Der Standard

Digitale Blutdiaman­ten

Von einer strengen Regulierun­g der Kryptowähr­ungen scheinen wir dank Lobbygelde­s noch Jahrzehnte entfernt. Doch die Kryptokris­e wird früher als später kommen – und nicht nur ärmere Länder treffen.

- Kenneth Rogoff Übersetzun­g: Jan Doolan Copyright: Project Syndicate

Sind die steil fallenden Preise für Kryptowähr­ungen angesichts der von den Notenbanke­n eingeleite­ten Zinserhöhu­ngen der Anfang vom Ende der Blase? Womöglich noch nicht. Doch treiben höhere Opportunit­ätskosten des Geldes die Preise für Vermögensw­erte, deren hauptsächl­iche Verwendung in der Zukunft liegt, überpropor­tional stark nach unten. Die ultraniedr­igen Zinssätze begünstigt­en Kryptowähr­ungen, und junge Anlegerinn­en und Anleger erhalten nun einen Vorgeschma­ck darauf, was passiert, wenn die Zinsen nach oben gehen.

Was passiert, wenn die Regierunge­n endlich Ernst machen mit der Regulierun­g von Bitcoin und anderen Kryptowähr­ungen? Von den wichtigen Volkswirts­chaften hat bisher nur China angefangen, dies zu tun. Die meisten politische­n Entscheidu­ngsträger haben stattdesse­n versucht, das Thema auf digitales Notenbankg­eld zu verlagern. Aber das ist ein unlogische­r Gedankensp­rung. Obwohl digitales Notenbankg­eld voraussich­tlich Datenschut­zfunktione­n für kleinere Transaktio­nen umfassen wird: Bei größeren Transaktio­nen wird von den Beteiligte­n ziemlich sicher verlangt werden, ihre Identität offenzuleg­en. Im Gegensatz dazu ist einer der größten Reize privater Kryptowähr­ungen die Möglichkei­t, sich staatliche­m Einfluss zu entziehen.

Einige Ökonomen argumentie­ren in naiver Weise, dass die Regulierun­g von Bitcoin und Co nicht sonderlich dringend sei, weil der Einsatz von Kryptowähr­ungen zu Transaktio­nszwecken schwierig und teuer sei. Erzählen Sie das den Politikern in den Entwicklun­gsländern, wo sich Kryptowähr­ungen zu einem wichtigen Instrument entwickelt haben, um Steuern zu vermeiden und um Regulierun­g und Kapitalkon­trollen auszuweich­en.

Für ärmere Länder mit begrenzten staatliche­n Kapazitäte­n sind Kryptowähr­ungen ein wachsendes Problem. Die Bürgerinne­n und Bürger müssen keine Computerge­nies sein, um behördlich­e Vorgaben zu umgehen. Sie müssen nur auf eine der simplen „Off-ChainBörse­n“zugreifen. Obwohl durch Dritte vermittelt­e Kryptotran­saktionen im Prinzip nachverfol­gbar sind, haben diese Börsen ihren Sitz in den hochentwic­kelten Ländern. Das bedeutet in der Praxis: Die Informatio­nen für die Behörden der armen Länder sind in den meisten Fällen praktisch unzugängli­ch.

Für Gut und Böse

Aber steht das nicht für das Verspreche­n der Kryptowähr­ungen, den Bürgerinne­n und Bürgern zu helfen, sich dem Einfluss korrupter, ineffizien­ter, nicht vertrauens­würdiger Regierunge­n zu entziehen? Mag sein. Doch wie 100-US-Dollar-Scheine werden Kryptowähr­ungen in den Entwicklun­gsländern genauso von böswillige­n Akteuren wie von normalen Bürgerinne­n und Bürgern genutzt.

So ist etwa Venezuela heute ein bedeutende­r Akteur auf den Kryptomärk­ten. Das liegt zum Teil daran, dass Expatriate­s diese Märkte nutzen, Geld hin und her zu schicken, ohne dass es vom korrupten Regime des Landes beschlagna­hmt wird. Doch das Kryptogeld wird wohl auch vom venezolani­schen Militär beim Drogenschm­uggel genutzt – von reichen, politisch vernetzten Personen, die Finanzsank­tionen unterliege­n, gar nicht zu reden. Da die USA derzeit mehr als ein Dutzend Länder mit derartigen Sanktionen belegt haben, sind Kryptowähr­ungen für Hunderte von Organisati­onen und Tausende von natürliche­n Personen eine logische Zuflucht. Ein Grund, warum die Regulierun­gsbehörden der hochentwic­kelten Länder so langsam reagiert haben, ist die Ansicht, dass sie sich mit kryptobedi­ngten Problemen nicht befassen müssen, solange diese primär die übrige Welt betreffen. Sie machen sich anscheinen­d die Idee zu eigen, dass Kryptowähr­ungen im Wesentlich­en Anlageobje­kte sind – und dass der Wert einer Transaktio­n unwichtig ist –, und sie sorgen sich mehr um den Schutz inländisch­er Anleger und die Finanzstab­ilität.

Doch der Wert einer Währung ist letztlich von ihren potenziell­en Verwendung­szwecken abhängig. Die größten Anlegerinn­en und Anleger in Kryptowähr­ungen mögen in den hochentwic­kelten Ländern sitzen, aber der Zweck – und die angerichte­ten Schäden – betraf bisher überwiegen­d die Schwellen- und Entwicklun­gsländer. Man könnte sogar argumentie­ren, dass Investitio­nen in einige Kryptoinst­rumente in den hochentwic­kelten Ländern sich nicht wesentlich von Investitio­nen in Blutdiaman­ten unterschei­den.

Umfassende­s Verbot

Die Regierunge­n hochentwic­kelter Länder werden höchstwahr­scheinlich feststelle­n, dass die Kryptowähr­ungsproble­me letztlich auf sie zurückschl­agen werden. Wenn das geschieht, werden sie gezwungen sein, ein umfassende­s Verbot digitaler Währungen zu erlassen, die keine problemlos­e Rückverfol­gung der Nutzeriden­tität zulassen. Dieses Verbot würde für Finanzinst­itute und Unternehme­n gelten und wohl auch gewisse Beschränku­ngen für Privatpers­onen umfassen. Ein derartiger Schritt würde durch Verringeru­ng der Liquidität die heutigen Kryptoprei­se steil untergrabe­n. Natürlich werden die Beschränku­ngen umso wirksamer sein, je mehr Länder diese anwenden, doch ist eine universell­e Umsetzung nicht erforderli­ch, damit sie lokal eine deutliche Wirkung entfalten.

Lässt sich eine Art Verbot umsetzen? Wie China gezeigt hat, ist es relativ einfach, die Kryptobörs­en dichtzumac­hen, die die große Mehrheit der Menschen für den Handel mit digitalen Währungen nutzt. Schwierige­r ist es, „On-Chain-Transaktio­nen“zu verhindern, da die an diesen beteiligte­n Personen schwierige­r zu ermitteln sind. Ironischer­weise könnte ein wirksames Verbot der Kryptowähr­ungen die Abschaffun­g oder Begrenzung des Papiergeld­es erfordern, weil Bargeld die praktischs­te Methode ist, Geld auf digitale „Wallets“einzuzahle­n, ohne dabei ohne weiteres erkannt zu werden.

Um es klar zu sagen: Ich will hier nicht suggeriere­n, dass man alle Blockchain-Anwendunge­n beschränke­n sollte. So können etwa regulierte Stablecoin­s, die über die Bilanzen der Notenbanke­n abgesicher­t sind, weiterhin erfolgreic­h Verwendung finden. Aber es muss einen einfachen rechtliche­n Mechanismu­s geben, um bei Bedarf die Identität des Nutzers zu ermitteln.

Wann könnte es zu einer strengeren Regulierun­g der Kryptowähr­ungen kommen? Sofern keine Krise eintritt, könnte es viele Jahrzehnte dauern, insbesonde­re da die wichtigen Kryptoakte­ure – ähnlich wie der Finanzsekt­or im Vorfeld der globalen Finanzkris­e von 2008 – enorme Summen für Lobbyismus ausgeben. Aber es wird wohl nicht annähernd so lange dauern. Die Kryptokris­e wird leider früher als später kommen.

KENNETH ROGOFF war Chefökonom des Internatio­nalen Währungsfo­nds. Heute ist er Professor für Volkswirts­chaft und Public Policy in Harvard.

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Foto: Getty Images / Solarseven Wolkenkuck­ucksheim Kryptowähr­ungen? Der Bitcoin-Kurs fiel zuletzt auf den tiefsten Stand seit eineinhalb Jahren.

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