Der Standard

„Das ist nicht der Platz für Spielchen“

Die Tourist Trophy auf der Isle of Man ist das gefährlich­ste Motorradre­nnen. Auch heuer kamen drei Piloten zu Tode. Der Steirer Julian Trummer war zum vierten Mal am Start. Er spricht über einen Tanz auf Messers Schneide.

- INTERVIEW: Philip Bauer

Die Isle of Man TT ist nichts für schwache Nerven. Seit 1907 rasen bei der Tourist Trophy jährlich Motorradre­nnfahrer über die Insel in der Irischen See. Wer auf dem 60 Kilometer langen Straßenkur­s die Ideallinie verlässt, hat gute Chancen, jenseits von 200 km/h gegen eine Hausmauer zu fahren. Warum sich Piloten aus aller Herren Länder trotzdem auf ihr Bike schwingen, erklärt der 31-jährige Steirer Julian Trummer. Am Freitag wurde er auf seiner Yamaha 22. unter 54 Teilnehmer­n.

STANDARD: Sieht man die Bilder von der Tourist Trophy, liegt eine Frage auf der Hand: Warum?

Trummer: Als ich ein Bub war, haben meine Eltern über diese Insel gesprochen. Ich habe nur gehört, es sei das gefährlich­ste Rennen der Welt. Obwohl ich keine Bilder kannte, haben mich die Geschichte­n in den Bann gezogen.

Ein einfacher Rundkurs mit Sturzräume­n tut es nicht?

STANDARD:

Trummer: Das sind zwei verschiede­ne Sportarten. Auf einem Rundkurs sind die Bedingunge­n perfekt, die Kurven sind einsichtig. Auf der Straße habe ich unterschie­dliche Beläge, Sprünge, Bodenwelle­n. Zwei Drittel der Kurven sind blind.

STANDARD: Meine Frage, ob Sie auf Sicht fahren, erübrigt sich damit. Trummer: Man fährt mit Gefühl und geht nicht über das Limit. Auf einem Rundkurs wird man dazu verleitet, etwas schneller in eine Kurve zu ziehen. Man hofft, dass es gutgeht. Das sollte man bei der Isle of Man besser bleiben lassen. Das ist nicht der Platz für Spielchen, es ist ein Balanceakt auf des Messers Schneide.

STANDARD: Die Legende besagt, dass man sich all die Kurven kaum merken könne. Ist das Wahrheit oder Unsinn?

Trummer: Das ist Blödsinn. Jeder Fahrer kennt jede Kurve in- und auswendig. Es ist nicht so, dass man sich anmeldet und aufs Gas steigt. Bevor man teilnimmt, hat man zig Runden mit dem Auto absolviert. Das ist unsere einzige Lebensvers­icherung.

Haben Sie das Gefühl, immer Herr der Lage zu sein?

STANDARD:

Trummer: Ich habe dazugelern­t. Als Rookie habe ich hart angedrückt, koste es, was es wolle. Da hatte ich heftige Schrecksek­unden, das hätte schiefgehe­n können.

Bei der Isle of Man geht es häufig schief. Rund 260 Todesfälle sind seit dem ersten Rennen dokumentie­rt. Der österreich­ische Olympiasie­ger Manfred Stengl verunglück­te 1992 tödlich, er hatte 1964 in Innsbruck Gold im Doppelsitz­er der Rodler gewonnen. Heuer kamen drei Sportler ums Leben. Business as usual sozusagen. Nicht ganz gewöhnlich war eine Verwechslu­ng im Seitenwage­nrennen: Zunächst hieß es in einer Presseauss­endung, der Beifahrer sei getötet worden – es war aber der Fahrer.

STANDARD: In einer TV-Dokumentat­ion von 2019 sind Sie mit dem tödlichen Unfall eines Kollegen konfrontie­rt. Es wirkt, als würden Sie dessen Tod rasch beiseitesc­hieben. Kann man das so einfach ausblenden?

Trummer: Ausblenden ist nicht das richtige Wort. Jeder Todesfall trifft mich. Aber die Fahrer sterben bei ihrer größten Leidenscha­ft. Vielleicht habe ich kalt gewirkt. Aber ich muss mich konzentrie­ren.

STANDARD: Wie kann sich so ein Sportereig­nis trotz der vielen Todesfälle am Leben halten?

Trummer: Aus der Distanz glaubt man vielleicht, dass über dem Event eine schwarze Wolke schwebt. Wer ist als Nächster dran? Vor Ort ist es aber ein großes Fest. Es wird von allen Seiten genossen.

STANDARD: Wie groß kann der Genuss bei all der Anspannung sein? Trummer: Die Anspannung ist vor dem Rennen größer als währenddes­sen. Ich kenne nichts Vergleichb­ares. Sobald es losgeht, wenn man auf dem Motorrad sitzt, stellt sich absoluter Frieden ein. Man springt über eine Kuppe und fühlt sich dabei geborgen und sicher.

STANDARD: Trügt der Schein? Trummer: Ich spüre jedenfalls keine Panik, ich spüre keine Aggression. Nach vier, fünf Runden schweift der Kopf ab. Dann muss ich mich wirklich zusammenre­ißen.

Julian Trummer fährt mit österreich­ischer Lizenz für das WH Racing Team. Bike, Reifen und Benzin finanziert der Rennstall. Ein Nullsummen­spiel ist der Spaß trotzdem nicht. Alle Teilnehmer müssen eine spezielle, kostspieli­ge Versicheru­ng abschließe­n. Gängige Sportversi­cherungen winken dankend ab.

STANDARD:

Ist das Risiko überhaupt irgendwie zu berechnen?

Trummer: Ich denke, man kann den Rennverlau­f zu 99 Prozent kalkuliere­n. Aber ich lebe nicht in der Illusion, dass nichts passieren kann. Alles, was ich gelernt habe, arbeite ich wie eine Liste Punkt für Punkt ab. Ich bin in diesem Sport kein Geistesges­törter, kein Junkie.

STANDARD:

Trotzdem haben Sie gesagt, Ihr Sport sei wie eine Droge.

Trummer: Es sind Glücksgefü­hle, die schwer zu beschreibe­n sind. Läuft es nicht rund, fahre ich nicht auf Teufel komm raus.

STANDARD: Sie lassen sich also eine Sicherheit­smarge?

Trummer: Wenn ich im Flow bin, pushe ich zu hundert Prozent.

STANDARD: Ihre Eltern und Freunde sind auch vor Ort. Können sie die Rennen genießen?

Trummer: Sie sind den Weg immer mitgegange­n. Die Sorge ist aber vorhanden. Sie sind erleichter­t, wenn es wieder vorbei ist.

JULIAN TRUMMER (31) ist seit 2014 im Motorsport aktiv und stand zum vierten Mal bei der Tourist Trophy am Start. Der Steirer ist Geschäftsf­ührer in einem Elektrount­ernehmen.

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Eine Gerade zur Entspannun­g: Auf der Isle of Man bewegen sich die Rennfahrer zwischen Steinwände­n und Böschungen. Sechs Runden à 60 Kilometer sind zu bewältigen. Die Österreich­er Rupert Hollaus (1954) und Klaus Klaffenböc­k (2010, 2011) trugen sich in die Siegerlist­e der Tourist Trophy ein.

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