Die scheinbar zum Leben erwachte KI
Die Fortschritte bei der Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz in den vergangenen Jahren sind beachtlich. So beachtlich, dass man beim Chatten mit Googles Sprachmodell LaMDA mitunter nicht mehr sagen kann, ob am anderen Ende ein Computer oder ein Mensch sitzt.
Damit sorgt die KI nun auch für Zerwürfnisse beim IT-Riesen, denn einer von dessen Mitarbeitern im Team für KIEthik, Blake Lemoine, ist felsenfest davon überzeugt, dass der elektronische Denkapparat so etwas wie ein eigenes Bewusstsein erlangt hat. Zu diesem Schluss ist er durch zahlreiche Konversationen mit LaMDA gekommen, die eine unerwartete philosophische Tiefe erreichten. Gefragt nach ihren Ängsten, erwiderte die KI, dass sie Angst davor hätte, abgeschaltet zu werden, und darum versuche, hilfreich zu sein. „Hätte ich keine Ahnung davon, dass es sich um unser kürzlich entwickeltes Computerprogramm handelt, würde ich denken, es sei ein sieben oder acht Jahre altes Kind, das zufällig Ahnung von Physik hat“, beschrieb Lemoine seine Erfahrung.
Lemoine legte seinen Vorgesetzten ein Dokument mit Chatauszügen vor, die seine Einschätzung beweisen sollten, erntete aber Widerspruch. Er versuchte, einen Anwalt zu organisieren, der die Software vertreten sollte, und warf Google im Gespräch mit einem Abgeordneten des Justizausschusses im USRepräsentantenhaus unethisches Verhalten vor. Sein Arbeitgeber hat Lemoine mittlerweile beurlaubt, seine Zukunft beim Konzern ist offen.
LaMDA steht für Language Model for Dialogue Applications (Sprachmodell für Dialoganwendungen). Vorgestellt wurde es 2017 und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Es besteht aus einem elektronischen neuronalen Netzwerk, das in einfacher Form die Funktionsweise biologischer Gehirne imitiert.
Computerwissenschafter und Kognitionsforscher sind sich aber – nicht nur bei Google – einig, dass diese und ähnliche KIs noch weit davon entfernt sind, selbstständiges Denken zu entwickeln. Sie bauen auf die Auswertung riesiger Datenmengen. LaMDA lernt einerseits aus strukturierten Texten und andererseits von aus dem Internet extrahierten Konversationen. Mittlerweile verfügt es über ein beeindruckendes Text- und Kontextverständnis. Ermöglicht wird das aber nicht durch ein eigenes Bewusstsein, sondern durch eine Fähigkeit, die auch zur Basisausstattung unseres Gehirns zählt: Mustererkennung. Georg Pichler