestellten Wirtschaftsprüfer haben alles bereits mehrmals geprüft. Dass sich der Rechnungshof durch einen dritten Wirtschaftsprüfer absichern möchte, nehmen wir zur Kenntnis“, heißt es in der Aussendung. Die ÖVP habe laut eigenen Angaben sämtliche Kosten der Wahlkämpfe 2019 „lückenlos und korrekt angegeben“. Die Obergrenzen für EU- und Nationalratswahlkampf seien eingehalten und sogar unterschritten worden. „Die Nationalratswahl und die EU-Wahl sind nicht miteinander vergleichbar und haben beide verschiedene Kostenstrukturen.“
Die Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft? „Linke Zellen“in der Justiz. Die Erkenntnisse des U-Ausschusses? „Anpatzen“der Opposition, die dreckig spielt. Das ist das Niveau, auf dem die ÖVP bisher auf Vorwürfe hinsichtlich ihres Gebarens reagiert hat. Seit Freitag, 10. Juni 2022, ist das nicht mehr möglich – dank eines vernichtenden Berichts des Rechnungshofs, der auch zeigt, dass der U-Ausschuss zu mutmaßlicher ÖVP-Korruption seinen Namen zu Recht trägt.
Der Rechnungshof ist eine der letzten Institutionen in diesem Land, die noch nicht politisch angegriffen wurden. Geleitet wird er von Margit Kraker, die ihr halbes Leben in der ÖVP verbracht hat und etwa Büroleiterin des heutigen steirischen Landeshauptmanns Hermann Schützenhöfer war. „Miese Packelei“, schimpften die Neos, als die Koalition aus SPÖ und ÖVP Kraker im Jahr 2016 zur Rechnungshofpräsidentin machte. Doch Kraker entpuppte sich als unabhängige Präsidentin, die dem Ruf des Rechnungshofs alle Ehre macht.
A
ls umso vernichtender ist die Kritik zu verstehen, die der Rechnungshof an der Volkspartei äußert. Es ist die Summe vieler Skandale, die Österreich seit Jahren erschüttern. Da geht es um nicht deklarierte Spenden in Millionenhöhe; um Tricksen, Tarnen und Täuschen, was die Struktur der Volkspartei und ihrer Bünde betrifft; und um einen mehr als fragwürdigen Umgang mit Steuergeld. Erstmals beauftragt der Rechnungshof einen externen Prüfer, sich das Gebaren der Volkspartei im Berichtsjahr 2019 anzusehen – weil er ihr nicht glaubt.
Der Rechnungshof glaubt damit auch nicht Kanzler Karl Nehammer, der im Jahr 2019 Generalsekretär der Volkspartei war und den Rechnungshofbericht mit seiner Unterschrift abgeschickt hat. Er glaubt auch nicht, dass der Seniorenbund ein eigenständiger Verein ist, wie die ÖVP zuletzt argumentierte. Oder dass es sich bei den Inseratenschaltungen im Magazin des Vorarlberger Wirtschaftsbunds um ganz normale Vorgänge handelte. Vielmehr ist die Rede von „nicht deklarierten Spenden“.
Wie kann es jetzt weitergehen? Die ÖVP kann jedenfalls nicht so weitermachen, als wäre nichts gewesen. Das hat sie versucht: Auf dem Parteitag blödelte Nehammer noch über Chats. Die ÖVP muss alles auf den Tisch legen, sich reformieren und Demut zeigen. Alles daran wird der Partei aber widerstreben. Die merkwürdige Anti-Asyl-Kampagne von Generalsekretärin Laura Sachslehner gab einen Vorgeschmack darauf, welche Ablenkungsmanöver drohen.
Reagiert die Volkspartei nicht, stellt sich die Frage, ob sie die richtige Partei ist, um Kanzleramt und Finanzministerium zu besetzen und den Vorsitzenden im U-Ausschuss zu stellen. Einerseits, weil das Vertrauen in das Handeln der türkis-schwarzen Politikerinnen und Politiker spätestens jetzt schwer beschädigt ist; andererseits, weil sich die Partei permanent mit eigenen Problemen beschäftigen muss. Dafür sind die realen Probleme der Bevölkerung aber zu mannigfaltig.
Der dauerhafte Zustand der hausgemachten Krisen und Skandale, den Österreich spätestens seit Erscheinen des Ibiza-Videos erlebt, muss bald ein Ende finden. Es liegt an Kanzler Nehammer – er ist in die Pflicht zu nehmen. Immerhin vertrauen ihm laut Bundesparteitag ja 100 Prozent der ÖVP-Funktionäre, die Partei in neue Zeiten zu führen.