Tiroler Grüne wählten neue Führung
Klubobmann Gebi Mair soll die Partei in die Landtagswahl 2023 und eine Neuauflage der Koalition mit der Volkspartei Günther Platters führen. Dafür will er bei Wasserkraft von alten Positionen abrücken.
Gebhard „Gebi“Mair wird die Tiroler Grünen als Spitzenkandidat in die Landtagswahl 2023 führen. Zusammen mit der stellvertretenden Landessprecherin Petra Wohlfahrtstätter setzte sich der amtierende Klubobmann im parteiinternen Duell gegen Soziallandesrätin Gabriele Fischer, die zusammen mit dem Landtagsabgeordneten Georg Kaltschmid angetreten war, mit 56 Prozent oder 159 von 284 gültigen Stimmen durch. Wahlberechtigt waren bei dem Online-Voting alle 382 Tiroler Parteimitglieder, etwa drei Viertel – oder genau: 285 – machten davon Gebrauch.
Interview beim Klettern
Zur Feier seines samstäglichen Wahlsiegs unternahm der 38-Jährige am Sonntag eine Klettertour auf den Kopfthörlgrat im Wilden Kaiser. Aus der Wand gab der Bergretter und Alpinist dem STANDARD telefonisch ein Interview. Seine vorrangige Aufgabe sehe er darin, bis zur Wahl das Profil der Partei zu schärfen. „Umwelt und Energie, Transparenz und Gesundheit sind die Themen, auf die wir setzen werden“, erklärte Mair.
Und er kündigte an, etwa beim Thema Wasserkraft eine neue Linie zu verfolgen: „Wenn wir die Mobilität auf Elektro umstellen wollen, brauchen wir viel Strom.“Daher will Mair den Ausbau erneuerbarer Energiequellen forcieren. Das gilt sowohl für Wind- als auch für Wasserkraft. Er sehe Potenzial für Windräder in Tirol, sagte Mair. Und: „Ja, es wird dafür auch neue, große Wasserkraftwerke in Tirol brauchen.“
Bei den meisten Grünen habe seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ein Umdenken eingesetzt, ist Mair überzeugt: „Die Zustimmung zu Wasserkraft ist größer geworden.“Weltoffener als von außen oft angenommen sei auch die Tiroler Volkspartei, mit der die Grünen seit 2013 in einer Koalitionsregierung sind. Dass er als offen schwuler Mann an der Seite von VP-Landeshauptmann Günther Platter Nummer zwei im Land werden könnte, hält Mair daher für absolut realistisch: „Günther Platter und die ÖVP haben neun Jahre lang mit mir koaliert. Ich bin sicher kantiger, aber sie wissen, woran sie bei mir sind.“
Erklärtes grünes Ziel für die Landtagswahl 2023 ist neben ZugeStabilität winnen die dritte Auflage der Koalition mit der VP. „Die Stimmungslage spielt uns in die Hände“, gibt sich Mair siegessicher. Er verweist auf die nicht enden wollenden Skandale, die der ÖVP zusetzen und von denen er sich Aufwind für die Grünen verspricht.
In Richtung des bisherigen Koalitionspartners sandte er aber noch am Samstag, direkt nach seiner Kür, versöhnliche Signale. Es sei „Zeit für und Verlässlichkeit“, sagte er in seiner Siegesrede. Genau dies hatte Landeshauptmann Platter mehrfach eingefordert, nachdem seine Stellvertreterin Felipe ihren Rückzug bekanntgegeben hatte.
Von Mairs politischem Pendant, dem VP-Klubobmann Jakob Wolf, kamen lobende Worte zum Wahlsieg. Die Grünen hätten sich mit Mair „für Erfahrung entschieden“. Den Gelobten freut es, derlei vonseiten der VP zu hören. Doch wichtiger, als den potenziellen Koalitionspartner zu überzeugen, sei es nun, die Wählerinnen und Wähler für die Grünen zu begeistern.
Damit dies gelingt, muss interner Zwist tunlichst vermieden werden. Doch die im Parteiduell unterlegene Fischer erbat sich noch Bedenkzeit, ob und wie sie weitermachen wird. Mairs ursprüngliches Angebot, mit ihm gemeinsam als Duo an der Spitze zu stehen, habe sie abgelehnt. „Verlieren gehört in der Politik dazu, ich habe das oft genug erfahren müssen“, weiß Mair, dem ein Landesratposten in zwei Legislaturperioden verwehrt blieb. Nun sei er an der Reihe, ist er überzeugt.
Mit nur 38 Jahren ist Gebhard Mair einer der erfahrensten Politiker der Tiroler Grünen. Er soll die Partei in die Landtagswahl 2023 führen, hat die grüne Basis am Wochenende entschieden. Für Mair ist es die lang erwartete Führungsrolle, die er als „offen schwuler Mann“gerne einnimmt, wie er sagt.
Erste politische Sporen verdiente sich „Gebi“, der gebürtige Stubaier aus Fulpmes, 2006 im Innsbrucker Gemeinderat. Zwei Jahre später wechselte er in den Landtag, wo er seit 2013 – als die Grünen erstmals mit der Volkspartei unter Günther Platter koalierten – als Klubobmann fungiert.
Der ersehnte Posten als Landesrat blieb ihm bisher verwehrt. Mair hatte sich in der Oppositionszeit der Grünen als kritischer Geist und Skandalaufdecker hervorgetan. Eigenschaften, die beim schwarzen Partner wenig geschätzt werden. Als Klubobmann reifte er mittlerweile zum Strategen heran, der sich aber mitunter den Vorwurf gefallen lassen musste, handzahm und unkritisch geworden zu sein.
Als erfahrener Alpinist weiß der Einsatzleiter der Innsbrucker Bergrettung, worauf es ankommt, um Seilschaften sicher durch unwegsames Terrain zu leiten. Seine Partei will er 2023 in die dritte Auflage der Koalition mit der ÖVP führen. Dazu muss er erst die grüne Basis und danach die schwarzen Granden überzeugen.
Seine Vielseitigkeit könnte ihm dabei nutzen. Als naturverbundener, politisch linker Intellektueller, der in einer langjährigen Beziehung mit seinem Lebensgefährten und Kletterpartner lebt, spricht der studierte Politologe die Grünen-Wähler an. Als gestandener Alpinist, der Mont Blanc und Eiger erklettert hat, kann der Tiroler Lackl aus einfachen Verhältnissen – Vater Schmied, Mutter Hausfrau – aber auch am klassischen Stammtisch auf Augenhöhe mitdiskutieren. Mair liebt derlei Konfrontationen sogar.
Privat ist er dennoch ein ruhiger Typ, er selbst bezeichnet sich als schüchtern. Seit dem tragischen Tod seiner einzigen Schwester Marianne, die 2019 bei einem Brand ums Leben kam, wurde er zur wichtigen Bezugsperson für seine vier Neffen und Nichten. Mair selbst verunglückte 2021 schwer in seinen geliebten Bergen. Beim Klettern in den Kalkkögeln brach ein Fels aus und zertrümmerte ihm mehrere Knochen.
Rückschläge wegzustecken, hat der neue Mann an der Spitze der Tiroler Grünen auf die harte Tour lernen müssen. Doch der Wille zum Gipfelsieg war immer stärker. Das will er nun auch politisch unter Beweis stellen. Steffen Arora