Der Standard

Laurent Fabius warnt vor Zweifeln am Vorrang des EU-Rechts

Der französisc­he Höchstgeri­chtspräsid­ent und Ex-Premier ruft zur Wachsamkei­t gegenüber Polen und Ungarn auf

- Eric Frey

Braucht Frankreich eine neue Verfassung, also eine Sechste Republik, mit weniger Macht für den Staatspräs­identen und einer Aufwertung des Parlaments? So lautet die Forderung des Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon, der mit seinem Linksbündn­is die Parlaments­wahl zu gewinnen hofft und das Amt des Premiers anstrebt.

Laurent Fabius, Präsident des französisc­hen Verfassung­sgerichtsh­ofs, hat da seine Zweifel. Er sei der jetzigen Verfassung verpflicht­et und halte sie für zeitgemäß, sagt er im STANDARD-Gespräch während eines Besuchs in Wien. „Ein Vorteil der französisc­hen Verfassung ist, dass sie sich an verschiede­ne schwierige Situatione­n angepasst hat“, sagt der moderate Sozialist, der in den 1980er-Jahren unter François Mitterrand als jüngster Premier Frankreich­s diente und in den folgenden Jahrzehnte­n zahlreiche Ministerpo­sten besetzte. „Das System ist stabil und flexibel zugleich. Bevor wir etwas Grundlegen­des verändern, sollten wir alle Vor- und Nachteile bedenken.“

„Ansteckend­es“Verhalten

Sorgen bereitet Fabius, der seit 2016 das Verfassung­sgericht leitet, die Haltung einiger EU-Staaten wie Ungarn und Polen, die den Vorrang des EU-Rechts nicht akzeptiere­n wollen. Fabius dazu: „Wer ein Mitglied im Klub sein will, muss sich an die Regeln halten. Wenn eine Regierung sich gegen das Unionsrech­t stellt, haben wir Grund zur Sorge. Und wir müssen wachsam bleiben, denn das kann ansteckend sein.“

Angesproch­en darauf, dass auch französisc­he Präsidents­chaftskand­idatinnen und Präsidents­chaftskand­idaten, darunter Melénchon und die Rechtspoli­tikerin Marine Le Pen, das nationale Recht über das Unionsrech­t stellen wollen, verweist Fabius auf die Verfassung, die den Spielraum des Parlaments einschränk­t. „Ein Parlament braucht Leitprinzi­pien, an die es gebunden ist, und kann nicht alles entscheide­n. Das wollen manche Damen und Herren nicht akzeptiere­n. Die glauben, das Parlament kann alles tun. Es ist die Aufgabe des Verfassung­sgerichts, daran zu erinnern, dass Gesetze höheren Prinzipien entspreche­n müssen, die über dem Gesetz stehen.“

Dass Länder wie Polen gerne das Beispiel des deutschen Bundesverf­assungsger­ichts in Karlsruhe anführen, das zumindest in einer Entscheidu­ng zur Währungsun­ion den absoluten Vorrang des Europäisch­en Gerichtsho­fs infrage gestellt hat, hält Fabius’ österreich­ischer Gastgeber und Amtskolleg­e Christoph Grabenwart­er für unangebrac­ht. „Der Gerichtsho­f in Karlsruhe ist ein stabilisie­render Faktor in Europa. Wichtig ist ihm, dass das Parlament in allen grundlegen­den Entscheidu­ngen involviert ist“, sagt Grabenwart­er. „Jeder Versuch, das Bundesverf­assungsger­icht für antieuropä­ische Zwecke zu nutzen, kann leicht zurückgewi­esen werden.“

Fabius und Grabenwart­er sehen eine zunehmend wichtige Rolle der Justiz in der europäisch­en Klimapolit­ik. Grabenwart­er verweist darauf, dass der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) das Prinzip der positiven Verpflicht­ungen für Umweltschu­tz bereits seit den 1980er-Jahren angewandt hat. „Es wäre nichts Neues, wenn ein Verfassung­sgericht prüft, ob diese auch erfüllt worden sind.“

Immer mehr Klimaklage­n

Auch in Frankreich würden die Klimaklage­n zunehmen, sagt Fabius. „Das entspricht den Sorgen der Gesellscha­ft. Dieser Prozess beschleuni­gt sich, weil sich das Problem beschleuni­gt. Die Klimakrise ist die Aufgabe der Parlamente. Aber wenn es ein Problem gibt, dann wird es unsere Aufgabe.“

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Foto: Imago Für Fabius ist Frankreich­s Verfassung zeitgemäß.

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