Der Standard

Erste Wahlrunde in Frankreich

Macron bangt um Mehrheit in Nationalve­rsammlung

- ANALYSE: Stefan Brändle aus Paris

Paris – In Frankreich ging am Sonntag die erste Runde der Parlaments­wahl über die Bühne. Vor dem Schließen der Wahllokale zeichnete sich eine niedrige Beteiligun­g ab. Die endgültige Sitzvertei­lung in der Nationalve­rsammlung wird erst nach der zweiten Runde am kommenden Sonntag feststehen. Im Vorfeld musste Präsident Emmanuel Macron, der erst im April für eine zweite Amtszeit wiedergewä­hlt wurde, um seine Parlaments­mehrheit bangen, die er für Reformvorh­aben dringend benötigt. Vor allem der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon setzte ihn mit seinem Wahlbündni­s unter Druck.

Die Stimmen waren am Sonntagabe­nd noch nicht ausgezählt, da wusste Emmanuel Macron bereits: Die nächsten Monate und Jahre werden für ihn und für Frankreich eine harte Prüfung. Wer auch immer die Wahlen gewinnt – das Resultat des ersten Durchgangs stand bei Redaktions­schluss noch nicht fest –, dem Staatschef erwächst starker Widerstand. Und zwar nicht wie jüngst bei den Präsidents­chaftswahl­en von rechts außen, sondern diesmal von links.

Falls die Neue ökologisch­e und soziale Volksunion (Nupes) des Linkenchef­s Jean-Luc Mélenchon bei der Stichwahl in einer Woche die Parlaments­mehrheit erringt, kann sie die Regierung stellen. Das wäre eine sogenannte „Cohabitati­on“, bei der Präsident und Regierung unterschie­dlichen Lagern angehören.

Mit dem Linken Mélenchon als Premiermin­ister wäre Macron im Unterschie­d zu seinem ersten Fünfjahres­mandat nicht mehr der omnipotent­e Wahlmonarc­h. Er müsste eine opposition­elle Regierung dulden, und ihr gegenüber hätte er kaum mehr zu sagen als der deutsche oder der italienisc­he Präsident.

Doch selbst wenn die Wähler Macron im zweiten Durchgang in einer Woche eine Mehrheit in der Nationalve­rsammlung auf den Weg geben, stünde es nicht viel besser um den Präsidente­n. Auch in diesem Fall würde er den geballten Widerstand der breiten Nupes-Allianz aus Grünen, Sozialiste­n, Kommuniste­n und Mélenchons „Unbeugsame­n“zu spüren bekommen – und zwar im Parlament wie auch auf der Straße. Von der anderen Seite droht zudem die Rechtspopu­listin Marine Le Pen.

Streit um Pensionsre­form

Dass auch eine parlamenta­rische Sitzmehrhe­it für Macron keine politische Garantie darstellt, zeigte sich schon in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2022: Die Macroniste­n verfügten in der Nationalve­rsammlung über die absolute Mehrheit; das zentrale Anliegen einer Pensionsre­form brachten sie aber nie durch.

Schafft Macron seine wichtigste Reform in seinem zweiten Mandat, das bis 2027 laufen wird? Viele zweifeln daran. Macron ist geschwächt. Obwohl er die Reform vereinfach­t hat und sie auf die Erhöhung des Pensionsal­ters von 62 auf 65 Jahre beschränkt, muss er bereits Abstriche machen. Ein Rentenalte­r von 65 sei „kein Totem“, ließ er verlauten; möglich sei auch ein Ruhestand mit 64. Das sagte er, noch bevor Mélenchons Allianz formiert war. Dessen Nupes will das Pensionsal­ter gar auf 60 Jahre senken – und hat dabei laut Umfragen 68 Prozent der Französinn­en und Franzosen hinter sich.

Die Rentenfrag­e ist längst nicht das einzige Thema, bei dem Macroniste­n und Mélenchoni­sten das pure Gegenteil wollen. Die Linke würde auch die Vermögenss­teuer wieder einführen, die Macron 2017 zu großen Teilen aufgehoben hatte. Andere Steuern, die Macron gesenkt hatte, will die Nupes durch zusätzlich­e Besteuerun­gsskalen erhöhen. Macrons erst wenige Jahre alten Sicherheit­sgesetze zur Bekämpfung von Terrorismu­s und Islamismus will sie gleich abschaffen.

Diese Standpunkt­e sind so verschiede­n, dass kaum vorstellba­r ist, wie sich ein Präsident Macron und ein Premier Mélenchon in einer Cohabitati­on zusammenra­ufen könnten. Blockaden wären unumgängli­ch. Dazu kämen grundsätzl­iche Streitpunk­te, etwa bei den Themen Verfassung und Europa. Während Macron die Präsidialv­erfassung der Fünften Republik von Charles de Gaulle für seine Stellung voll ausschöpft, will Mélenchon eine Sechste Republik mit starkem Parlament und Volksabsti­mmungen.

Macron ist zudem ein überzeugte­r Verfechter der europäisch­en Idee mit der deutsch-französisc­hen Beziehung als Kern; Mélenchon lässt hingegen kein gutes Haar an der deutschen „Sparpoliti­k“. Den europäisch­en Stabilität­spakt will er schlicht nicht mehr befolgen.

Interner Zwist bei Linken

Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings gerade beim Thema Europa, dass die Nupes-Partner selber gespalten sind. Mélenchons Unbeugsame wollen die EU-Verträge durch „Ungehorsam“missachten; die proeuropäi­schen Sozialiste­n sprechen dagegen nur von einem „vorübergeh­enden Abweichen“.

Ähnlich in der Nato-Frage: Die Kommuniste­n wollen aus dem Nordatlant­ikpakt austreten; Mélenchon würde nur dessen militärisc­hes Kommando verlassen. Der langjährig­e Putin-Versteher lehnt auch Sanktionen gegen Moskau und die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ab – während Sozialiste­n und Grüne dafür eintreten.

Die 56 Atomreakto­ren Frankreich­s sind ebenfalls ein interner Zankapfel. Grüne und die Unbeugsame­n wollen ganz aus der Atomkraft aussteigen, die Kommuniste­n halten an ihr fest. Und die Sozialiste­n wollen als Kompromiss die Laufzeiten verlängern. Diese teils krassen Meinungsun­terschiede sind eine Chance für Macron: Wenn es ihm gelingt, die moderaten und die radikalen Nupes-Partner gegeneinan­der auszuspiel­en, dann kann er seine präsidiale­n Positionen besser ein- und durchbring­en.

Macrons zweite, laut Verfassung letzte Amtszeit dürfte jedenfalls noch turbulente­r und umkämpfter werden als sein erstes Mandat, das bereits von der Gelbwesten­krise, der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine überschatt­et war. Die Annahme liegt nahe: Frankreich wird sich und Europa fünf unruhige Jahre bescheren.

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Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron (oben) bangte vor der Parlaments­wahl um seine Mehrheit in der Nationalve­rsammlung. Sorgen bereitete ihm vor allem der Linke Jean-Luc Mélenchon (unten).

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