Ohnmacht des Augenblicks
Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes“, zitierte die Grande Dame der heimischen Fotografie Christine de Grancy Elias Canetti bei der Präsentation ihres neuen Bandes Sturm und Spiel. Dieser versammelt nämlich vornehmlich Begegnungen mit Literatur, mit Menschen am Theater. Inspiriert durch ihre Freundschaften zu Erika Pluhar und André Heller lernte die heuer 80 Lenze Junge anno 1979 Achim Benning kennen. Der damalige Direktor des Burgtheaters war bald überzeugt von ihrem völlig neuen Zugang zur Bühne, der in einer innovativen Bildsprache gipfelte. De Grancy mutierte zum unsichtbaren Teil des Ensembles, ganz selbstverständlich und ruhig bewegte sie sich innerhalb des Präsentierten und schuf so unschätzbare Bilder. Geschichten zu erzählen war stets ihr Auftrag, jene, die sonst unsichtbar geblieben wären. Nach Jahren in der Werbung liebäugelte sie mit Pasolinis These, dass der Konsumismus eine Spielart des Faschismus sei. Gut nachvollziehbar werden aufgrund dieser Hypothese ihre sphärischen, entrückt wirkenden Ikonen, die sie von den Göttern und Göttinnen am Himmel über Wien schuf. Eine Auswahl dieser fotografischen Ikonen sind ab sofort bei Lois Lammerhubers Festival La Gacilly-Baden Photo zu bestaunen. Die Bühnenbilder, nein Menschenbilder, zeigt das Theatermuseum zu Wien. Spürbar wird die Verwandtschaft zu CartierBresson, Brassai und deren Humanismus. In all diesen grandiosen Tableaus des eingefrorenen Moments werden Empathie und Leidenschaft lebendig. Ähnliches formuliert Mercedes Echerer, die uns als Verlegerin die Preziosen vor Augen legt: Es lebe das Leben, die Liebe und die Revolution!
Christine de Grancy, „Sturm und Spiel“. € 45,– / 224 S. Verlag Die 2, Wien 2022. Tipp: Eine gleichnamige Ausstellung zeigt das Theatermuseum Wien am Lobkowitzplatz bis 7. 11. 2022. Das Festival La Gacilly-Baden Photo präsentiert Arbeiten von de Grancy beim 7-km-Fotoparcours durch Baden bis 16. 10. ’22.