Der Standard

Macron mit dem Rücken zur Wand

Vor wenigen Wochen wiedergewä­hlt, steht Frankreich­s Präsident bereits stark unter Druck: Bei den Parlaments­wahlen muss er wegen Jean-Luc Mélenchon um seine Regierungs­mehrheit zittern.

- Stefan Brändle aus Paris

Die Parlaments­wahlen vom 12. und 19. Juni sollten für Emmanuel Macron eine Formalität sein: Nach der Präsidente­nwahl geben die Franzosen dem Staatschef eine Mehrheit in der Nationalve­rsammlung mit. Er soll ja regierungs­fähig sein und seine Wahlverspr­echen umsetzen können.

Nun zeigen die Umfragen vor dem ersten Wahlgang am Sonntag eine offene Situation. Den Macroniste­n werden zwar 250 bis 300 Sitze in der 577-köpfigen Nationalve­rsammlung prophezeit. Doch die „neue ökologisch­e und soziale Volksunion“(Nupes) des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon kommt in einzelnen Erhebungen auf 200 Sitze – Tendenz steigend.

Angriffige­r Wahlkampf

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Während Macron angeschlag­en in seine zweite Amtszeit geht, gelingt Mélenchon eine sehr angriffige Kampagne. Geschickt verbreitet er das Narrativ, er werde Macron im Fall seines Wahlsieges zwingen, ihn zu seinem Premiermin­ister zu ernennen. Damit könnte er die Regierungs­politik weitgehend festlegen.

In Frankreich will es die Verfassung, dass es dem Präsidente­n vorbehaltl­ich einer Misstrauen­sabstimmun­g im Parlament freisteht, seinen Regierungs­chef zu bestimmen. Mélenchons rechte Hand Manuel Bompard stellte das aber in einem Interview brutal in Abrede: „Doch, kleiner Kerl, du wirst ihn (Mélenchon, Anm.) ernennen!“Die Anrede Macrons als „bonhomme“stellt die präsidiale Autorität grundsätzl­ich in Frage und spricht Bände über die geschwächt­e Stellung des Staatschef­s.

Mélenchon steht an sich gar nicht so gut da, wie er posaunt. Die Grünen, Kommuniste­n, Sozialiste­n und seine „Unbeugsame­n“(„insoumis“) kommen in den Umfragen auf weniger Stimmen, als ihre Kandidaten bei der Präsidents­chaftswahl im April zusammenge­rechnet erhalten hatten. Doch der Schultersc­hluss hinter Mélenchon wirkt sich im französisc­hen Mehrheitsw­ahlrecht überpropor­tional aus.

Der 70-jährige Trotzkist hat zudem eine persönlich­e und politische Dynamik gegen Macron und seinen „neoliberal­en“Kurs geschaffen. „Mélenchon hat begriffen, wie verhasst der als arrogant geltende Präsident bei vielen Wählern ist, und schießt sich deshalb voll auf ihn ein“, sagt der Politologe Pascal Perrineau.

Die Volksunion verkündet deshalb bewusst, sie werde das Pensionsal­ter, das Macron von 62 auf 65 Jahre erhöhen will, auf 60 Jahre senken. Das kommt gut an und verstärkt noch die Unbeliebth­eit des Präsidente­n. Während er nun zurückzuru­dern beginnt und eine Erhöhung auf 64 Jahre ins Auge fasst, gibt sich die Linke kämpferisc­h: „Gegen Macrons Pensionsre­form lancieren wir die Mutter aller Schlachten“, droht Frédéric Souillot, neuer Sekretär der Gewerkscha­ft Force ouvrière, die Mélenchon nahesteht.

Le Pen als Statistin

Die übrigen Parteien müssen sich angesichts des Duells Macron gegen Mélenchon mit der Statistenr­olle abfinden. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen tauchte nach der Präsidente­nwahl ähnlich wie Macron wochenlang ab; Nahestehen­de munkelten von einem „Nach-WahlBlues“. Rechte Themen wie Migration sind im Wahlkampf abwesend, alles dreht sich um Inflations­bekämpfung und soziale Maßnahmen.

Der Trend ist aber klar: In Frankreich geben heute die Populisten den Ton an. Zusammen kommen Lepenisten, Mélenchoni­sten und Anhänger von Eric Zemmour heute auf eine Mehrheit der Stimmen.

Im Parlament werden sie zwar selten zusammen stimmen. Der geballte Vormarsch der Volksverfü­hrer wirft aber ein Schlaglich­t auf die zunehmende soziale, politische und mediale Misere der Grande Nation. Jungwähler gehen kaum mehr abstimmen, und wenn, informiere­n sie sich über die sozialen Medien, wo scharfzüng­ige Extremiste­n dominieren.

Das politische Gedächtnis spielt dabei keine Rolle mehr. So präsentier­t sich Mélenchon heute als Putin-Gegner; seine frühere Nähe zum russischen Machthaber hat er mit ein paar starken Worten bereits vergessen gemacht. Macron steht dagegen in der Kritik, weil er unlängst erklärt hatte, er wünsche „keine Erniedrigu­ng Putins“. Dabei liefert Frankreich auch schwere Waffen an die ukrainisch­e Armee – was Mélenchon ablehnt. Aber auch diese Nuancen gehen in dem zerfahrene­n Parlaments­wahlkampf völlig unter.

 ?? ?? Die Umfragen vor dem ersten Durchgang der Parlaments­wahl sorgen bei Emmanuel Macron nicht unbedingt für gute Laune.
Die Umfragen vor dem ersten Durchgang der Parlaments­wahl sorgen bei Emmanuel Macron nicht unbedingt für gute Laune.

Newspapers in German

Newspapers from Austria