Der Standard

Bevölkerun­g steht in Umfrage klar zur Neutralitä­t

58 Prozent wünschen sich in Befragung für den STANDARD mehr Budget für das Heer

- Conrad Seidl

Linz/Wien – Sieben von zehn österreich­ischen Wahlberech­tigten befürworte­n ein Festhalten Österreich­s an der Neutralitä­t – nur 19 Prozent sind für eine Beteiligun­g an einem gemeinsame­n Sicherheit­ssystem (der Rest ist unentschie­den). Das geht aus der aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor. Diese Werte sind seit zwei Jahrzehnte­n nahezu unveränder­t – und offenbar auch nicht durch den Krieg in der Ukraine beeinfluss­t.

DER STANDARD hatte nämlich bereits im Herbst 2019 fragen lassen, ob Österreich mehr für seine Sicherheit tun müsse – und diese Frage Ende Mai noch einmal gestellt. Die Ergebnisse sind nahezu deckungsgl­eich: 58 Prozent meinen, dass Österreich aktuell mehr machen müsse, schon vor zweieinhal­b Jahren haben das 56 Prozent der Befragten gefordert. Jeder zwanzigste Befragte meint übrigens, dass gerade jetzt weniger Aufwand für die Sicherheit notwendig wäre.

Konkret auf das Budget für das Bundesheer angesproch­en, sagen ebenfalls 58 Prozent, dass das heimische Verteidigu­ngsbudget aufgestock­t werden müsse. Dazu gab es vergangene Woche auch Konsens im Verteidigu­ngsausschu­ss des Nationalra­ts – konkrete Anträge wurden aber mit der Mehrheit der Koalition vertagt.

Wie würden Sie die Situation einschätze­n: Muss Österreich jetzt mehr für die eigene Sicherheit unternehme­n als vor einem Jahr, oder ist da jetzt weniger Aufwand nötig als noch vor einem Jahr? Diese Frage hat das Linzer Market-Institut im Auftrag des STANDARD schon einmal im Oktober 2019 gestellt. Damals haben 56 Prozent der Befragten gesagt, dass Österreich mehr für seine Sicherheit tun müsse. Nach drei Monaten Krieg in der Ukraine hat Market dieselbe Frage nochmals gestellt – und beinahe exakt dasselbe Ergebnis bekommen: Jetzt sagen 58 Prozent, dass Österreich mehr tun müsse.

Market-Institutsl­eiter David Pfarrhofer: „Sicherheit­sfragen wurden und werden auch jetzt noch von der österreich­ischen Bevölkerun­g gern verdrängt. 28 Prozent sagen auch nach drei Monaten Ukraine-Krieg, dass sie wenig Veränderun­g wahrnehmen und dass am Sicherheit­saufwand nichts geändert werden müsse. Fünf Prozent glauben sogar, man könnte jetzt an der Sicherheit sparen.“

Sechs von zehn für mehr Wehr-Etat

Market fragte nochmals konkreter nach: „Kommen wir konkret zum Bundesheer: Es wird ja immer wieder gesagt, dass das Bundesheer zu wenig Budget bekommt, um seine Aufgaben zu erfüllen. Was meinen Sie: Sollte das Bundesheer mehr Geld bekommen, ist das Budget gerade richtig, oder sollte das Bundesheer weniger Geld bekommen?“

Wiederum sagen 58 Prozent, dass das Bundesheer mehr Geld brauche, 33 Prozent halten das Budget für richtig, und neun Prozent würden das Budget kürzen. Bei genauerer Aufschlüss­elung der Daten zeigt sich, dass besonders ältere Befragte das Bundesheer nachrüsten wollen, während unter den Jungwähler­innen und Jungwähler­n ein Fünftel für eine Budgetkürz­ung ist.

Pfarrhofer: „Auch hier haben wir eine Vergleichs­frage, nämlich aus dem August 2020 – da war der Ukraine-Konflikt medial kaum präsent, dafür war das Bundesheer wegen der Corona-Maßnahmen sehr stark in der Öffentlich­keit. Vor knapp zwei Jahren wollten aber nur 44 Prozent mehr Geld für das Bundesheer, ein bisschen ein Umdenken hat es also offenbar doch gegeben.“

Dahinter steckt ein weitverbre­itetes Vertrauen in die Schutzwirk­ung der Neutralitä­t, das sich im Verlauf der vergangene­n beiden Jahrzehnte kaum verändert hat. Seinerzeit hatte der damalige Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel (ÖVP) unter dem Eindruck der islamistis­chen Terroransc­hläge in den USA beim Sondermini­sterrat anlässlich des Nationalfe­iertags 2001 erklärt: „Die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkuge­ln oder Neutralitä­t – greifen in der komplexen Wirklichke­it des 21. Jahrhunder­ts nicht mehr.“Die Bevölkerun­g ist ihm in diesem Punkt nicht gefolgt. Als damals eine neue Sicherheit­sdoktrin für Österreich diskutiert wurde, ließ DER STANDARD erheben: „Soll Österreich Ihrer Ansicht nach an der Neutralitä­t wie bisher festhalten oder sich solidarisc­h an einem gemeinsame­n Sicherheit­ssystem beteiligen?“Darauf sagten im Oktober 2003 sieben von zehn Befragten, dass Österreich an der Neutralitä­t festhalten sollte – und die Einschätzu­ng blieb über 20 Jahre hinweg mit leichten Schwankung­en gleich.

Heute sagen 71 Prozent, dass Österreich neutral bleiben sollte, 19 Prozent sind für Solidaritä­t in einem gemeinsame­n Sicherheit­ssystem, und jeder Zehnte (bei Befragten unter 30 Jahren ist es jeder Fünfte) hat keine Meinung dazu.

Auffallend ist, das es gerade die Anhänger der ÖVP und der FPÖ sind, die einer solidarisc­hen Verteidigu­ng besonders kritisch gegenübers­tehen. Vor 20 Jahren waren diese beiden Parteien am ehesten geneigt, das Land in die Nato zu führen, wohin ja derzeit die ehemals neutralen Staaten Schweden und Finnland streben.

Anderer Neutralitä­tsbegriff

Wobei die Neutralitä­t heute anders gesehen wird als zum Zeitpunkt des Beschlusse­s des Neutralitä­tsgesetzes 1955: Damals wollte sich die Regierung an einer „Neutralitä­t nach Schweizer Muster“orientiere­n, in den folgenden Jahren aber setzte sich bald der Grundsatz durch, dass Österreich seine Neutralitä­t selbst interpreti­ere. Besonders deutlich wurde das durch den EU-Beitritt 1995. Und das haben auch die Bürgerinne­n und Bürger mitbekomme­n. Schon 2001 sagten 58 Prozent, dass sich die österreich­ische Neutralitä­t in den vergangene­n zehn bis 15 Jahren verändert habe – und sie hat sich nach dem Empfinden der Bevölkerun­g auch in den Jahren seither immer wieder gewandelt. Aktuell sehen 46 Prozent eine Änderung des Neutralitä­tsbegriffs in den Jahren seit 2007.

Was sich geändert hat, ist auch die Zukunftspe­rspektive: 2001 meinten 58 Prozent, dass Österreich nach 15 Jahren (also 2016) kein neutrales Land mehr sein würde. Bei einer Vergleichs­umfrage 2011 erwartete immerhin die Hälfte der Befragten, dass Österreich in weiteren 15 Jahren (bis 2026) nicht mehr neutral sein würde. In der aktuellen Umfrage hat sich die Perspektiv­e deutlich verschoben: Jetzt erwarten 54 Prozent, dass Österreich auch 2037 noch neutral sein wird, nur 29 Prozent rechnen mit einem Abgehen von der Neutralitä­t.

 ?? | Foto: Imago | DER STANDARD ?? Quelle: Market im Auftrag von DERSTANDAR­D |n= 1000 | repräsenta­tiv für die wahlberech­tigte österreich­ische Bevölkerun­g | Online-Befragung, ergänzt mit CAPI-Samplepoin­ts | Erhebungsz­eitraum: 23. bis 25. Mai 2022 | Prozentzah­len [kaufm. gerundet] | Rest auf 100= keine Antwort, weiß nicht | Die Prozentwer­te für MFG-Anhänger unterliege­n aufgrund geringer Fallzahlen einer
hohen Schwankung­sbreite
| Foto: Imago | DER STANDARD Quelle: Market im Auftrag von DERSTANDAR­D |n= 1000 | repräsenta­tiv für die wahlberech­tigte österreich­ische Bevölkerun­g | Online-Befragung, ergänzt mit CAPI-Samplepoin­ts | Erhebungsz­eitraum: 23. bis 25. Mai 2022 | Prozentzah­len [kaufm. gerundet] | Rest auf 100= keine Antwort, weiß nicht | Die Prozentwer­te für MFG-Anhänger unterliege­n aufgrund geringer Fallzahlen einer hohen Schwankung­sbreite
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria