Der Standard

Kunst statt blinder Fenster und Auslagen

Das kleine zeitgenöss­ische Kunstfesti­val „Perspektiv­en“thematisie­rt den Leerstand in der oberösterr­eichischen Tourismusg­emeinde Attersee. Die Gemeindepo­litik unterstütz­t die Initiative.

- Thomas Neuhold Programmin­formatione­n perspektiv­en-attersee.at

Die Dimensione­n sind durchaus beachtlich: 1300 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche umfasst der neue, im November 2019 eröffnete Eurospar in Seewalchen am Attersee. Vor den automatisc­hen Glasschieb­etüren finden 135 Pkws einen Abstellpla­tz. Und die Erreichbar­keit mit dem Auto ist ebenfalls top. Der Supermarkt liegt direkt am A1-Autobahnan­schluss Seewalchen und der B 151, der Attersee-Bundesstra­ße. Ergänzt mit weiteren Geschäften wie beispielsw­eise einer Sportartik­elkette ist so quasi direkt im Autobahnkl­eeblatt Seewalchen ein neues kleines Einkaufsze­ntrum entstanden.

Eine Entwicklun­g, die schon seit Jahrzehnte­n andauere und letztlich zu einer Verödung der Dorfzentre­n führe, wie der Bürgermeis­ter der Gemeinde Attersee, Rudolf Hemetsberg­er (Grüne), im STANDARDGe­spräch mit Zahlen untermauer­t. Vor rund drei Jahrzehnte­n zählte man in der Gemeinde Attersee noch elf Gewerbebet­riebe – Kaufhaus und Fleischhau­er inklusive. Heute gebe es gerade noch drei Gewerbebet­riebe und drei Gastronomi­ebetriebe im Ortszentru­m, sagt Hemetsberg­er.

Der überpropor­tionale Anteil an Zweitwohns­itzen verschärft die Lage. Laut Hemetsberg­er gibt es mit Stand März dieses Jahres in Attersee 1824 Freizeitwo­hnsitze, aber nur 1643 Hauptwohns­itze. Das treibe die Immobilien­preise, „das ist völlig aus dem Ruder gelaufen“, sagt der 2021 ins Amt gewählte Bürgermeis­ter.

Wobei Attersee mit dem Problem des sterbenden Ortskernes nicht allein sei. Im benachbart­en St. Georgen finde man ebenfalls an der Peripherie und in Autobahnnä­he vom Supermarkt bis zur Apotheke alles in einem neuen Gewerbegeb­iet. „Da können sich die Pendler und Pendlerinn­en nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause universell versorgen.“

Und selbst das Zentrum der Bezirkshau­ptstadt Vöcklabruc­k veröde, weil die Straße Vöcklabruc­k–Gmunden eine einzige „Gewerbemei­le“geworden sei. Diese Entwicklun­g sei Ergebnis „einer vollkommen falschen Raumordnun­gspolitik“, erklärt Hemetsberg­er.

Kunst statt Leerstand

„Es sind die Einkaufsze­ntren, die alles ansaugen und zerstören“, meint auch Stephan Wiesinger. Der im Zivilberuf auf 3D-Animatione­n spezialisi­erte Wiesinger ist einer der vier Kuratoren des Kunstfesti­vals Perspektiv­en, das heuer über den gesamten Juli bereits das zwölfte Mal in Attersee über die Bühne geht. Aus kulturelle­r Sicht verstehe sich das Festival „als Portal für zeitgenöss­ische Kunst“, das Urlauber und Urlauberin­nen wie auch Einheimisc­he mit zeitgenöss­ischer Medienkuns­t konfrontie­re.

Das Logo, ein weißes „P“auf schwarzem Grund, wird im Rahmen des einmonatig­en Festivals in Form einer Fahne mitgeführt. Es erinnert mit voller Absicht an eine Piratenfah­ne, man wolle die bekannten „kulturelle­n Gepflogenh­eiten“kapern, sagt Festivalku­rator Wiesinger im STANDARD-Gespräch.

Neben dem für ein mit gerade einmal 20.000 Euro Budget arbeitende­n Festival sehr ambitionie­rten Programm – so wird beispielsw­eise eine Fotodokume­ntation von Stefan Oláh über das von Hans Hollein 1978 in Teheran umgebaute und eingericht­ete Museum für Glas und Keramik gezeigt – zeichnet die Perspektiv­en die kritische Auseinande­rsetzung mit dem Ort des Geschehens, also mit der Gemeinde Attersee und dem Salzkammer­gut, aus.

Wesentlich­e Teile der Ausstellun­gen, aber auch ein Modeatelie­r finden seit Beginn vor über einem Jahrzehnt in ehemaligen Geschäften oder auch in der ehemaligen Metzgerei von Attersee statt.

„Kunst statt Leerstand“könnte man das Motto nennen. Bürgermeis­ter Hemetsberg­er ist jedenfalls sehr angetan von dem Projekt: „Das ist der künstleris­che Ausdruck eines Problems“und trage zur Bewusstsei­nsbildung bei.

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Das ehemalige Kaufhaus Baresch – an der Hauptstraß­e in Attersee gelegen – wird zur Galerie im öffentlich­en Raum.

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