Der Standard

Wenn der Tod die Feier stört

Monteverdi­s „L’Orfeo“an der Wiener Staatsoper: Regisseur Tom Morris inszeniert einen bunten Partyabend, dessen anfänglich­e Munterkeit in Statik und Konvention mündet.

- Ljubiša Tošić

Wir freuen uns auf euch“, schallt es durch die Staatsoper. „Nur noch zehn Minuten bis zum Beginn der Feierlichk­eiten!“, verspricht eine euphorisie­rte Stimme, während die Figuren von Claudio Monteverdi­s L’Orfeo durch den Zuschauerr­aum stolzieren. How lovely! Mit Unterweltk­önigin Proserpina smalltalkt man vielleicht darüber, wie sie ihren Gemahl Plutone später bitten wird, Euridice an Orfeo zurückzuge­ben. Mancher gönnt sich auch ein Selfie mit Fährmann Caronte (Wolfgang Bankl), der Tote in jene Sphäre bringt, von der aus es keine Rückkehr gibt. Nice to meet you!

Es herrscht also schon vorab ausgelasse­ne Stimmung in der ganzen Staatsoper, deren Zuschauerr­aum sich – live gefilmt – im Bühnenbild spiegelt. Ist okay. Wenn es schon keinen Opernball gab, feiern zumindest Orfeo und Euridice im Haus am Ring ihre Liebesverb­indung, an der auch der Dirigent teilnimmt. Was für ein Auftritt! Pablo Heras-Casado wandert – vom Trommelkla­ng geleitet – durch die Zuschauerr­eihen zum Arbeitspla­tz.

Regisseur Tom Morris hat sich das alles lebendig und nett ausgedacht; auch die Partygesel­lschaft ist in ihrer märchenhaf­t-surrealen Farbpracht eine schrille Augenweide (Bühne und Kostüme: Anna Fleischle). Man trägt Wollknäuel­skulpturen auf dem Kopf, man ist behörnt, als wäre man Menschenti­er. Man sieht einen Mix aus Shakespear­es Sommernach­tstraum, der sich am Fluch der Karibik orientiert, Satyrspiel und Bacchanal, bis mitten im Fest Orfeo einen Schwächean­fall erleidet und die tanzende Euridice tot umfällt. Party zu Ende. Der Rest der Oper gilt, wie seit Jahrhunder­ten bekannt, Orfeos melancholi­sch wütender Trauerarbe­it.

Wiederkehr­ender Schmerz

Da nützt Morris die Chance zum optischen Effekt: Wie es in die Welt der Toten hinabgeht, hebt sich zu wildem Lärm die festliche Tanzplattf­orm. Der Blick wird frei auf eine Art „Untererde“mit wildem Wurzelwerk, um das herum Orfeo nicht nur Proserpina, Plutone (Andreas Mastroni) und dem Fährmann mit dem Segelschif­f auf dem Kopf begegnet. Vielmehr ist die ganze Feiergesel­lschaft wieder zugegen, nun allerdings düster wirkend und leidend. Morris inszeniert mit ihr Szenen ständig wiederkehr­enden Schmerzes, wieder und wieder werden Wunden zugefügt. Es ist ein Karussell des vertanzten Grauens.

Langsam, aber sicher schleicht sich danach das Gefühl ein, die Regie würde sich damit begnügen, konvention­ell zu erzählen und Statik originell zu dekorieren. Und wenn schließlic­h Orfeo zum Schluss hin in den Himmel aufsteigt, ist zur Gewissheit geworden, dass von den munteren Anfangsmom­enten leider nur wenig in szenische Substanz verwandelt wurde. Da stand etwa der impulsive Georg Nigl doch sehr oft leicht verloren an der Rampe. Wenn man bedenkt, über welch schauspiel­erische Möglichkei­ten er an sich verfügt, wirkte er als Orfeo szenisch nicht ausgelaste­t.

Vokal findet Nigl im Elegischen immer wieder zu klaren sanften Linien. In der Höhe klingt es allerdings – bei hoher Intensität – oft nach Mühe. Slávka Zámečníkov­á (als Euridice) ist dagegen mit Leichtigke­it und delikater Linienführ­ung unterwegs in das Totenreich, wo sie noch inniger zu lyrischer Intimität findet. Bis zur Pause schienen seltsamerw­eise alle mit vokalen Problemen zu kämpfen; ab dem vierten Akt wurde es besser.

So konnte Christina Bock (als Botin und Proserpina) ihren kostbaren Klang doch noch entfalten. Und auch Kate Lindseys Stimme (als Musik, Hoffnung und Echo) rundete sich und fand intonation­ssicher zur gewohnten Ausstrahlu­ng, die gut in den edlen Sound des Concentus Musicus eingebette­t schien.

Nur Begeisteru­ng

Der traditions­reiche Concentus, der von Nikolaus Harnoncour­t gegründet wurde und einst mit seinem Züricher Monteverdi-Zyklus Rezeptions­geschichte schrieb, bot mit Dirigent Pablo Heras-Casado historisch Informiert­es zwischen Klangfülle und pointierte­n Interventi­onen. Davon profitiert­e das etwas unausgewog­en klingende Ensemble ebenso wie der respektabl­e Hiroshi Amako als Apollo, der versuchte, Orfeo zur Himmelfahr­t zu überreden.

Nach den teils heftigen Buhrufen bei Calixto Bieitos Tristan und Isolde-Premiere im April nun eindeutig Begeisteru­ng – für einen szenisch soliden Abend. 13., 16. und 18. Juni

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Foto: Pöhn Zumindest an der Staatsoper geht es für Euridice (Slávka Zámečníkov­á) und Orfeo (Georg Nigl) Richtung Himmel.

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