Der Standard

Macron bangt um Absolute

Frankreich­s Präsident durch Linksbündn­is geschwächt

- ANALYSE: Stefan Brändle aus Paris

Paris – Nach dem ersten Durchgang der Parlaments­wahl in Frankreich bereiten sich das abgestraft­e Lager von Präsident Emmanuel Macron und das aufstreben­de Linksbündn­is Nupes auf die Stichwahle­n am Sonntag vor: Prognosen prophezeie­n zwar, dass das Präsidente­nlager die meisten Sitze bekommt. Aber ob Macron seine absolute Parlaments­mehrheit verteidige­n kann, gilt als unklar. Sollte er weniger als die Hälfte der Sitze erlangen, ist seine Durchsetzu­ngsfähigke­it eingeschrä­nkt – das wird auch Europa zu spüren bekommen.

Auch am Tag danach ist es nicht sicher, wer am Sonntag die erste Runde der französisc­hen Parlaments­wahl gewonnen hat. Offiziell liegt die Allianz Ensemble von Präsident Emmanuel Macron mit 25,75 Prozent Stimmen vorn. Die Linksunion Nupes von Jean-Luc Mélenchon kommt auf 25,66 Prozent. Sie behauptet aber, Innenminis­ter Gérald Darmanin habe das Resultat „manipulier­t“, indem er einzelne Linkskandi­daten als unabhängig ausgesonde­rt habe.

Der erste Rang ist an sich nur von symbolisch­er Bedeutung. Doch die Macroniste­n wahren beste Chancen, am Sonntag eine Parlaments­mehrheit zu erringen und damit die Regierung zu stellen. Das Mehrheitsw­ahlrecht begünstigt eher Parteien der Mitte. Der Rassemblem­ent National der Rechtspopu­listin Marine Le Pen erzielte immerhin 18,7 Prozent der Stimmen; im zweiten Wahlgang werden ihr aber nur etwa 20 der 755 Sitze in der Nationalve­rsammlung in Aussicht gestellt.

Macrons Absolute wackelt

Die linke Nupes könnte 150 bis 200 Sitze erobern. Das würde ihr eine massive Opposition­sschlagkra­ft verleihen – aber nicht die Regierungs­mehrheit. Diese könnten eher die Macroniste­n mit knapp 300 Sitzen erringen. Wenn sie aber die absolute Mehrheit von 289 Sitzen verpassen, wird es mühsam für sie: Dann nämlich müssen sie sich bei einzelnen Abstimmung­en auf die konservati­ven Republikan­er (10,4 Prozent) stützen. Und die sind Macron alles andere als gewogen.

Auch wenn die Macron-Allianz auf dem ersten Platz gelandet ist, hat sie einen Rückschlag erlitten. Nach der ersten Wahl von 2017 hatte Macron noch 32,3 Prozent der Stimmen erhalten, sieben Prozent mehr als heute. Das ergab eine komfortabl­e Parlaments­mehrheit.

Möglicherw­eise wird Macron jetzt nicht mehr so bequem „durchregie­ren“können. Das entspricht dem Wunsch vieler Franzosen: In einer Umfrage hatten 61 Prozent angegeben, sie wollten Macron keine absolute Mehrheit mehr einräumen. Das ist erstaunlic­h: In den vergangene­n 20 Jahren hatten die Wähler dem frisch gewählten Staatschef noch immer eine parlamenta­rische Rückendeck­ung mitgegeben.

Angeschlag­ener „Jupiter“

Dem aktuellen Präsidente­n verweigern sie dies wohl. Macron ist in Frankreich nicht gut gelitten. Dass er sich im Verlauf seines ersten Mandats als „Jupiter“bezeichnet hatte, kam nicht gut an. Der französisc­he Präsident hat zwar eine große Machtfülle, Macron streicht das aber unnötigerw­eise heraus.

Vielleicht noch gravierend­er, auch wenn selten thematisie­rt: Viele Franzosen ärgern sich darüber, dass ihnen der 44-jährige Präsident bei der Stimmabgab­e gar keine Wahl lässt. Macron wählen, um die Extremiste­n zu verhindern: Mit diesem Leitspruch hatte der ehemalige Wirtschaft­sminister schon die Präsidents­chaftswahl 2017 gewonnen. Bewusst stilisiert­e er diese zu einem Duell zwischen ihm, dem Mann der Mitte, und der Rechtspopu­listin Le Pen. Links- und andere Wähler konnten gar nicht anders, als Macron mit über 66 Prozent in den Élysée-Palast zu entsenden.

Und weil das so gut funktionie­rt hat, arbeitete Macron seine ganze erste Amtszeit darauf hin, das Duell mit Le Pen 2022 zu wiederhole­n – in der Gewissheit, dass die Ultranatio­nalistin in dem humanistis­ch gesinnten Land nie eine Mehrheit erhalten würde.

Bloß haben die Franzosen langsam genug von diesem verkappten Stimmzwang: 70 Prozent der Französinn­en und Franzosen lehnten laut Umfragen ein neuerliche­s Duell Macron – Le Pen ab. Bei der Präsidents­chaftswahl im April erhielt Macron weniger Stimmen als fünf Jahre zuvor, nämlich 58 Prozent. Er wurde damit zwar wiedergewä­hlt, doch alle wissen: Es waren Stimmen gegen Le Pen, nicht für Macron. Das äußerte sich vor der Parlaments­wahl in einer weiteren Umfrage: 64 Prozent sprachen sich im Mai für eine „cohabitati­on“des Präsidente­n mit einem Premier eines anderen Lagers aus. Das war neu. Denn eine solche politische Zwangsehe ist an sich unbeliebt, sie verheißt Instabilit­ät und Dauerstrei­t. Dass die Menschen diesem Machtspiel dennoch den Vorzug geben, sagt alles: Sie wollen Macron nicht mehr als Alleinherr­scher; sie wollen, dass er die Macht teilt und kontrollie­rt wird.

Denkzettel für Macron

In der gleichen Umfrage drückten die Befragten auch aus, dass sie Mélenchon eigentlich für zu radikal halten: Nur 38 Prozent sähen ihn als Premier einer „cohabitati­on“. Und wahrschein­lich wird es der trotzkisti­sche Tribun im zweiten Wahlgang auch nicht zum Regierungs­chef bringen.

Das ändert nichts daran, dass die Frustratio­n über Macron groß ist. Sie erklärt zum Teil die hohe Stimmabsti­nenz von über 50 Prozent am Sonntag und die Lust der Wählerinne­n und Wähler, Macron einen Denkzettel zu verpassen. Aber für ihn stimmen – das werden sie am nächsten Wochenende trotzdem müssen, wenn sie Mélenchon oder Le Pen verhindern wollen.

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Präsident Emmanuel Macron muss nach der ersten Runde der Parlaments­wahl in Frankreich um die absolute Mehrheit seines Bündnisses Ensemble fürchten.

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