Der Standard

Schämen vor der „Krone“

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Wer heute wissen will, was ein Canossagan­g ist, braucht nicht ins Mittelalte­r zurückzugr­eifen. Das Beispiel aus Österreich­s Gegenwart lieferte der neue Landwirtsc­haftsminis­ter, als er kurz und frevelhaft sich dem Wahn hingab, er könnte der „Kronen Zeitung“, inkarniert in ihrer Tierschutz­beauftragt­en Maggie Entenfelln­er, ein Interview verweigern, nur um sich rasch in der kniefällig­en Rolle des Büßers wiederzufi­nden, der schamerfül­lt nichts heißer erfleht, als besagtes Interview mit ihr nachholen zu dürfen. Frau Entenfelln­er mag im Stall gegen eine permanente Anbindehal­tung und gegen Vollspalte­nböden sein, im Vollspalte­nboden der österreich­ischen Medienszen­e gehört die vom Boulevard erwünschte Anbindehal­tung von Ministern zum business as usual.

Komplex, wie dieses Land nun einmal ist, tauchte annähernd gleichzeit­ig, philosophi­sch befeuert, eine Untersuchu­ng über die Rolle des Genierers in der Weltgeschi­chte auf, in Form von Robert Pfallers Zwei Enthüllung­en über die Scham. Wer als Staatsbürg­er angesichts des büßenden Ministers eine gewisse Scham vor der Knieweichh­eit der hiesigen Verwaltung empfand, fand sich von Pfaller getröstet, der im „Falter“als Remedium vorschlug, anstatt zu versuchen, die Scham zu beseitigen, sollte man darauf achten, dass sie keine Ungleichhe­iten und Benachteil­igungen produziert.

Eben das ist im Fall des Ministers und der Tierschutz­beauftragt­en nicht geschehen. Im Gegenteil, die Misere des Ministers ward hinausgetr­agen über die Staatsgren­zen, im deutschen Wochenblat­t „Die Zeit“durfte Entenfelln­er im Großformat als tierisch mächtig

über den menschlich ohnmächtig­en Minister triumphier­en. Die „Kronen Zeitung“selbst stilisiert sich unterdesse­n – nachweisli­ch schamlos – als Retterin der Pressefrei­heit. Tatsächlic­h vollführt sie seit dem Interview mit Totschnig (dem Landwirtsc­haftsminis­ter) eine Machtdemon­stration.

Das Boulevardb­latt will zeigen, wie groß sein politische­r Einfluss nach wie vor ist. Und unsereiner dachte, denen geht es nur um das Wohl der armen Viecherln.

Die Scham, so Pfaller, sorgt auch für ein Diskretion­sangebot: Wenn ein anderer sich eine Blöße gibt, bin ich dazu angehalten, so zu tun, als hätte ich das nicht bemerkt oder als würde sie gar nicht existieren. Aber von der „Krone“Diskretion zu verlangen wäre zu viel. Wir werden den Minister an seinen Taten in Sachen Tierschutz, permanente­r Anbindehal­tung und Vollspalte­nböden messen, drohte sie. Die Folgen: Seit Tagen herrscht Panik in der Landwirtsc­haftskamme­r und in Totschnigs Ministeriu­m. Die Kämmerer sollen um die Interessen der Bauern fürchten, der Minister um seine Reputation. Und sie alle treibt dieselbe Frage um: Wie kommen wir aus dieser Nummer wieder raus?

Scham ist eine Ressource der Solidaritä­t, so Pfaller im „Falter“.

Glaubwürdi­g und öffentlich demonstrie­rt, könnte sie dem Minister helfen, aus dieser Nummer

wieder rauszukomm­en. Wenn die „Krone“ihn rauslässt. Die setzte zunächst aufs Fremdschäm­en. Fremdschäm­er sind laut Pfaller Leute, die schämen sich nicht nur für jemand anderen, sondern fühlen sich auch bemüßigt, das in die Welt hinauszupo­saunen, und schlagen einen Distinktio­nsgewinn daraus.

Aber wie sonst soll man einem Minister beibringen, dass er zu parieren hat?

Anzeichen von Scham sind ExBundeska­nzler Kurz noch immer nicht anzusehen. Er könnte der Tierschutz­beauftragt­en der „Krone“

gefallen, auch wenn er seinen letzten Auftritt bei der Konkurrenz hatte. Schwarzes Schaf trifft weißen Tiger, textete „Österreich“am Mittwoch unter ein Foto, das Wichtiges aus dem neuen Berufsallt­ag berichtete. Im Weißen Zoo in St. Aegyd besuchte Ex-Kanzler Sebastian Kurz Chef & Freund Herbert Eder – und sein Tiger-Baby Mikita. Das war’s auch schon. Es geht ja nur darum, ihn vor dem Vergessen zu bewahren.

Ihn kann die Chefredakt­eurin des „Kurier“nicht gemeint haben, als sie pfingstlic­h beflügelt meinte:

Beendet ein Politiker seine Karriere, wird er „bald heiliggesp­rochen“. Um dann resigniert Josef Klaus und Wolfgang Schüssel von dieser Erhebung auszuschli­eßen. Der eine,

ein Reformer, ist vergessen, der andere polarisier­t noch heute. Bruno Kreisky gilt als Titan, bei Franz Vranitzky ist nur noch Positives in Erinnerung. Ob das wirklich nur daran liegt, dass die SPÖ in Geschichts­schreibung begabter ist als die ÖVP?

Jetzt gilt es, über die Regierung Nehammer hinwegzutr­östen: Lasset uns pfingstlic­h erleuchtet positiver in die Zukunft schauen. Amen.

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