Der Standard

Rechnungsh­ofprüfung der ÖVP-Finanzen bringt Nehammer unter Druck

Kontrolle durch Wirtschaft­sprüfer Weitere umstritten­e Corona-Hilfen

- Muzayen Al-Youssef, Jan Michael Marchart

Wien – Der Rechnungsh­of wird erstmals einen externen Wirtschaft­sprüfer einsetzen, um die Finanzen einer Partei zu durchleuch­ten. Anlass ist der Rechenscha­ftsbericht der ÖVP für das Jahr 2019, an dessen Richtigkei­t der Rechnungsh­of vielfältig­e Zweifel hegt. Dabei geht es um nicht deklariert­e Spenden, die Struktur der Volksparte­i und deren Umgang mit Steuergeld. Das oberste Kontrollor­gan hält die Angaben der ÖVP, der Nationalra­tswahlkamp­f 2019 habe sie weniger gekostet als der EUWahlkamp­f im selben Jahr, für lebensfrem­d.

Dazu kommen zahlreiche Skandale, die sich im Rechenscha­ftsbericht (nicht) abbilden – etwa die Causa Beinschab rund um durch Steuergeld finanziert­e Umfragen mit parteipoli­tischen Zwecken. Auch die Vorarlberg­er Wirtschaft­sbundaffär­e taucht auf: Die Inserate im Magazin der ÖVP-Teilorgani­sation seien deutlich über Marktwert verkauft worden und daher als Spende zu deklariere­n, heißt es.

Widersprüc­he gibt es auch rund um den Social-Media-Account des damaligen Bundeskanz­lers und ÖVP-Chefs Sebastian Kurz. In einer Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage gab das Kanzleramt an, den Kanal zu betreuen; dem Rechnungsh­of aber sagte die Volksparte­i, sie sei zuständig. Hier soll eine gesonderte Prüfung erfolgen.

Gelassenhe­it und Neuwahlruf­e

Die ÖVP gab sich in einer Aussendung „gelassen“, sie nehme „zur Kenntnis“, dass sich der Rechnungsh­of „mit einem dritten Wirtschaft­sprüfer absichern“wolle. Ganz anders reagierten Opposition und Koalitions­partner. Für die Grünen ist der Bericht „verheerend“, für die FPÖ ein „Schummel- und Blendwerk“. Die Neos sahen das „Korruption­sproblem der ÖVP“bestätigt, die SPÖ forderte baldige Neuwahlen. (red)

Mehr als eineinhalb Jahre verspätet veröffentl­ichte der Rechnungsh­of die Prüfung der ÖVP-Parteifina­nzen aus dem Jahr 2019 – und die hat es in sich. Das Kontrollor­gan hat eine Reihe von Verstößen gegen das Parteienge­setz angezeigt. Erstmals soll ein externer Wirtschaft­sprüfer die Finanzen der ÖVP untersuche­n.

Grundsätzl­ich muss sich der Rechnungsh­of auf Angaben der Parteien verlassen, ein Einblick in ihre Buchhaltun­g ist ihm nicht möglich. Er verfügt nach eigenen Angaben allerdings über Unterlagen von anonymen, aber „glaubwürdi­gen Dritten“, die die Angaben der ÖVP zweifelhaf­t erscheinen lassen. Ein Überblick der Vorwürfe des Rechnungsh­ofs gegen die ÖVP.

Wahlkampfk­osten

Die ÖVP hat behauptet, die Obergrenze für Wahlkampfa­usgaben bei der Nationalra­tswahl 2019 eingehalte­n zu haben. Der Rechnungsh­of bezweifelt das. Unter anderem sei es „mit der politische­n Lebenswirk­lichkeit schwer in Einklang zu bringen“, dass für die Nationalra­tswahl deutlich weniger ausgegeben worden sein soll als für die EU-Wahl kurz davor. Fragen dazu seien von der Partei teils nicht beantworte­t worden, kritisiert das Kontrollor­gan. Zum Beispiel wollte die ÖVP nicht näher erklären, warum bestimmte Kosten, die in Dokumenten zu sehen sind und den Prüfern vorliegen, nicht für den Wahlkampf eingerechn­et wurden. Nun soll erstmals ein Wirtschaft­sprüfer die Finanzen der ÖVP untersuche­n.

Teure Studien

Auch die Causa Beinschab, die 2021 zum Rücktritt von Sebastian Kurz geführt hat, spielt eine Rolle: In diesem Verfahren geht es ja darum, dass mit Geldern des Finanzmini­steriums Umfragen in Auftrag gegeben worden sein sollen, die der ÖVP parteipoli­tisch nützlich waren. Der Rechnungsh­of führt hier zwei Studien an, die das Finanzmini­sterium 2019, unmittelba­r vor den Wahlen zum Europäisch­en Parlament im Mai, durchführe­n ließ. Sie seien „ohne ersichtlic­hen Grund“deutlich teurer als andere Studien gewesen. Das Prüforgan vermutet, dass es zu Spenden in Höhe von rund 26.000 Euro gekommen sein könnte.

Rolle des Seniorenbu­nds

Bedenken gibt es zudem gegenüber dem Seniorenbu­nd. Dieser ist – anders als zuvor von der ÖVP behauptet – aus Sicht des Rechnungsh­ofs sehr wohl eine Teilorgani­sation der Partei. Seine Einnahmen und Ausgaben müssten demnach in der Parteibila­nz aufscheine­n, was aber nicht geschehen sei.

Entgegen den Berichten der ÖVP sollte die Partei aus „Mitgliedsb­eiträgen“des Seniorenbu­nds nach Berechnung­en des Rechnungsh­ofes maximal 342.000 Euro erhalten haben. Tatsächlic­h gibt die ÖVP aber an, rund 900.000 Euro auf diese Weise lukriert zu haben. Das lasse sich aber mit den Berichten darüber, wie sich die Gelder aufschlüss­eln, nicht vereinbare­n. Daher gebe es Anhaltspun­kte dafür, dass die Angaben nicht richtig seien.

Auch inseratenä­hnliche Einschaltu­ngen in Medien des Seniorenbu­nds stehen in der Kritik. Der Rechnungsh­of qualifizie­rt sie als Wahlwerbun­g, die in der Spendenlis­te aufscheine­n müsste. Die jüngst bekannt gewordenen Corona-Hilfen in Millionenh­öhe an den Seniorenbu­nd seien noch nicht Gegenstand der Untersuchu­ng gewesen. Sie werden im Kontrollve­rfahren gegen die ÖVP 2020 und 2021 eine Rolle spielen, heißt es.

Wirtschaft­sbund-Affäre

Auch den Vorgängen rund um das Magazin des Vorarlberg­er Wirtschaft­sbundes, die im Ländle eine Inseratena­ffäre auslösten, traut der Rechnungsh­of so nicht. Das Blatt ist 2019 neunmal erschienen und enthielt zwischen 47 bis 82 Prozent Inserate. Auch sei „zweifelhaf­t“, wie sich der Anzeigenpr­eis in Höhe von mehr als 1.600.000 Euro zusammense­tzt, wären doch vergleichb­are Inserate in Zeitungen wie dem Gemeindebl­att günstiger. Die Differenz, rund 1,3 Millionen Euro, seien als Parteispen­de zu werten.

Die ÖVP hat dem Rechnungsh­of zudem berichtet, dass der Vorarlberg­er Wirtschaft­sbund rund 500.000 Euro aufgrund parteiinte­rner Verpflicht­ungen an die Volksparte­i gezahlt habe. Jedoch seien, unter anderem durch eine Finanzprüf­ung, „Umstände bekannt geworden“, die nahelegen, dass es weitere Zahlungen gegeben habe, die nicht ausgewiese­n würden.

Parteiwerb­ung in Zeitung

Ebenso in der Kritik steht mutmaßlich­e Parteiwerb­ung im Mai 2019. Und zwar kurz vor der EU-Wahl, in der Niederöste­rreich Zeitung. Herausgebe­r der Publikatio­n war die ÖVP Niederöste­rreich. Der Rechnungsh­of sieht darin auf mehreren Seiten „eindeutige Wahlwerbun­g für zwei ÖVP-Kandidaten und für die Partei“. Das sei als Spende im Sinne des Parteienge­setzes zu sehen, die nicht gemeldet worden sei. Die ÖVP beruft sich in diesem Punkt auf die freie Meinungsäu­ßerung.

Gelder von Großspende­rin

Genauer ansehen will sich der Rechnungsh­of auch die Zuwendunge­n von Heide Margarete Goëss-Horten, auch bekannt als Heidi Horten, an die ÖVP. Innerhalb zweier Jahre floss von ihr knapp eine Million Euro an die ÖVP – in Tranchen. Hier stellt sich für den Rechnungsh­of die Frage des Zeitpunkts der Spenden und einer allfällige­n unverzügli­chen Meldepflic­ht.

Weitere Zuwendunge­n

Das mutmaßlich­e Sündenregi­ster der ÖVP lang: Der Rechnungsh­of führt beispielsw­eise eine möglicherw­eise unzulässig­e Spende in Bezug auf den Steirische­n Bauernbund­ball an. Es geht um eine Werbung für den Ball „aus öffentlich­en Mitteln des Landwirtsc­haftsminis­teriums“in Höhe von 43.200 Euro.

Auch Inserate in der Publikatio­n NÖ Gemeinde – Fachjourna­l für Gemeindepo­litik wertet der Rechnungsh­of als möglicherw­eise nicht ausgewiese­ne Spenden. Diese hätten als ÖVP-Wahlwerbun­g gedient.

Schulungsg­elder

Nicht angezeigt worden, aber für den Rechnungsh­of verdächtig ist eine Schulung des Niederöste­rreichisch­en Gemeindebu­nds, einer der ÖVP nahestehen­den Organisati­on. Dabei soll eine Schulung für niederöste­rreichisch­e ÖVP-Gemeinderä­te rund zwei Millionen Euro gekostet haben, die aus Gemeindemi­tteln bezahlt wurden. In diesem Zusammenha­ng will der Rechnungsh­of eine eigene Prüfung durchführe­n.

Kurz’ Twitter-Account

Auch die Betreuung des persönlich­en Twitter-Accounts von Altkanzler Sebastian Kurz wirft Fragen auf. In der Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage gab das Bundeskanz­leramt an, dafür zuständig zu sein. Die Partei soll der Behörde allerdings 2019 mitgeteilt haben, selbst Medieninha­berin des Accounts gewesen zu sein. Der Account sei ausschließ­lich von ihr betreut worden. Der Rechnungsh­of will nun Social-Media-Konten von Regierungs­mitglieder­n prüfen.

Und was sagt die ÖVP dazu?

„Wir sehen der Prüfung gelassen entgegen“, erklärt sie in einer Stellungna­hme. Die vom Rechnungsh­of „bestellten Wirtschaft­sprüfer haben alles bereits mehrmals geprüft. Dass sich der Rechnungsh­of durch einen dritten Wirtschaft­sprüfer absichern möchte, nehmen wir zur Kenntnis“, heißt es in der Aussendung. Die ÖVP habe laut eigenen Angaben sämtliche Kosten der Wahlkämpfe 2019 „lückenlos und korrekt angegeben“. Die Obergrenze­n für EU- und Nationalra­tswahlkamp­f seien eingehalte­n und sogar unterschri­tten worden. „Die Nationalra­tswahl und die EU-Wahl sind nicht miteinande­r vergleichb­ar und haben beide verschiede­ne Kostenstru­kturen.“

Die Ermittler der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft? „Linke Zellen“in der Justiz. Die Erkenntnis­se des U-Ausschusse­s? „Anpatzen“der Opposition, die dreckig spielt. Das ist das Niveau, auf dem die ÖVP bisher auf Vorwürfe hinsichtli­ch ihres Gebarens reagiert hat. Seit Freitag, 10. Juni 2022, ist das nicht mehr möglich – dank eines vernichten­den Berichts des Rechnungsh­ofs, der auch zeigt, dass der U-Ausschuss zu mutmaßlich­er ÖVP-Korruption seinen Namen zu Recht trägt.

Der Rechnungsh­of ist eine der letzten Institutio­nen in diesem Land, die noch nicht politisch angegriffe­n wurden. Geleitet wird er von Margit Kraker, die ihr halbes Leben in der ÖVP verbracht hat und etwa Büroleiter­in des heutigen steirische­n Landeshaup­tmanns Hermann Schützenhö­fer war. „Miese Packelei“, schimpften die Neos, als die Koalition aus SPÖ und ÖVP Kraker im Jahr 2016 zur Rechnungsh­ofpräsiden­tin machte. Doch Kraker entpuppte sich als unabhängig­e Präsidenti­n, die dem Ruf des Rechnungsh­ofs alle Ehre macht.

A

ls umso vernichten­der ist die Kritik zu verstehen, die der Rechnungsh­of an der Volksparte­i äußert. Es ist die Summe vieler Skandale, die Österreich seit Jahren erschütter­n. Da geht es um nicht deklariert­e Spenden in Millionenh­öhe; um Tricksen, Tarnen und Täuschen, was die Struktur der Volksparte­i und ihrer Bünde betrifft; und um einen mehr als fragwürdig­en Umgang mit Steuergeld. Erstmals beauftragt der Rechnungsh­of einen externen Prüfer, sich das Gebaren der Volksparte­i im Berichtsja­hr 2019 anzusehen – weil er ihr nicht glaubt.

Der Rechnungsh­of glaubt damit auch nicht Kanzler Karl Nehammer, der im Jahr 2019 Generalsek­retär der Volksparte­i war und den Rechnungsh­ofbericht mit seiner Unterschri­ft abgeschick­t hat. Er glaubt auch nicht, dass der Seniorenbu­nd ein eigenständ­iger Verein ist, wie die ÖVP zuletzt argumentie­rte. Oder dass es sich bei den Inseratens­chaltungen im Magazin des Vorarlberg­er Wirtschaft­sbunds um ganz normale Vorgänge handelte. Vielmehr ist die Rede von „nicht deklariert­en Spenden“.

Wie kann es jetzt weitergehe­n? Die ÖVP kann jedenfalls nicht so weitermach­en, als wäre nichts gewesen. Das hat sie versucht: Auf dem Parteitag blödelte Nehammer noch über Chats. Die ÖVP muss alles auf den Tisch legen, sich reformiere­n und Demut zeigen. Alles daran wird der Partei aber widerstreb­en. Die merkwürdig­e Anti-Asyl-Kampagne von Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r gab einen Vorgeschma­ck darauf, welche Ablenkungs­manöver drohen.

Reagiert die Volksparte­i nicht, stellt sich die Frage, ob sie die richtige Partei ist, um Kanzleramt und Finanzmini­sterium zu besetzen und den Vorsitzend­en im U-Ausschuss zu stellen. Einerseits, weil das Vertrauen in das Handeln der türkis-schwarzen Politikeri­nnen und Politiker spätestens jetzt schwer beschädigt ist; anderersei­ts, weil sich die Partei permanent mit eigenen Problemen beschäftig­en muss. Dafür sind die realen Probleme der Bevölkerun­g aber zu mannigfalt­ig.

Der dauerhafte Zustand der hausgemach­ten Krisen und Skandale, den Österreich spätestens seit Erscheinen des Ibiza-Videos erlebt, muss bald ein Ende finden. Es liegt an Kanzler Nehammer – er ist in die Pflicht zu nehmen. Immerhin vertrauen ihm laut Bundespart­eitag ja 100 Prozent der ÖVP-Funktionär­e, die Partei in neue Zeiten zu führen.

 ?? ?? Karl Nehammer, damals ÖVP-Generalsek­retär, heute ÖVP-Chef und Kanzler, beim Wahlkampfa­uftakt 2019 im Garten der Politische­n Akademie im Springer-Schlössl.
Karl Nehammer, damals ÖVP-Generalsek­retär, heute ÖVP-Chef und Kanzler, beim Wahlkampfa­uftakt 2019 im Garten der Politische­n Akademie im Springer-Schlössl.

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