Mehr Tempo bei Energiewende
Gewessler will Länderkompetenzen beschneiden
Wien – Klimaschutzministerin Leonore Gewessler will beim in manchen Bundesländern schleppenden Ausbau von Windparks aufs Tempo drücken und dafür die Kompetenzen der Länder einschränken. Die Erhöhung des Klimabonus auf 250 Euro für alle verteidigte die grüne Ministerin in der ORF-Pressestunde als Antiteuerungsmaßnahme, die „huckepack“auf den Klimabonus gesetzt werde. Wie hoch die von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) angekündigte Erhöhung des Energiebonus ausfallen werde, wollte sie mit Verweis auf dazu laufende Verhandlungen nicht beantworten.
Teuerung, Energie und Klimaschutz beschäftigen Bürger und Bürgerinnen ebenso wie Unternehmen und halten die Politik auf Trab. Die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler wollte am Sonntag in der ORF-Pressestunde die Frage, wie hoch die von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) im ATVInterview angekündigte Erhöhung des Energiebonus ausfallen könnte, nicht beantworten. Es werde unter Hochdruck verhandelt. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Auszahlung beantwortet sie mit „so rasch wie möglich“, noch vor dem Sommer.
Ähnlich verhalte es sich auch mit dem Klimaschutzgesetz, verteidigt Gewessler den Umstand, dass es ein solches immer noch nicht gibt, mit der Komplexität der Materie. Auch in dieser Frage werde mit „Hochdruck“gearbeitet. Auf das Tempo drücken will die Ministerin beim schleppenden Ausbau von Windparks – sie will die Kompetenzen der Länder einschränken und heute, Montag erläutern, wie.
Die vom Klimarat formulierten Ideen in Sachen Klimaschutz bekommt die Ministerin am 4. Juli vorgelegt. Sie wolle sich „ernsthaft mit jedem Vorschlag auseinandersetzen“, verspricht Gewessler und beteuert, dass die gesamte Bundesregierung das Gremium ernst nehme. In Salzburg, wo die teilnehmenden Bürger am Wochenende letztmalig tagten, gab es daran Zweifel. ÖVP-Umwelt- und -Klimasprecher Johannes Schmuckenschlager hat das Gremium am Freitag im Ö1Journal infrage gestellt: „Ich kritisiere nicht die Bürger, die sich da engagieren, aber ich kritisiere das Gremium als Institution.“Im Kurier erklärte der Politiker den Klimarat für „absolut untauglich“, die Ergebnisse hätten für ihn „keine Relevanz“.
Unmut beim Klimarat
Die Aussagen des ÖVP-Politikers sorgten in Salzburg jedenfalls für gehörigen Unmut. Gleich mehrere Bürger meldeten sich zu Beginn der Veranstaltung zu Wort, um ihren Ärger loszuwerden. Schmuckenschlager habe die Teilnehmer abgewertet, beleidigt und als nutzlos bezeichnet, kritisiert einer von ihnen. „Mich hat es maßlos geärgert, was der Herr von sich gibt“, hält ein weiterer Bürger fest.
Und während die Köpfe vieler Bürger rauchen und die Wirtschaftskammer (WKO) und die Industriellenvereinigung (IV) einmal mehr einen Energiemasterplan der Regierung einfordern, haben viele Unternehmen in Sachen Klimastrategie keinen Plan. Das zeigt zumindest das Mittelstandsbarometer der Unternehmensberatung EY. Nur jedes dritte mittelständische Unternehmen hat sich demnach tiefergehende Gedanken über eine strukturierte Nachhaltigkeits- und Klimastrategie gemacht und diese auch schriftlich ausformuliert. Während sich gut ein Drittel als Musterschüler erweist und angibt, bereits jetzt oder in naher Zukunft klimaneutral zu arbeiten, haben immerhin vier von zehn Befragten keinen Masterplan.
Einen solchen hat indes offenbar der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck. Während Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die Idee einer Gewinnabschöpfung derzeit nicht weiterverfolgt, droht der grüne Minister in Deutschland den Mineralölkonzernen mit einer Verschärfung des Kartellrechts und will notfalls auch eine Zerschlagung der Unternehmen ermöglichen. Zudem sollen unrechtmäßige Gewinne leichter abgeschöpft werden können. Unmut gab es nämlich am Wochenende auch in Deutschland – darüber, dass die in Gang gesetzte Spritpreisbremse wenig Wirkung entfaltet hat.
Vier Milliarden Euro an Steuergeld hat die Regierung bis jetzt verplant, um die Menschen in Österreich von der fortschreitenden Teuerung zu entlasten. Vier Milliarden, geschnürt in mehreren Paketen, demnächst soll ein nächstes folgen – und es wird wahrscheinlich nicht das letzte gewesen sein. Denn, so lauten die Prognosen, weitere Preissteigerungen stehen uns bevor, heuer und im kommenden Jahr.
Man fragt sich nur: Wo bleibt das Geld? Wer fühlt sich entlastet? Mancher Zuschuss bedarf erst umständlicher Ansuchen, manches wurde zwar beschlossen, wirkt aber erst später. Dazu kommt: Wer wird sich im Jänner kommenden Jahres angesichts fetter Strom- und GasJahresabrechnungen noch dankbar daran erinnern, dass sie oder er einst, im Juni 2022, 200 Euro bekommen hat?
Die Politik der vielen kleinen Entlastungsschritte wirkt auch deshalb nicht effektiv, weil sie auf neue Entwicklungen nur reagiert. Dies kann zur unendlichen Geschichte werden, da man zwar versucht, die größten Löcher zu stopfen, aber nicht weiß, wie viele weitere riesige Löcher noch warten. Alle europäischen Regierungen brüten derzeit über Gleichungen mit zu vielen Unbekannten. Die Menschen nicht zu entlasten ist natürlich nicht die Alternative: Viele sind ob der grassierenden Teuerung verzweifelt. Es ist also in jedem Fall kompliziert und höchst unbedankt, derzeit Politik zu machen.
V
ielleicht besteht aber gerade jetzt, da große Verunsicherung herrscht, genau darin die große Chance. Politik ist den Menschen wieder zumutbar. Der Staat soll sich nicht mehr zurückziehen, das genaue Gegenteil wird gefordert. Dem müssen Regierungen einerseits entsprechen, sich andererseits aber gegen den Reflex des Handaufhaltens verwahren, der immer dann eintritt, wenn’s teuer wird.
Das heißt konkret: Die Regierung muss zwar die größten finanziellen Härten für die Schwächsten abfedern, gleichzeitig aber, wie es Wifo und IHS vorschlagen, Anreize zum Sparen schaffen. Das klingt banaler, als es ist. Eine Abkehr von einer Mentalität des „immer mehr, immer größer, immer weiter“ist überfällig. Wir alle müssen wieder mehr Bescheidenheit lernen, wenn wir der nächsten Generation einen halbwegs intakten Planeten übergeben wollen. Für die Politik heißt das auch: große Perspektiven zu entwickeln, anstatt sich in kleinteiligen tagespolitischen Scharmützeln zu verzetteln; die Energiezufuhr für Österreichs Wirtschaft neu zu regeln, eine sinnvolle Reindustrialisierung einzuleiten, nachhaltigeres Wirtschaften zu initiieren.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck scheint diese Möglichkeit begriffen zu haben. Er redet viel, erklärt noch mehr und sagt immer alles auf einmal: was er gerade vorhat oder umsetzt, was die deutsche Regierung mittelfristig plant und was langfristig zu tun ist. Stets garniert mit zwei Signalwörtern, die beruhigend wirken sollen: Sicherheit und Unabhängigkeit.
Das müsste auch die österreichische Regierung viel offensiver probieren, und sie müsste beim Umbau in Richtung Zukunft pragmatisch vorgehen. Wind, Wasser, Sonne oder Wasserstoff? Alles muss möglich sein, alles kann bei der Energiewende helfen und Wirtschaft und Arbeitsmarkt wiederbeleben. Es muss um Möglichkeiten gehen, nicht um Verbote. Soziale Härten müssen abgefedert werden. Schwierig? Und wie. Aber auch eine große Chance für Politik.