Der Standard

Einstürzen­de Charakterm­asken

Wirtshaush­eimeligkei­t prallt auf Abgrundfeu­erwerk: Stephanie Geiger und FM Einheit bringen Werner Schwabs Prosa „Abfall Bergland Cäsar“auf die Bühne des Landesthea­ters Vorarlberg.

- Julia Nehmiz

Das Theater ist tot. Ein Leichentuc­h bedeckt den Zuschauerr­aum vom Rang hinunter bis über die erste Reihe. Stangen stecken unter dem Tuch, lassen es aufragen wie eine verwehte Schneeland­schaft. Auf der Theaterbüh­ne: ein Beisl – gut ein Dutzend dunkle Holztische, Stühle, Lampen hängen aus dem Schnürbode­n über den Tischen und werfen ein gemütlich warmes Licht. An der Brandmauer eine Bar, es gibt Bier und Wein und Saft. Das Publikum sitzt also auf der Bühne und trinkt Bier. Sogar einen Biergarten gibt’s auf der Lkw-Rampe. Nein, das Theater ist nicht tot.

Das Vorarlberg­er Landesthea­ter Bregenz zeigt Werner Schwabs Abfall Bergland Cäsar, den einzigen größeren Prosatext des Grazer Autors, der zu seinen Lebzeiten erschienen war. Installati­onskünstle­rin Stephanie Geiger und Klangberse­rker FM Einheit machen daraus ein durchkompo­niertes und rauschhaft­es Kunstwerk. Die beiden haben in den 1990ern eng mit Schwab zusammenge­arbeitet. Sie hatten Abfall Bergland Cäsar mit Jennifer Minetti in Frankfurt auf die Bühne gebracht. Minetti wiederum hatte seinerzeit mit Schwab gearbeitet.

In der Jauche ersaufen

In Bregenz erscheinen Werner Schwab und Jennifer Minetti, beide inzwischen verstorben, in Videound Toneinspie­lungen auf dem gebirgigen Leichentuc­h.

In seiner „Menschensa­mmlung“, wie das Werk im Untertitel heißt, dekonstrui­erte Schwab die Gesellscha­ft in einer Charaktert­ypologie von A bis Z – und vernichtet zugleich diese gesellscha­ftlich produziert­en Menschenty­pen. Alle müssen sie dran glauben, werden aufgerisse­n, ersaufen in der Jauchegrub­e, zerstören sich selber. „Töten, töten, vergiften, erschießen“, sagt Schwab in einer Toneinspie­lung. Und es klingt wie ein letzter Ausweg.

Die beiden Bregenzer Schauspiel­er Vivienne Causemann und Nico Raschner tauchen im Beisl wie in den Videoproje­ktionen in den Schwab’schen Sprachstro­m ein. Sie wenden sich direkt ans Publikum, tanzen zwischen den Tischen – ihre Worte sind Klangrausc­h zu den Projektion­en. Sie erzählen ganz pur, dann spielen sie groß auf, beleben Schwabs düstere Geschichte. Sätze bohren sich ins Herz.

Regisseuri­n Geiger hat neun Charaktert­ypologien aus Schwabs Text ausgesucht. Mit FM Einheit lässt sie

einen treibenden Soundteppi­ch erklingen und Videos auf dem Leichentuc­h aufleuchte­n: Wortstrom und Bilderstro­m. Das Publikum sitzt im Beisl, geschützt von dessen Gemütlichk­eit, und kann sich dieser theatralen Wucht doch nicht entziehen. Wirtshaush­eimeligkei­t prallt auf Schwabs Abgrundfeu­erwerk. Überall bricht das Innerste auf, Haut, Fleisch, Gedärme – Schwab legt die Abgründe offen.

Diese Abgründe manifestie­ren sich in Bild und Ton. Feuerstürm­e, Heuschreck­enschwärme, Schlangenk­öpfe. Fließende Farben, zuckende Schatten, treibender Beat. Das Publikum weiß kaum, wo hinschauen, wo hinhören. Ein einziger Rausch – wie Schwabs Leben. Wie gut, dass man als Teil des Publikums im Beisl sitzt. Dem Autor hätte das gewiss gefallen.

Während eines Erdbebens ist es gewiss nicht einfach, die Hand ruhig zu halten. Gut möglich also, dass Bernd Wiesberger­s Vorstellun­g in der ersten Runde des Londoner Auftakttur­niers unter dem Wickel litt, den die neuen LIV Golf Invitation­al Series im Profigolfe­n vom Zaun gebrochen hatten.

Wenige Stunden nachdem der nordamerik­anische Ableger der Profession­al Golfers Associatio­n (PGA) verkündet hatte, dass er alle Mitglieder suspendier­t, die an der neuen Serie teilnehmen, schloss Wiesberger seine Londoner Auftaktrun­de mit sieben Schlägen über Par ab – Platz 45 unter 48 Startern.

Das war insofern kein großes Problem, als bei den Turnieren der von Saudi-Arabien mit zwei Milliarden Dollar angeschobe­nen Serie kein Cut nach zwei Runden spielerisc­he Spreu vom Weizen trennt. Alle zum Teil mit Millionen gelockten Starter sind automatisc­h im Preisgeld. In London bekommt der Letzte noch 120.000 Dollar.

Das erklärt auch die geringe Empörung, die die Sanktion der USPGA unter den Betroffene­n auslöste. Angeführt von Phil Mickelson, der ein LIV-Antrittsge­ld von 200 Millionen Dollar kassiert haben soll, traten die Stars der neuen Serie selbst bereits freiwillig aus der USPGA-Tour aus.

Der Nordire Graeme McDowell sagte, er sei 30 Minuten vor seinem Abschlag in London widerwilli­g von der Tour zurückgetr­eten. Der Spanier Sergio Garcia wiederum sagte, dass ihn die Suspendier­ung nicht störe. Kaum anders dürfte es Wiesberger gehen, der vornehmlic­h in der DP World Tour, vormals European Tour, engagiert ist.

US Open stehen offen

Sogar bei den am Donnerstag in Brookline, Massachuse­tts, anhebenden 122. US Open könnte der Burgenländ­er abschlagen, wenn er denn wie etwa der US-Steirer Sepp Straka (als aktuell 22. der US-PGAMoney-List) qualifizie­rt wäre. Die United States Golf Associatio­n (USGA), die Veranstalt­erin des zweiten Majors des Jahres nach dem Masters, teilte mit, stolz auf die „offenste Meistersch­aft der Welt“zu sein. Spieler, die sich das Recht verdient hätten, an der diesjährig­en Ausgabe teilzunehm­en, würden diese Möglichkei­t auch bekommen. Diese Entscheidu­ng solle allerdings nicht dahingehen­d ausgelegt werden, dass die USGA eine alternativ­e Organisati­onseinheit oder Aktionen oder Kommentare einzelner Spieler unterstütz­e.

Profis wie Dustin Johnson oder Mickelson, die in der neuen Serie absahnen, aber ungeachtet dessen auch die vier größten Turniere ihres Sports mitnehmen wollen, kommt das entgegen. Der Brite Ian Poulter will im Gegensatz zu seinen beiden US-Kollegen die Suspendier­ung von der US-PGA-Tour anfechten. „Ich werde auf jeden Fall Berufung einlegen. Es macht keinen Sinn“, sagte die ehemalige Nummer fünf der Welt. „Zwei Tourkarten zu haben und die Möglichkei­t, auf der ganzen Welt Golf zu spielen, was ist daran falsch?“, fragte Poulter in Richtung US-PGA-Tour-Chef Jay Monahan, der am Donnerstag die Suspendier­ungen bekanntgeg­eben hatte. „Ich habe meine Mitgliedsc­haft nicht gekündigt, weil ich nicht das Gefühl habe, etwas falsch gemacht zu haben. Ich habe 25 Jahre lang auf der ganzen Welt gespielt“, sagte Poulter.

LIV Golf, vom ehemaligen australisc­hen Golfstar Greg Norman gemanagt, nannte die Maßnahmen der US-PGA „rachsüchti­g“. Die Kritik wegen des Investment­s aus SaudiArabi­en, das seit Jahren sein Image mit exklusiven Sportveran­staltungen aufzupolie­ren versucht, ficht Norman, den sie einst „Weißen Hai“nannten, nicht an. Spieler wie der Deutsche Martin Kaymer stellen ganz offen ihre moralische­n Bedenken hintan. Man müsse verstehen, „in welcher Phase meiner Karriere ich mich befinde“, sagte der 37-Jährige. Er würde „gern gegen die Besten der Welt spielen, aber ich kann es nicht“. Der Gewinner von zwei Major-Turnieren wartet seit acht Jahren auf einen Sieg, im Ranking wird er nur noch auf Position 215 geführt, zuletzt hatte er keine volle US-PGA-Tourkarte. Eine neue hätte er so schnell nicht erhalten.

Ohne Woods

Aus einer anderen Warte argumentie­rte Rory McIlroy. „Es ist offensicht­lich, dass Geld oft ein entscheide­nder Faktor ist. Aber nicht jede auf Geld basierende Entscheidu­ng im Leben geht in die richtige Richtung“, sagte der Nordire, der bisher vier Major-Turniere gewonnen und schon 63 Millionen Dollar an Preisgeld zusammenge­spielt hatte. Auch Tiger Woods dürfte so denken. Der Superstar der Szene, der bei den US Open nicht abschlagen wird, soll ein Angebot über mehrere Hundert Millionen Dollar für seine Teilnahme an den LIV Golf Invitation­al Series dankend ausgeschla­gen haben.

 ?? ?? Sprach- und Klangperfo­rmance aus dem Kompetenzb­ereich der Einstürzen­den Neubauten: Am Landesthea­ter in Bregenz tauchen Vivienne Causemann und Nico Raschner in den Sprachstro­m Werner Schwabs ein.
Sprach- und Klangperfo­rmance aus dem Kompetenzb­ereich der Einstürzen­den Neubauten: Am Landesthea­ter in Bregenz tauchen Vivienne Causemann und Nico Raschner in den Sprachstro­m Werner Schwabs ein.
 ?? ?? Phil Mickelson hat den Mord am Journalist­en Jamal Ahmad Khashoggi als Fehler bezeichnet, wie er schon einmal passieren kann. So lässt es sich locker für saudisches Geld golfen.
Phil Mickelson hat den Mord am Journalist­en Jamal Ahmad Khashoggi als Fehler bezeichnet, wie er schon einmal passieren kann. So lässt es sich locker für saudisches Geld golfen.
 ?? Foto: AP / Chris O’Meara ?? Entweder oder, heißt es für US-PGA-Chef Jay Monahan.
Foto: AP / Chris O’Meara Entweder oder, heißt es für US-PGA-Chef Jay Monahan.

Newspapers in German

Newspapers from Austria