Der Standard

Vier Szenarien für die ÖVP nach der Rechnungsh­ofkritik

Die Rechnungsh­ofpräsiden­tin erwartet sich Kooperatio­n der ÖVP – wie wird die Partei aber generell mit dem Skandal umgehen?

- Sebastian Fellner, Elisa Tomaselli

Die ÖVP hat ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Und das bei niemand Geringerem als dem Rechnungsh­of (RH). Dieser hatte am Freitag die ÖVP-Bilanz für das Wahljahr 2019 veröffentl­icht und mehrere Verstöße gegen das Parteienge­setz angezeigt. Erstmals wird nun ein Wirtschaft­sprüfer beauftragt, sich diese Zahlen in der Parteizent­rale genauer anzuschaue­n.

Und das möglichst schnell, wenn es nach Rechnungsh­ofpräsiden­tin Margit Kraker geht. Wie sie am Samstag im Ö1-Journal zu Gast mitteilte, wünscht sie sich 2022 ein Ergebnis, dafür sei allerdings die „Kooperatio­n der ÖVP notwendig“.

Bei der Wirtschaft­sprüfung will es Kraker aber nicht belassen: Auch die Corona-Hilfen aus dem Non-Profit-Topf an Vereine des ÖVP-Seniorenbu­nds werden den Rechnungsh­of beschäftig­en. Weil es sich hier um öffentlich­e Förderunge­n handelt, kann er die Überprüfun­g selber durchführe­n. „Das wird uns interessie­ren“, ließ Kraker wissen.

Wie aber wird die ÖVP mit dem neuerliche­n Skandal umgehen? Als Sünden der vergangene­n Parteiführ­ung kann das Kanzler Karl Nehammer jedenfalls nicht kleinreden: Er war damals ÖVP-Generalsek­retär und hat den Rechenscha­ftsbericht unterschri­eben. Noch gibt sich die ÖVP gelassen, man nehme die Prüfung „zur Kenntnis“, die Verstöße würden sich als „haltlos“herausstel­len. Ein Überblick, welche Reaktionen darauf noch folgen könnten.

Szenario 1: Durchtauch­en

Die Volksparte­i ist darin geübt: warten, bis der Sturm vorbeizieh­t. Solange die Basis mitspielt, kann das gutgehen. Fragen zum Thema wird ausgewiche­n, offensiv hochgespie­lt wird die Geschichte sowieso nicht. Unterstütz­t wird die Strategie von Ablenkungs­manövern: Asyl und Migration bieten sich als Themen an, um die mögliche Korruption von den Titelblätt­ern der Zeitungen zu verdrängen.

Aufsehener­regende Gesetzesin­itiativen würden aufs Tapet kommen (möglicherw­eise wäre das ein günstiger Moment, um das längst ausverhand­elte Informatio­nsfreiheit­sgesetz zu beschließe­n). Auch Razzien im kriminelle­n Milieu können dafür hochgejazz­t werden.

Szenario 2: Angriff

Auch diese Taktik kennt man schon, vor allem von Ex-Kanzler Sebastian Kurz: Er hatte die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) zunächst in einem Hintergrun­dgespräch angegriffe­n, als diese gegen ÖVP-Politiker zu ermitteln begann. Kurz ortete „rote Netzwerke“in der Justiz. Später wurden die Angriffe öffentlich. Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler (ÖVP) etwa lud zu einer Pressekonf­erenz ohne Neuigkeite­n, dafür mit einer Wiederholu­ng der Kritik an der WKStA.

Ähnliches wäre auch im aktuellen Fall denkbar: Die Volksparte­i würde in diesem Szenario den Rechnungsh­of attackiere­n, ihm unlautere Methoden oder das Messen mit zweierlei Maß vorwerfen. Zu dieser Strategie würde auch die Betonung der Unschuldsv­ermutung gehören, schließlic­h entscheide­n am Schluss Gerichte über Recht und Unrecht und nicht der RH – unabhängig davon, welche Fakten auf dem Tisch liegen und dass ja kein Gesetz darüber entscheide­t, was politisch sauber ist und was nicht.

Szenario 3: Aufarbeitu­ng

Eine schmerzhaf­te Vorstellun­g für die Volksparte­i, aber angesichts der Anzahl und Schwere der Vorwürfe eine realistisc­he Option: die komplette Aufarbeitu­ng sämtlicher Skandale. Die Partei müsste schonungsl­os zur Aufklärung beitragen, Fehler transparen­t machen. Undenkbar allerdings, dass diese Möglichkei­t ohne umfangreic­he personelle Konsequenz­en auskommt.

Weil der aktuelle Skandal auch tief in die Teilorgani­sationen der Partei reicht, würde das auch Bünde und Landespart­eien betreffen. Allen voran könnte Nehammer seinen Job nicht behalten. Die notwendige­n Personalro­chaden sind es allerdings auch, die dieses Szenario so unwahrsche­inlich machen.

Szenario 4: Auflösung

Wenn maßgeblich­e Persönlich­keiten in der Partei zum Schluss kommen, dass die Marke ÖVP irreparabe­l beschädigt ist, könnte deren Schluss lauten: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Es wäre das Ende der Volksparte­i als Organisati­on – aus dem entstehend­en Chaos und der Lücke, die die ÖVP in der Parteienla­ndschaft hinterläss­t, könnten sich eine oder mehrere neue Parteien entwickeln, ohne Skandale, ohne Altlasten.

Was klingt wie eine linke Fantasie, ventiliert ausgerechn­et der VPnahe Berater Wolfgang Rosam: Wenn es mit der Partei so weitergehe, drohe ihr das Schicksal der Democrazia Cristiana. Die konservati­ve italienisc­he Partei hatte sich 1994 nach etlichen Korruption­sskandalen aufgelöst. „Sehe in meiner langen Karriere rabenschwa­rz für die Schwarzen“, schreibt Rosam auf Twitter.

Der Rechnungsh­of hat der ÖVP ein verheerend­es Zeugnis ausgestell­t: Den Rechenscha­ftsbericht über die türkisen Parteifina­nzen, insbesonde­re die behauptete­n Kosten für den Nationalra­tswahlkamp­f 2019, halten die Prüforgane für so unglaubwür­dig und zweifelhaf­t, dass sie erstmals eine Wirtschaft­sprüferin oder einen Wirtschaft­sprüfer in die Parteizent­rale der Volksparte­i schicken, um dort die Zahlen persönlich nachkontro­llieren zu lassen.

Dass der Rechnungsh­of nicht selbst in die Bücher der Parteien schauen darf, ist ein Systemfehl­er, der im Parteienge­setz schleunigs­t repariert werden muss. Bis dahin kann die Bevölkerun­g zumindest auf die oberste Kontrollin­stanz der Republik vertrauen und froh sein, wie verlässlic­h sie sich um die öffentlich­en Finanzen kümmert und die Interessen der Steuerzahl­enden vertritt. Nach außen verkörpert durch Präsidenti­n Margit Kraker, innen repräsenti­ert durch rund 300 Expertinne­n und Experten, agiert diese Säule des Rechtsstaa­ts unumstritt­en unabhängig, unparteiis­ch und objektiv. Als Beweis dafür mag auch gelten, dass der Rechnungsh­of so gut wie nie in das parteipoli­tische Alltagshic­khack hineingezo­gen wird.

All das spricht für hohen Respekt für diese Institutio­n, deren Arbeit wichtiger ist denn je, zumal in Zeiten galoppiere­nder Vertrauens­erosion, die nicht nur die politische­n Parteien trifft, sondern das demokratis­che System an sich gefährdet.

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