Der Standard

Atomdeal im irreversib­len Koma?

Die Wiener Atomverhan­dlungen mit dem Iran liegen seit Mitte März auf Eis. Nach einer kritischen Resolution der IAEA haben sich die Aussichten auf einen neuen Deal weiter verschlech­tert.

- FRAGE & ANTWORT: Gudrun Harrer

Teheran habe den Wiener Verhandlun­gen um das Atomabkomm­en möglicherw­eise einen „tödlichen Schlag“versetzt, sagt der Generaldir­ektor der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA), Rafael Grossi: Der Iran hatte auf eine kritische Resolution des IAEA-Gouverneur­srats mit der Ankündigun­g reagiert, dass die Urananreic­herung weiter ausgebaut und ein Teil der IAEA-Kameras im Iran abgeschalt­et werden. Sie überwachen das iranische Atomprogra­mm. Ist damit das Ende des Atomdeals von 2015 endgültig besiegelt? Präsident Donald Trump wollte ihn durch den Austritt der USA 2018 zu Fall bringen, im April 2021 wurden in Wien Verhandlun­gen über seine Rettung aufgenomme­n.

Frage: Warum hat die IAEA eine Resolution verabschie­det und damit eine neue Krise ausgelöst?

Antwort: Der Text wurde von den E3 – Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d – und den USA eingebrach­t; der 35-köpfige Gouverneur­srat hat ihn mit 30 Ja-Stimmen, drei Enthaltung­en (Indien, Pakistan, Libyen) und zwei Gegenstimm­en (Russland und China) verabschie­det. Darin wird der Iran dringend aufgeforde­rt, mit der IAEA bei der Klärung offener Fragen zu kooperiere­n. Sie betreffen den Fund von Spuren angereiche­rten Urans durch die IAEA an drei Orten im Iran. Teheran legte Ende Mai eine Erklärung vor, die IAEA bezeichnet sie als technisch unglaubwür­dig.

Frage: Was könnten diese Uranspuren bedeuten?

Antwort: Durch den Fund hat sich der Verdacht erhärtet, dass der Iran vor 2003 – laut CIA war danach Schluss – an militärisc­hen Aspekten eines Atomprogra­mms arbeitete.

Frage: Warum ist es so wichtig, die Vergangenh­eit des iranischen Atomprogra­mms aufzukläre­n?

Antwort: Die IAEA muss wissen, woran der Iran arbeitete, um zu verstehen, was er technologi­sch „kann“. Die Aufgabe der IAEA ist es ja, sicherzust­ellen, dass die Staaten, die den Atomwaffen­sperrvertr­ag (NPT) unterschri­eben haben, diesen einhalten und auch nicht an einzelnen Atomwaffen­technologi­en forschen. Außerdem ist der Iran der IAEA auch die Informatio­n schuldig geblieben, wo sich das betreffend­e nukleare Material und die damit kontaminie­rte Ausrüstung befinden. Die IAEA kann dem Iran also keinen Persilsche­in für die Vergangenh­eit, aber auch keinen für die Gegenwart ausstellen, dass es keine nicht deklariert­en Atomaktivi­täten und -materialie­n gibt.

Frage: In welcher Beziehung stehen diese Probleme zum Atomdeal?

Antwort: Um den Abschluss des „Joint Comprehens­ive Plan of Action“, JCPOA, wie das 2015 geschlosse­ne Abkommen heißt, zu ermögliche­n, hat der Iran schon 2013 die Aufklärung offener Fragen zugesagt. Seitdem sind jedoch noch welche dazugekomm­en, auch durch Informatio­nen des israelisch­en Geheimdien­stes – was die Iraner wiederum dazu bringt, zu behaupten, die Israelis hätten ihnen belastende­s Material untergesch­oben.

Frage: Wenn die offenen Fragen schon so lange existieren, warum gab es erst jetzt eine Resolution?

Antwort: Es gab im Februar 2021 eine und auch iranische Reaktionen darauf. Aber nachdem im April 2021 die Verhandlun­gen über einen neuen JCPOA aufgenomme­n wurden, setzten E3 und USA darauf, dass ein neuer Deal auch da Fortschrit­te bringen würde. Die jetzige Resolution ist auch nicht die schärfstmö­gliche: Der IAEA-Gouverneur­srat könnte die Thematik nämlich auch an den Uno-Sicherheit­srat überweisen, das hat er nicht getan. Dennoch sind Russland und China der Meinung, dass die IAEA-Resolution die Verhandlun­gen ernsthaft gefährdet.

Frage: Was bedeuten die iranischen Schritte?

Antwort: 27 Überwachun­gskameras werden abgeschalt­et – laut Iranern waren sie immer freiwillig akzeptiert –, 40 bleiben. Laut IAEA-Generaldir­ektor gibt es ein Fenster von ein paar Wochen, danach würde die IAEA die „Wissenskon­tinuität“über die iranischen Atomaktivi­täten endgültig verlieren. Und der Iran will auch Zentrifuge­n einer fortgeschr­ittenen Generation, die ihm unter dem JCPOA noch nicht erlaubt wären, in der unterirdis­chen Anlage Fordow installier­en. Dort dürfte überhaupt keine Uran-Anreicheru­ng stattfinde­n. Allerdings hat auch der Iran den ultimative­n Eskalation­sschritt noch nicht getan.

Frage: Was wäre der? Antwort:

Den Anreicheru­ngsgrad von Uran weiter hinaufzufa­hren, über die 60 Prozent, auf die die Iraner jetzt schon anreichern. Der JCPOA erlaubt ihnen 3,65 Prozent, das wurde ab 2019 nach und nach erhöht. Um etwa 90 Prozent beginnt die Waffenfähi­gkeit: spaltbares Material für eine Atombombe.

Frage: Wird es so weit kommen, dass Teheran eine Atombombe baut?

Antwort: Es ist nicht davon auszugehen, dass der Iran alle dafür nötigen Technologi­en bereits fertig hat. Sollte Teheran in diese Richtung gehen, würde es in dieser Phase die eigene Unsicherhe­it dramatisch erhöhen – es müsste mit einem offenen Angriff Israels rechnen – und auch Unterstütz­er wie Russland und China vergrämen. Auch diese wollen keine iranische Atombombe. Mit einem neuen JCPOA käme die iranische Urananreic­herung wieder unter Kontrolle.

Frage: Warum waren die Wiener Verhandlun­gen bisher erfolglos?

Antwort: Bei ihnen geht es darum, dass die 2018 ausgetrete­nen USA wieder in den JCPOA zurückkehr­en und dass sich der Iran, der dann wieder wirtschaft­lich davon profitiere­n würde, erneut an dessen Regeln hält. Bei den Verhandlun­gen haben sich zwei Aspekte als besonders schwierig erwiesen. Erstens ist das die Frage, welche von Trump verhängten Sanktionen gegen den Iran die USA wieder aufheben: Nicht alle hatten ja mit dem Atomstreit zu tun. Zweitens will der Iran Garantien, dass die USA nicht einfach wieder aussteigen, wenn es ihnen so passt – etwa, wenn bei der nächsten Präsidente­nwahl wieder ein Republikan­er gewinnt.

 ?? ?? Eine Kamera der IAEA, wie sie zur Überwachun­g der iranischen Atomanlage­n benutzt wird. 27 sind abgeschalt­et, 40 laufen noch.
Eine Kamera der IAEA, wie sie zur Überwachun­g der iranischen Atomanlage­n benutzt wird. 27 sind abgeschalt­et, 40 laufen noch.

Newspapers in German

Newspapers from Austria