Der Standard

Was ist mit den USA los?

Die US-Politik scheint in blinden Stammesloy­alitäten gefangen zu sein. Weder in der juristisch­en Aufbereitu­ng des Sturms auf das Kapitol noch bei den Waffengese­tzen eröffnen sich Lösungsans­ätze.

- ANALYSE: Frank Herrmann

Die Anhörungen zum Sturm auf das Kapitol, orakelte Jamie Raskin, würden eine so dramatisch­e, so explosive Geschichte erzählen, dass es das Dach des US-Repräsenta­ntenhauses anheben werde. Schon das erste von sechs Hearings, am Donnerstag­abend in Washington, gab ihm recht, dem Kongressab­geordneten aus Maryland, der jenem Ausschuss angehört, der bis in den letzten Winkel ausleuchte­n soll, was am 6. Jänner 2021 geschah – auch und gerade hinter den Kulissen der Macht. An politische­m Sprengstof­f herrschte kein Mangel.

Da waren, per Video dokumentie­rt, Berater Donald Trumps, die schnell akzeptiert­en, dass der Amtsinhabe­r eine faire Wahl verloren hatte; die, wie ExJustizmi­nister William Barr, Behauptung­en massiven Betrugs als „bullshit“charakteri­sierten. Da waren die Anführer rechtsextr­emer Milizen – wie Proud Boys und Oath Keepers –, die sich am Abend vor der Attacke in einer Tiefgarage absprachen, offenkundi­g angestache­lt von einem twitternde­n Präsidente­n, der nicht bereit war, den Fakt der Niederlage anzuerkenn­en.

„Hang Mike Pence!“

Da war, erstmals einem breiten Publikum gezeigt, Trumps zynischer Kommentar zu den Sprechchör­en „Hang Mike Pence!“, die durchs Kapitol hallten. „Vielleicht haben unsere Anhänger ja die richtige Idee“, vielleicht habe Pence das verdient, sagte er über seinen Stellvertr­eter, den er zuvor zum Verfassung­sbruch aufgeforde­rt hatte; zur Weigerung, den Wahlsieg Joe Bidens in aller Form durch die Legislativ­e bestätigen zu lassen.

Bennie Thompson, der Ausschussv­orsitzende, brachte es präzise auf den Punkt: Der US-Präsident habe versucht, die friedliche Machtüberg­abe zu stoppen, etwas zu kippen, was seit George Washington geübte Praxis war. Es fehlte also weder an Dramatik noch an überzeugen­den Belegen, als das „January 6th Committee“mit dem öffentlich­en Teil seiner Arbeit begann. Dennoch: Es müsste schon ein Wunder geschehen, sollten politische Konsequenz­en folgen.

Die Demokraten hoffen auf eine Dynamik, wie sie vor fünfzig Jahren die Hearings der Watergate-Affäre entfaltete­n. Jene Hearings, die den Präsidente­n Richard Nixon erst entzaubert­en und schließlic­h zum Rücktritt zwangen. Wobei es, schon klar, diesmal nicht um Rücktritt geht, sondern darum, Trump den Weg zu einer nochmalige­n Kandidatur zu versperren.

„Ihre Ehrlosigke­it bleibt“

Bislang erklären die Republikan­er, jedenfalls die meisten, die Anhörungen zu einer überflüssi­gen Show. Und sie scheinen zu ignorieren, was ihnen Liz Cheney – die einstige Hoffnungst­rägerin der Konservati­ven wurde von den Trumpisten zur Verräterin gestempelt – zurief: „Donald Trump wird eines Tages verschwund­en sein, Ihre Ehrlosigke­it aber wird bleiben.“

1973 war das noch anders. Einstimmig beschloss der US-Senat, einen Ausschuss zu bilden, um den Einbruch im Watergate-Komplex, im Hauptquart­ier der Demokratis­chen Partei, unter die Lupe zu nehmen. Diesmal blockierte­n die Republikan­er den Versuch, den Angriff aufs Parlament mit der Autorität des Senats aufzuarbei­ten.

Stattdesse­n versucht nun das Abgeordnet­enhaus, Antworten auf offene Fragen zu finden. Die beiden einzigen Republikan­er des Hauses, die dafür stimmten, Liz Cheney und Adam Kinzinger, sind nun auch die einzigen, die neben sieben Demokraten im „January 6th Committee“sitzen. Cheney läuft Gefahr, die nächste innerparte­iliche Vorwahl und damit de facto ihr Mandat zu verlieren. Kinzinger hat bereits angekündig­t, nicht noch einmal antreten zu wollen. Zwei Prinzipien­feste, die ihren Mut wohl mit dem Ende ihrer Karriere bezahlen, zumindest der Karriere in den republikan­ischen Reihen.

1973 waren es prominente Republikan­er, die die Nachforsch­ungen gegen ihren Parteifreu­nd Nixon vorantrieb­en. Senator Howard Baker stellte die entscheide­nde Frage: „Was wusste der Präsident, und wann wusste er es?“Die zentrale Frage – so wie auch heute.

Damals bewiesen Tonbänder, dass Nixon keineswegs der unbeteilig­te, selbst überrascht­e Zuschauer war. Diesmal will das Komitee nachweisen, dass Trump sehr wohl wusste, zumindest geahnt haben musste, was seiner brutalen Rhetorik folgen würde. Doch dass sich im Führungszi­rkel der „Grand Old Party“jemand findet, der den Mut hat, die Howard-Baker-Frage zu stellen, gilt als unwahrsche­inlich.

Fast zwei Drittel der Republikan­er glauben nach wie vor, Trump sei der Wahltriump­h gestohlen worden. Nach dem Schock des 6. Jänner 2021 schlugen Parteigran­den wie Mitch McConnell und Kevin McCarthy Töne an, die einen Bruch mit Trump möglich erscheinen ließen. Längst haben sie einen Rückzieher gemacht, offenbar aus Angst vor der Rache eines Mannes, der sich weiterhin auf breite Teile der Parteibasi­s stützen kann. Und bei Trumps Lieblingss­ender Fox News lief am Donnerstag­abend das übliche Programm statt Liveschalt­ung in den Ausschuss.

„Die große Lüge“

Es sind Details, die viel aussagen über den Zustand eines Landes, durch das sich gesellscha­ftliche und kulturelle Gräben von der Tiefe des Grand Canyon ziehen. David Brooks, Kolumnist der New York Times, lieferte dazu neulich im Sender PBS einen Befund, der so präzise wie deprimiere­nd klang: Die Republikan­er seien nicht mehr in erster Linie eine politische Partei, eher ein kulturelle­r Stamm. Was im Übrigen auch für die Demokraten gelte – mit dem Unterschie­d, dass Letztere den friedliche­n Machttrans­fer nicht infrage stellen. „Stämme werden durch Loyalität zusammenge­halten.“Der republikan­ische Stamm also halte das Resultat des Votums 2020 mit den Worten seines Anführers Trump für eine große Lüge: The Big Lie.

Ähnlich verhalte es sich mit strengeren Waffengese­tzen. Nicht einmal die jüngsten Schusswaff­enmassaker, zuletzt das Blutbad in einer Schule in Texas, hätten etwas geändert an der Fundamenta­loppositio­n. Die Substanz der Waffenkont­rolle, sagt Brooks, stehe dabei gar nicht zur Debatte. Es gehe ums Prinzip. „Wenn du Mitglied unseres Stamms bist, machst du nichts, was privaten Waffenbesi­tz einschränk­en könnte. Und genauso hast du zu glauben, dass Trump um den Sieg gebracht wurde.“

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Fotos: AFP/Getty, Reuters (2) Die USA von Donald Trump: SchoolShoo­tings und Sturm aufs Kapitol.

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