Erste Wahlrunde in Frankreich
Macron bangt um Mehrheit in Nationalversammlung
Paris – In Frankreich ging am Sonntag die erste Runde der Parlamentswahl über die Bühne. Vor dem Schließen der Wahllokale zeichnete sich eine niedrige Beteiligung ab. Die endgültige Sitzverteilung in der Nationalversammlung wird erst nach der zweiten Runde am kommenden Sonntag feststehen. Im Vorfeld musste Präsident Emmanuel Macron, der erst im April für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde, um seine Parlamentsmehrheit bangen, die er für Reformvorhaben dringend benötigt. Vor allem der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon setzte ihn mit seinem Wahlbündnis unter Druck.
Die Stimmen waren am Sonntagabend noch nicht ausgezählt, da wusste Emmanuel Macron bereits: Die nächsten Monate und Jahre werden für ihn und für Frankreich eine harte Prüfung. Wer auch immer die Wahlen gewinnt – das Resultat des ersten Durchgangs stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest –, dem Staatschef erwächst starker Widerstand. Und zwar nicht wie jüngst bei den Präsidentschaftswahlen von rechts außen, sondern diesmal von links.
Falls die Neue ökologische und soziale Volksunion (Nupes) des Linkenchefs Jean-Luc Mélenchon bei der Stichwahl in einer Woche die Parlamentsmehrheit erringt, kann sie die Regierung stellen. Das wäre eine sogenannte „Cohabitation“, bei der Präsident und Regierung unterschiedlichen Lagern angehören.
Mit dem Linken Mélenchon als Premierminister wäre Macron im Unterschied zu seinem ersten Fünfjahresmandat nicht mehr der omnipotente Wahlmonarch. Er müsste eine oppositionelle Regierung dulden, und ihr gegenüber hätte er kaum mehr zu sagen als der deutsche oder der italienische Präsident.
Doch selbst wenn die Wähler Macron im zweiten Durchgang in einer Woche eine Mehrheit in der Nationalversammlung auf den Weg geben, stünde es nicht viel besser um den Präsidenten. Auch in diesem Fall würde er den geballten Widerstand der breiten Nupes-Allianz aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Mélenchons „Unbeugsamen“zu spüren bekommen – und zwar im Parlament wie auch auf der Straße. Von der anderen Seite droht zudem die Rechtspopulistin Marine Le Pen.
Streit um Pensionsreform
Dass auch eine parlamentarische Sitzmehrheit für Macron keine politische Garantie darstellt, zeigte sich schon in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2022: Die Macronisten verfügten in der Nationalversammlung über die absolute Mehrheit; das zentrale Anliegen einer Pensionsreform brachten sie aber nie durch.
Schafft Macron seine wichtigste Reform in seinem zweiten Mandat, das bis 2027 laufen wird? Viele zweifeln daran. Macron ist geschwächt. Obwohl er die Reform vereinfacht hat und sie auf die Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 65 Jahre beschränkt, muss er bereits Abstriche machen. Ein Rentenalter von 65 sei „kein Totem“, ließ er verlauten; möglich sei auch ein Ruhestand mit 64. Das sagte er, noch bevor Mélenchons Allianz formiert war. Dessen Nupes will das Pensionsalter gar auf 60 Jahre senken – und hat dabei laut Umfragen 68 Prozent der Französinnen und Franzosen hinter sich.
Die Rentenfrage ist längst nicht das einzige Thema, bei dem Macronisten und Mélenchonisten das pure Gegenteil wollen. Die Linke würde auch die Vermögenssteuer wieder einführen, die Macron 2017 zu großen Teilen aufgehoben hatte. Andere Steuern, die Macron gesenkt hatte, will die Nupes durch zusätzliche Besteuerungsskalen erhöhen. Macrons erst wenige Jahre alten Sicherheitsgesetze zur Bekämpfung von Terrorismus und Islamismus will sie gleich abschaffen.
Diese Standpunkte sind so verschieden, dass kaum vorstellbar ist, wie sich ein Präsident Macron und ein Premier Mélenchon in einer Cohabitation zusammenraufen könnten. Blockaden wären unumgänglich. Dazu kämen grundsätzliche Streitpunkte, etwa bei den Themen Verfassung und Europa. Während Macron die Präsidialverfassung der Fünften Republik von Charles de Gaulle für seine Stellung voll ausschöpft, will Mélenchon eine Sechste Republik mit starkem Parlament und Volksabstimmungen.
Macron ist zudem ein überzeugter Verfechter der europäischen Idee mit der deutsch-französischen Beziehung als Kern; Mélenchon lässt hingegen kein gutes Haar an der deutschen „Sparpolitik“. Den europäischen Stabilitätspakt will er schlicht nicht mehr befolgen.
Interner Zwist bei Linken
Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings gerade beim Thema Europa, dass die Nupes-Partner selber gespalten sind. Mélenchons Unbeugsame wollen die EU-Verträge durch „Ungehorsam“missachten; die proeuropäischen Sozialisten sprechen dagegen nur von einem „vorübergehenden Abweichen“.
Ähnlich in der Nato-Frage: Die Kommunisten wollen aus dem Nordatlantikpakt austreten; Mélenchon würde nur dessen militärisches Kommando verlassen. Der langjährige Putin-Versteher lehnt auch Sanktionen gegen Moskau und die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ab – während Sozialisten und Grüne dafür eintreten.
Die 56 Atomreaktoren Frankreichs sind ebenfalls ein interner Zankapfel. Grüne und die Unbeugsamen wollen ganz aus der Atomkraft aussteigen, die Kommunisten halten an ihr fest. Und die Sozialisten wollen als Kompromiss die Laufzeiten verlängern. Diese teils krassen Meinungsunterschiede sind eine Chance für Macron: Wenn es ihm gelingt, die moderaten und die radikalen Nupes-Partner gegeneinander auszuspielen, dann kann er seine präsidialen Positionen besser ein- und durchbringen.
Macrons zweite, laut Verfassung letzte Amtszeit dürfte jedenfalls noch turbulenter und umkämpfter werden als sein erstes Mandat, das bereits von der Gelbwestenkrise, der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine überschattet war. Die Annahme liegt nahe: Frankreich wird sich und Europa fünf unruhige Jahre bescheren.