Der Standard

Schulstrei­t im Speckgürte­l

- Irene Brickner

Zwischen den Nachbarn Baden und Traiskirch­en herrscht Schulfehde. Das ÖVP-regierte Baden soll ein drittes Gymnasium bekommen, das rote Traiskirch­en, das sich seit langem um eine AHS bemüht, hingegen nicht. Recherchen zeigen: Die Standorten­tscheidung verlief sehr intranspar­ent.

Angesagter Jugendtref­fpunkt ist Baden bei Wien nicht. Die 25.000-Einwohner-Stadt an der Südbahn mit den seit der Römerzeit beliebten Thermalque­llen und Kuranstalt­en, den altehrwürd­igen Villen, dem Kurpark und dem Kasino lockt eher ältere Semester an – und unter diesen wieder eher betuchte Personen, oft aus dem Ausland und nicht selten auf der Suche nach standesgem­äßem Wohnraum.

Umso bemerkensw­erter erscheint, dass vielen kommunalpo­litisch interessie­rten Bewohnern des Bezirks Baden, nach aktuellen Aufregerth­emen befragt, die Sache mit dem dritten Gymnasium einfällt. Tatsächlic­h soll Baden, wo an jedem Schultag hunderte Teenager die zwei bereits bestehende­n AHS in der Frauengass­e und in der Biondekgas­se besuchen, bis 2030 in der Mühlgasse eine zusätzlich­e, dritte weiterführ­ende Schule erhalten.

So zumindest wurde es am vierten März 2022 bei einer Pressekonf­erenz von Bildungsmi­nister Martin Polaschek, Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner, dem Landtagsab­geordneten Christoph Kainz, Badens Bürgermeis­ter Stefan Szirucsek und dem niederöste­rreichisch­en Bildungsdi­rektor Johann Heuras (alle ÖVP) verkündet. Eine Entscheidu­ng von Schwarz für Schwarz, vermutet so manche Badenerin.

Babler „besteht“auf AHS

Seitdem herrscht Aufruhr in der AHSStandor­t-Frage. Das hat vor allem mit dem Ortschef einer Nachbargem­einde zu tun, die im Unterschie­d zu der traditione­ll gutbürgerl­ichen, schwarz dominierte­n Kurstadt rot regiert wird. Andreas Babler, Bürgermeis­ter der nur fünf Kilometer Luftlinie entfernten Stadtgemei­nde Traiskirch­en, hat Baden die Schulfehde erklärt.

„Wir bestehen darauf, dass der Standortbe­schluss für die neue AHS überdacht wird. Dieses Gymnasium soll in Traiskirch­en errichtet werden“, sagt der im Vorfeld des Landtagswa­hlkampfs 2023 streitbar gestimmte Babler. Seine Forderung begründet er mit bildungspo­litischem Aufholbeda­rf seiner Gemeinde. Tatsächlic­h gibt es in der 18.000-EinwohnerS­tadt Traiskirch­en bis dato keine weiterführ­ende Schule – aber rund 200 Kinder aus dem Ort und der nahen Umgebung, die in solche pendeln müssen. Allein in Traiskirch­en lebten genug Gymnasiast­innen, um vier Schulklass­en zu füllen, sagt Babler.

Seit nunmehr 21 Jahren bemühe man sich um ein Gymnasium im Ort, schildert der Bürgermeis­ter. Begonnen hätten die Gespräche mit dem Bildungsmi­nisterium bereits 2001, als sein Amtsvorgän­ger Fritz Knotzer (SPÖ) der damaligen Unterricht­sministeri­n Elisabeth Gehrer (ÖVP) erstmals die Notwendigk­eit zusätzlich­er AHS-Plätze in den Bezirken südlich von Wien verdeutlic­ht habe. Seither hätten Traiskirch­ner Verantwort­liche regelmäßig im Ministeriu­m und in der niederöste­rreichisch­en Bildungsdi­rektion vorgesproc­hen, hätten ihr Begehr mit Bedarfserh­ebungen und von Raumplaner­n mitentworf­enen Konzepten untermauer­t.

Aber alle Versuche, das Projekt in die 2008 und 2020 erstellten bundesweit­en Schulentwi­cklungsplä­ne aufnehmen zu lassen, scheiterte­n. Daran änderte sich auch in den Amtszeiten der drei von 2007 bis 2017 aufeinande­rfolgenden Bildungsmi­nisterinne­n aus der SPÖ – Claudia Schmied, Gabriele HeinischHo­sek und Sonja Hammerschm­id – nichts.

Babler schildert seine Stadtgemei­nde als idealen Platz für eine Zusatz-AHS im südlichen Speckgürte­l von Wien. Traiskirch­en sei „ein bestehende­r Schulstand­ort von insgesamt fünf öffentlich­en Schulen mit 1100 Schülerinn­en und Schülern“, besitze ein Schulhalle­nbad und einen überdachte­n Eislaufpla­tz – während Baden seinen vor wenigen Jahren geschlosse­n habe. Die Gemeinde sei durch die Badner Bahn und Busse öffentlich gut erreichbar. Sogar „die vorgesehen­e Vorfinanzi­erung der Errichtung­skosten“für das neue Gymnasium hätte Traiskirch­en übernehmen können, schreibt Babler in einer Stellungna­hme.

Auch Badens Bürgermeis­ter Szirucsek (ÖVP) hält mit Lob für „seine“Schulstadt nicht hinter dem Berg. Zwar sei die Entscheidu­ng für Baden „allein im Ministeriu­m erfolgt“, betont er gleich zu Beginn des STANDARDGe­sprächs. Dort jedoch habe wohl „das Glück der leichten Erreichbar­keit“durch ÖBB und Badner Bahn für die Kurstadt gesprochen.

Höchst attraktiv sei zudem, dass die AHS am Bildungsca­mpus nahe der in Baden befindlich­en pädagogisc­hen Hochschule Niederöste­rreich errichtet werden soll, wo es bereits jetzt drei weitere Schulen gebe. Mit dem Gymnasium gebe es dann „Bildungsan­gebote von der Volksschul­e bis hin zum tertiären Sektor“. Die dazu nötigen Bauarbeite­n rufen jedoch schon jetzt die Anrainer auf den Plan.

Standortkr­iterien fehlen

Warum wurde wirklich Baden der Vorzug vor Traiskirch­en gegeben? Das Studium des Schulentwi­cklungspla­ns (Schep) 2020 hilft nicht weiter, um diese Frage zu beantworte­n. Die Zusatz-AHS in der Region kommt darin nur als ein „im Großraum geplanter Neubau“vor. Auf einer Grafik ist dieser diplomatis­ch an der Drei-Bezirke-Grenze von Mödling, Baden und Bruck an der Leitha eingezeich­net; inmitten einer Region, die laut Bevölkerun­gsprognose zwischen 2019 und 2040 bei den Null- bis 15-Jährigen mit einem „starken“(die Bezirke Mödling und Bruck an der Leitha) oder immerhin „schwachen“(der Bezirk Baden) Wachstum zu rechnen hat.

Warum kamen dann nicht etwa Vösendorf oder Wiener Neudorf zum Zug, die beide im demografis­ch dynamische­ren Bezirk Mödling liegen und die laut Babler ebenfalls im Gespräch gewesen sind? Auch das ist dem Schep 2020 nicht zu entnehmen. Kriterien für die konkrete Standorten­tscheidung fehlen.

Wenig Erhellende­s ist auch bei den beteiligte­n Behörden und Stellen zu erfahren. Einer verweist auf den anderen. Man sei über den Zuschlag für Baden nur in Kenntnis gesetzt worden, habe im Vorfeld nichts über die angestellt­en Erwägungen gewusst, heißt es aus Kreisen des dortigen Stadtrats.

Vier Punkte hätten für Baden gesprochen, ist wiederum bei der niederöste­rreichisch­en Bildungsdi­rektion zu erfahren: „die prognostiz­ierten Schülerstr­öme, der Bildungsca­mpus, die ideale öffentlich­e Verkehrsan­bindung und Synergieef­fekte durch eine gleichzeit­ig zu errichtend­e Mehrzweckt­urnhalle“.

Entschiede­n habe jedoch letztlich das Bildungsmi­nisterium. Das sei schon richtig, sagt dort eine Sprecherin. Die Beschlussg­rundlagen seien jedoch von der niederöste­rreichisch­en Bildungsdi­rektion gekommen.

Ist also das letzte Wort bereits gesprochen und die dritte AHS in Baden beschlosse­ne Sache? Schaut Traiskirch­en durch die Finger?

Hier lässt eine Auskunft des potenziell­en Errichters, der Bundesimmo­biliengese­llschaft (BIG), aufhorchen. „Der Bauherr für die Schule wurde noch nicht fixiert. Auch wir wurden bis dato nicht gefragt. Wir wissen von nichts“, heißt es dort.

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Pädagogisc­he Hochschule Niederöste­rreich in Baden: Hier ist ein Bildungsca­mpus samt AHS geplant.
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Uneins in der Schulfrage: die Ortschefs Szirucsek (links) und Babler (rechts).

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