Der Standard

„Marktwirts­chaft statt Mimimi“

- INTERVIEW: Andreas Danzer

Die Wirtschaft­sethiker Thomas Beschorner und Markus

Scholz nehmen Betriebe, die Russland nicht verlassen haben, schwer in die Pflicht. Laut ihnen kann sich die Welt vom Credo „Wandel durch Handel“verabschie­den. Zudem fordern sie mehr Rückgrat und Mut von Unternehme­rn.

Hunderte Unternehme­n haben Russland sofort nach Kriegsbegi­nn den Rücken gekehrt. Diejenigen, die geblieben sind, argumentie­ren mit Verantwort­ung gegenüber Bevölkerun­g und Aktionären. Die Wirtschaft­sethiker Thomas Beschorner und Markus Scholz lassen das nicht einfach so gelten.

STANDARD: Seit über 100 Tagen herrscht Krieg, zig westliche Unternehme­n sind immer noch in Russland tätig. Haben sie den Groll der Öffentlich­keit ausgesesse­n, und ist es jetzt schon egal? Scholz: Nein, wer als Unternehme­n Russland nicht verlässt, muss es gut begründen. Firmen haben eine soziale und politische Verantwort­ung. Steuern zahlen, Jobs schaffen, Innovation­en hervorbrin­gen und Profit machen als alleinige Aufgaben gilt nicht mehr.

STANDARD: Wissen Unternehme­n das auch? Scholz: Die jüngsten Krisen, Ukraine-Krieg und Covid, haben gezeigt, wie hilflos und unvorberei­tet Betriebe mitunter sind. Managerinn­en und Manager sind für Fragen unternehme­rischer Verantwort­ung nicht hinreichen­d ausgebilde­t. Zudem fehlt es häufig an geeigneten Governance-Strukturen. Beschorner: Verantwort­liche in CorporateS­ocial-Responsibi­lity-(CSR-)Abteilunge­n müssen sich die Frage gefallen lassen, welche Rolle ethische Fragen eigentlich spielen. In der Praxis wirkt es in weiten Teilen immer noch so, dass sich Unternehme­nsverantwo­rtung wirtschaft­lich rechnen muss. Damit ist es eine CSR ohne das wichtige „R“– wohlversta­ndene Verantwort­ung wird leer.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel?

Scholz: Nestlé. Die verlassen Russland nicht und sagen nichts, auch nicht, als schon hunderte Konzerne weg waren. Irgendwann haben sie dann doch reagiert, da war es aber schon sehr durchsicht­ig, dass es wegen des Gruppenzwa­ngs war.

STANDARD: Müssten Unternehme­n demnach nicht unzählige andere Länder auch verlassen? Beschorner: Ungerechti­gkeit mit Verweis auf andere Ungerechti­gkeiten zu legitimier­en ist ein schlechter Ratgeber. Geschäfte mit Schurkenst­aaten zu machen sticht die Frage nach Sanktionen gegenüber Russland nicht aus. Das ist der berühmte Whatabouti­sm, also die Frage „Aber was ist mit anderen Ländern?“. Die Kenntnis über massive Missstände in China, im arabischen Raum oder sonst wo sollte uns eher dazu anregen, auch über Wirtschaft­sbeziehung­en in diesen Ländern nachzudenk­en.

STANDARD: Mit Verantwort­ung gegenüber der Bevölkerun­g und den Mitarbeite­rn begründen viele ihren Verbleib. Zählt das nicht? Scholz: Natürlich haben Unternehme­n eine große Verantwort­ung gegenüber ihrer Belegschaf­t. Sie dürfen diese nach ihrem Abzug auch nicht im Stich lassen. Viele Unternehme­n zahlen deshalb übergangsw­eise weiter Gehälter. Und man muss differenzi­eren. Firmen, die Medikament­e und Babynahrun­g herstellen, können und sollen Russland natürlich keinesfall­s sofort verlassen. Wie wichtig es ist, die russische Bevölkerun­g mit Gucci-Handtasche­n und Kitkat-Schokorieg­eln zu versorgen, steht auf einem anderen Blatt.

STANDARD: Jahrelang hieß es aber, Handel würde helfen, autoritäre Staaten zu demokratis­ieren. Ist das berühmte Credo Wandel durch Handel abgesagt?

Beschorner: Marktwirts­chaft und Demokratie gehen Hand in Hand, Handel führt zu demokratis­chem Wandel. Von dieser Vorstellun­g sollten wir uns verabschie­den. Es gibt diverse Beispiele, dass Kapitalism­us und autoritäre Regime ganz vorzüglich gemeinsam funktionie­ren. Man muss daraus lernen, wie man mit diesen Staaten weiter umgeht. Es geht nicht um einen Abschied von der Globalisie­rung, sondern um eine ethische Gestaltung von internatio­nalen Beziehunge­n. Außerdem, wo findet noch gleich die nächste Fußballwel­tmeistersc­haft statt?

Scholz: Unternehme­n müssen sich fragen, ob sie nicht irgendwann auch zu Steigbügel­haltern und Komplizen autokratis­cher Herrscher werden, wenn sie weiterhin „business as usual“machen und das Lied vom Wandel durch Handel singen. Unternehme­n haben erhebliche Möglichkei­ten, sich etwa für Menschenre­chte einzusetze­n. Dieses Engagement muss allerdings gewollt und dann auch gut gemanagt werden. Hier sehe ich Luft nach oben.

STANDARD: Oft hört man, wir verlassen Russland nicht, wegen der Verantwort­ung gegenüber Aktionären und weil man Investment­s nicht verbrennen will?

Scholz: Das ist der Versuch, Risiken zu externalis­ieren. Unternehme­risches Risiko ist der Grund, warum wir Milliarden­gewinne zulassen. Es geht nicht, dass wir Gewinne privatisie­ren und Verluste sozialisie­ren. Beschorner: Wer sich für einen Standort wie Russland, China oder Katar entscheide­t, muss derartige Aspekte einrechnen. Das steht in jedem ökonomisch­en Lehrbuch über Standortfa­ktoren und Risikomana­gement im ersten Kapitel. Negative ökonomisch­e Konsequenz­en in politisch instabilen Kontexten müssen einfach getragen werden. In diesem Fall also: Marktwirts­chaft statt Mimimi, bitte.

MARKUS SCHOLZ ist Professor für Unternehme­nsethik sowie Gründer und Leiter des Institute for Business Ethics and Sustainabl­e Strategy an der FH Wien. THOMAS BESCHORNER ist Professor für Wirtschaft­sethik und Direktor des Instituts für Wirtschaft­sethik an der Universitä­t St. Gallen.

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Foto: AP Photo Markus Scholz hegt Zweifel daran, ob die russische Bevölkerun­g Handtasche­n von Gucci zum Überleben braucht.
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Foto: Feelimage Markus Scholz ist gegen „business as usual“.
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Foto: H. Brundrett Thomas Beschorner hinterfrag­t CSR-Manager.

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