Vier Szenarien für die ÖVP nach der Rechnungshofkritik
Die Rechnungshofpräsidentin erwartet sich Kooperation der ÖVP – wie wird die Partei aber generell mit dem Skandal umgehen?
Die ÖVP hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und das bei niemand Geringerem als dem Rechnungshof (RH). Dieser hatte am Freitag die ÖVP-Bilanz für das Wahljahr 2019 veröffentlicht und mehrere Verstöße gegen das Parteiengesetz angezeigt. Erstmals wird nun ein Wirtschaftsprüfer beauftragt, sich diese Zahlen in der Parteizentrale genauer anzuschauen.
Und das möglichst schnell, wenn es nach Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker geht. Wie sie am Samstag im Ö1-Journal zu Gast mitteilte, wünscht sie sich 2022 ein Ergebnis, dafür sei allerdings die „Kooperation der ÖVP notwendig“.
Bei der Wirtschaftsprüfung will es Kraker aber nicht belassen: Auch die Corona-Hilfen aus dem Non-Profit-Topf an Vereine des ÖVP-Seniorenbunds werden den Rechnungshof beschäftigen. Weil es sich hier um öffentliche Förderungen handelt, kann er die Überprüfung selber durchführen. „Das wird uns interessieren“, ließ Kraker wissen.
Wie aber wird die ÖVP mit dem neuerlichen Skandal umgehen? Als Sünden der vergangenen Parteiführung kann das Kanzler Karl Nehammer jedenfalls nicht kleinreden: Er war damals ÖVP-Generalsekretär und hat den Rechenschaftsbericht unterschrieben. Noch gibt sich die ÖVP gelassen, man nehme die Prüfung „zur Kenntnis“, die Verstöße würden sich als „haltlos“herausstellen. Ein Überblick, welche Reaktionen darauf noch folgen könnten.
Szenario 1: Durchtauchen
Die Volkspartei ist darin geübt: warten, bis der Sturm vorbeizieht. Solange die Basis mitspielt, kann das gutgehen. Fragen zum Thema wird ausgewichen, offensiv hochgespielt wird die Geschichte sowieso nicht. Unterstützt wird die Strategie von Ablenkungsmanövern: Asyl und Migration bieten sich als Themen an, um die mögliche Korruption von den Titelblättern der Zeitungen zu verdrängen.
Aufsehenerregende Gesetzesinitiativen würden aufs Tapet kommen (möglicherweise wäre das ein günstiger Moment, um das längst ausverhandelte Informationsfreiheitsgesetz zu beschließen). Auch Razzien im kriminellen Milieu können dafür hochgejazzt werden.
Szenario 2: Angriff
Auch diese Taktik kennt man schon, vor allem von Ex-Kanzler Sebastian Kurz: Er hatte die Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zunächst in einem Hintergrundgespräch angegriffen, als diese gegen ÖVP-Politiker zu ermitteln begann. Kurz ortete „rote Netzwerke“in der Justiz. Später wurden die Angriffe öffentlich. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) etwa lud zu einer Pressekonferenz ohne Neuigkeiten, dafür mit einer Wiederholung der Kritik an der WKStA.
Ähnliches wäre auch im aktuellen Fall denkbar: Die Volkspartei würde in diesem Szenario den Rechnungshof attackieren, ihm unlautere Methoden oder das Messen mit zweierlei Maß vorwerfen. Zu dieser Strategie würde auch die Betonung der Unschuldsvermutung gehören, schließlich entscheiden am Schluss Gerichte über Recht und Unrecht und nicht der RH – unabhängig davon, welche Fakten auf dem Tisch liegen und dass ja kein Gesetz darüber entscheidet, was politisch sauber ist und was nicht.
Szenario 3: Aufarbeitung
Eine schmerzhafte Vorstellung für die Volkspartei, aber angesichts der Anzahl und Schwere der Vorwürfe eine realistische Option: die komplette Aufarbeitung sämtlicher Skandale. Die Partei müsste schonungslos zur Aufklärung beitragen, Fehler transparent machen. Undenkbar allerdings, dass diese Möglichkeit ohne umfangreiche personelle Konsequenzen auskommt.
Weil der aktuelle Skandal auch tief in die Teilorganisationen der Partei reicht, würde das auch Bünde und Landesparteien betreffen. Allen voran könnte Nehammer seinen Job nicht behalten. Die notwendigen Personalrochaden sind es allerdings auch, die dieses Szenario so unwahrscheinlich machen.
Szenario 4: Auflösung
Wenn maßgebliche Persönlichkeiten in der Partei zum Schluss kommen, dass die Marke ÖVP irreparabel beschädigt ist, könnte deren Schluss lauten: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Es wäre das Ende der Volkspartei als Organisation – aus dem entstehenden Chaos und der Lücke, die die ÖVP in der Parteienlandschaft hinterlässt, könnten sich eine oder mehrere neue Parteien entwickeln, ohne Skandale, ohne Altlasten.
Was klingt wie eine linke Fantasie, ventiliert ausgerechnet der VPnahe Berater Wolfgang Rosam: Wenn es mit der Partei so weitergehe, drohe ihr das Schicksal der Democrazia Cristiana. Die konservative italienische Partei hatte sich 1994 nach etlichen Korruptionsskandalen aufgelöst. „Sehe in meiner langen Karriere rabenschwarz für die Schwarzen“, schreibt Rosam auf Twitter.
Der Rechnungshof hat der ÖVP ein verheerendes Zeugnis ausgestellt: Den Rechenschaftsbericht über die türkisen Parteifinanzen, insbesondere die behaupteten Kosten für den Nationalratswahlkampf 2019, halten die Prüforgane für so unglaubwürdig und zweifelhaft, dass sie erstmals eine Wirtschaftsprüferin oder einen Wirtschaftsprüfer in die Parteizentrale der Volkspartei schicken, um dort die Zahlen persönlich nachkontrollieren zu lassen.
Dass der Rechnungshof nicht selbst in die Bücher der Parteien schauen darf, ist ein Systemfehler, der im Parteiengesetz schleunigst repariert werden muss. Bis dahin kann die Bevölkerung zumindest auf die oberste Kontrollinstanz der Republik vertrauen und froh sein, wie verlässlich sie sich um die öffentlichen Finanzen kümmert und die Interessen der Steuerzahlenden vertritt. Nach außen verkörpert durch Präsidentin Margit Kraker, innen repräsentiert durch rund 300 Expertinnen und Experten, agiert diese Säule des Rechtsstaats unumstritten unabhängig, unparteiisch und objektiv. Als Beweis dafür mag auch gelten, dass der Rechnungshof so gut wie nie in das parteipolitische Alltagshickhack hineingezogen wird.
All das spricht für hohen Respekt für diese Institution, deren Arbeit wichtiger ist denn je, zumal in Zeiten galoppierender Vertrauenserosion, die nicht nur die politischen Parteien trifft, sondern das demokratische System an sich gefährdet.